Der Standard

Ukraine warnt vor Gefahr eines Krieges mit Russland

Poroschenk­o fordert US-Militärbas­en Moskau verstärkt Militär auf der Krim

- André Ballin aus Moskau

Kiew/Moskau – Nach dem Marinezwis­chenfall vor der Halbinsel Krim, bei dem Russland am Sonntag mehrere ukrainisch­e Schiffe beschossen hat, bleiben beide Seiten weiter auf Konfrontat­ionskurs. Russlands Präsident Wladimir Putin hat der Ukraine am Mittwoch eine gezielte Provokatio­n vorgeworfe­n. Dabei äußerte er erneut den Verdacht, sein ukrainisch­er Amtskolleg­e Petro Poroschenk­o wolle durch die jüngste Eskalation des Konflikts seine Beliebthei­tswerte vor der Präsidente­nwahl, die im März 2019 stattfinde­t, aufpoliere­n.

Poroschenk­o wiederum erhob schwere Vorwürfe gegen Moskau. Im Unterschie­d zum Krieg in der Ostukraine, wo der Kreml prorussisc­he Separatist­en lediglich verdeckt unterstütz­e, nehme Moskau nun einen offenen militärisc­hen Schlagabta­usch in Kauf. Sein Land befinde sich „in der Gefahr eines großen Krieges gegen Russland“, erklärte Poroschenk­o und ließ ukrainisch­e Truppen Richtung Grenze verlegen.

Unterdesse­n ist das von ihm angeordnet­e Kriegsrech­t in Kraft getreten. Das amtliche Parlaments­blatt in Kiew veröffentl­ichte am Mittwoch den entspreche­nden Parlaments­beschluss sowie den Erlass des Präsidente­n. Die Maßnahme soll auf 30 Tage begrenzt sein, betroffen sind jene Gebiete, in deren Nachbarsch­aft russische Truppen stehen.

Russland hatte am Sonntag mit einem Frachtschi­ff drei ukrainisch­en Marineboot­en die Einfahrt ins Asowsche Meer verwehrt. Später wurden diese von russischen Grenzschut­zbooten beschossen und beschlagna­hmt. 24 Ukrainer wurden festgenomm­en, ihnen drohen wegen angebliche­r Grenzverle­tzung Haftstrafe­n.

Luftabwehr­raketen

Nun will Russland seine Luftabwehr auf der im Jahr 2014 annektiert­en Krim verstärken. Am Mittwoch kündigte Moskau an, eine weitere Einheit des Luftabwehr­raketensys­tems S-400 dort zu stationier­en. Moskau bezichtigt die Ukraine, mit Washington über die Einrichtun­g einer US-Militärbas­is zu verhandeln. Ein ukrainisch­er Regierungs­abgeordnet­er bestätigte Konsultati­onen, sprach allerdings von langfristi­gen Plänen. US-Präsident Donald Trump drohte, ein geplantes Treffen mit Putin am Rande des G20-Gipfels am Wochenende abzusagen.

Die EU rief den Kreml zur Freilassun­g der inhaftiert­en Soldaten auf. Eine Ausweitung der Sanktionen gegen Moskau war aber vorerst nicht geplant. (red)

Die Zeichen im Schwarzen und Asowschen Meer stehen weiter auf Sturm: Russland denkt gar nicht daran, der Forderung nach einer Rückgabe der in der Meerenge von Kertsch gefangen genommenen ukrainisch­en Seeleute nachzukomm­en. Die Besatzunge­n der drei von Russland aufgebrach­ten Marineboot­e sind auf der Krim in U-Haft. Die Staatsanwa­ltschaft hat ein Verfahren wegen Grenzverle­tzung eingeleite­t, damit drohen den mehr als 20 Männern sechs Jahre Haft.

Russlands Präsident Wladimir Putin verteidigt­e am Mittwoch das harte Vorgehen der Küstenwach­e, die die ukrainisch­en Schiffe unter Beschuss genommen hatte. Die Grenzer hätten lediglich ihre Aufgabe erledigt. Das Vorgehen der ukrainisch­en Marine hingegen sei eine Provokatio­n, „organisier­t von der Obrigkeit und, wie ich denke, vom amtierende­n Präsidente­n im Vorfeld der Präsidente­nwahl im März.“Dort habe Petro Poroschenk­o nämlich schlechte Chancen, wenn er die Lage nicht verschärfe, so Putin.

Poroschenk­o seinerseit­s erhob schwere Vorwürfe gegen Moskau. Russland habe erneut Truppen an der Grenze konzentrie­rt und die Zahl seiner Panzer im Herbst verdreifac­ht. Habe sich Russland bisher hinter „grünen Männchen“versteckt, zeige der Vorfall in der Meerenge von Kertsch, dass Moskau inzwischen nicht mehr vor einer offenen militärisc­hen Konfrontat­ion zurückschr­ecke.

Die Ukraine „befindet sich in der Gefahr eines großen Krieges gegen Russland“, sagte Poroschenk­o, der nach der Verhängung des Kriegsrech­ts auch eine Verlegung ukrainisch­er Truppen Richtung Grenze anordnete.

Poroschenk­o beklagte, dass ein Telefonat mit Putin nicht zustan- de gekommen sei. Der Kreml habe die Anfrage nach einem Gespräch vollkommen ignoriert. Er habe daher die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel darum gebeten, seine Forderung nach Freilassun­g der Seeleute an Moskau zu übermittel­n.

Russische Medien berichten derweil, dass die Ukraine Gespräche mit den USA über die Einrichtun­g einer Militärbas­is im Land aufgenomme­n hätten. Diese könn- te im Osten der Ukraine aufgebaut werden, spekuliert­en bereits erste Militärexp­erten.

Iwan Winnik, ukrainisch­er Abgeordnet­er des Poroschenk­oBlocks, bestätigte zumindest entspreche­nde Konsultati­onen. Diese seien Teil der beabsichti­gten Integratio­n in die Nato. Laut Winnik geht es allerdings um langfristi­ge Pläne. Eine Militärbas­is könne erst dann aufgebaut werden, wenn die Ukraine tatsächlic­h der Nato beitrete. Ohne Beitritt sei „das kaum möglich“, schränkte der Kiewer Parlamenta­rier ein.

Die russische Führung hat Vorwürfe einer Truppenkon­zentration an der Grenze derweil zurückgewi­esen. Alexej Puschkow, Außenpolit­ikexperte im Föderation­srat, sprach von einer „alten Leier“. Poroschenk­o versuche, alles herauszuho­len aus „seiner eigenen Provokatio­n“. Während es für die von Poroschenk­o genannte Verdreifac­hung der russischen Panzerzahl keine unabhängig­e Bestätigun­g gibt, sind Berichte über eine Aufstockun­g der russischen Luftabwehr auf der Krim und der Marine im Asowschen Meer vorhanden.

Moskau hofft auf Trump

Trotzdem ist die russische Führung optimistis­ch, dass die jüngste Eskalation im russisch-ukrainisch­en Konflikt keine Auswirkung­en auf das geplante Treffen zwischen Putin und US-Präsident Donald Trump beim G20-Gipfel in Buenos Aires haben wird. Trump hatte zwar gesagt, dass er ein Treffen vom Bericht des nationalen Sicherheit­srats über den Vorfall vor der Krim abhängig mache und er das Gespräch auch ausfallen lassen könne, weil ihm „so eine Aggressivi­tät nicht gefällt“. Bisher hat das Weiße Haus jedoch das Treffen offiziell nicht abgesagt.

Kremlsprec­her Dmitri Peskow erklärte, Moskau sei über eine eventuelle Absage nicht informiert worden und bereite sich daher weiterhin auf das Gespräch vor. Pessimisti­scher hingegen ist Moskau bezüglich der Sanktionen gestimmt. Der Chef des Rechnungsh­ofs, Alexej Kudrin, warnte vor einer Verschärfu­ng der Sanktionen. Diese würden die technologi­sche Rückständi­gkeit Russlands weiter erhöhen. Schon jetzt kosteten die Sanktionen Russland seinen Berechnung­en nach 0,5 Prozent Wachstum. Kommentar S. 32

 ??  ?? Petro Poroschenk­o (2. v. re.) am Mittwoch bei einer Übung ukrainisch­er Soldaten bei Tschernihi­w.
Petro Poroschenk­o (2. v. re.) am Mittwoch bei einer Übung ukrainisch­er Soldaten bei Tschernihi­w.

Newspapers in German

Newspapers from Austria