Holpriges Finale bei der Mindestsicherung
Türkis-blaue Pläne für Sozialreform stoßen in Wien auf Ablehnung
Wien – Die Regierungsparteien haben am Mittwoch ihre Pläne für die neue Mindestsicherung im Ministerrat auf den Weg gebracht. Die letzten Meter gestalteten sich aber schwierig. Ein finaler Gesetzestext verzögerte sich. Zunächst hieß es, dass nicht nur die Kinderzuschläge in der Mindestsicherung gekürzt werden, sondern auch der Kinderabsetzbetrag gestrichen werde. Nach einigen Stunden ruderten ÖVP und FPÖ bei letzterem Punkt zurück.
Birgit Hebein, die neue grüne Frontfrau in Wien, geht nicht davon aus, dass die Stadtregierung das türkis-blaue Vorhaben umset- zen wird. „Entweder Wien sagt, wir setzen das nicht um und nehmen damit das Risiko einer Klage in Kauf. Oder Wien lässt die Verfassungsmäßigkeit des Vorschlags prüfen. Dann entscheiden die Gerichte“, sagte sie im Interview mit dem Standard.
Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache versprachen, dass die für 2019 geplante Reform des Arbeitslosengeldes nicht dazu führen wird, dass Langzeitarbeitslose automatisch in die Mindestsicherung rutschen. (red)
Die Verhandlungen waren im Finale offenbar so hektisch, dass am Ende niemand mehr genau wusste, was ausgemacht wurde. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), federführend für die Reform der Mindestsicherung verantwortlich, verkündete am Mittwoch im Ministerrat, dass künftig nicht nur die Zuschläge für Kinder deutlich reduziert, sondern Mindestsicherungsbezieher zusätzlich den Kinderabsetzbetrag verlieren würden. Der macht pro Kind und Monat immerhin 58 Euro aus, was für bedürftige Menschen ein gröberer Einschnitt wäre. Die Kürzung stand auch in den verteilten Presseunterlagen. Einige Stunden und einige empörte Aussendungen der Gewerkschaft später ruderte Türkis-Blau dann zurück. Der Kinderabsetzbetrag bleibe erhalten, es sei ein Fehler passiert.
Angesichts der Turbulenzen verzögerte sich auch der finale Gesetzestext. Soweit möglich gibt der Δtandard einen Überblick über die heiklen Punkte der Reform:
Frage: Wann muss ich als Mindestsicherungsbezieher eigenes Vermögen einbringen? Antwort: Die Mindestsicherung ist als letztes soziales Netz gedacht. Daher müssen größere Vermögensreserven vor dem Bezug aufgebraucht werden. Ausgenommen ist ein Freibetrag, der von aktuell 4200 Euro auf 5200 Euro angehoben wird. Die Behörden sind dabei auf die Angaben der Antragsteller angewiesen bzw. verlangen Kopien von Kontoauszügen, Nachweise über Wertpapiere, Bausparverträge oder Lebensversicherungen. Einschau in Konten können sie aber nicht nehmen, die ist in Österreich nur im Zuge von Abgaben- oder Finanzstrafverfahren möglich. Ein Auto darf immer dann behalten werden, wenn es berufsbedingt benötigt wird.
Der Besitz einer Wohnung oder eines Hauses in angemessener Größe ist kein Ausschlussgrund für den Mindestsicherungsbezug. Allerdings haben die Behörden die Möglichkeit, eine pfandrechtliche Sicherstellung im Grundbuch vorzunehmen. Bisher war das bereits nach sechs Monaten möglich, künftig erst nach drei Jahren. In der Praxis heißt das: Bezieht jemand vier Jahre lang die Mindestsicherung, werden die ausgezahlten Leistungen für das letzte Jahr besichert. Findet dieser Jemand später wieder einen Job, muss er diesen Betrag zurückzahlen. Wird die Immobilie verkauft, bekommt das Sozialamt einen Teil des Verkaufserlöses. Verstirbt der Bezieher, reduziert sich das Erbe entsprechend. Frage: Wie viel bekomme ich nun künftig für meine Kinder? Antwort: Weil es in schlecht bezahlten Branchen nicht einfach ist, mit bezahlter Arbeit deutlich über die Mindestsicherung zu kommen, reduziert die Koalition die Kinderzuschläge. Für das erste Kind gibt es noch rund 215 Euro. Das ist sogar etwas mehr, als die meisten Länder derzeit zahlen (nur Wien zahlt mit 233 Euro etwas mehr).
Für das zweite Kind sind aber nurmehr 130 Euro vorgesehen und ab dem dritten Kind nur mehr 43 Euro. In aller Regel werden Paare damit ab dem zweiten Kind weniger als bisher haben. Für Alleinerziehende ist dafür ein zusätzlicher Bonus geplant (100 Euro für das erste, 75 Euro für das zweite, 50 Euro ab dem dritten Kind).
Gleichzeitig bekommen die Länder aber, wie berichtet, die Möglichkeit, die Verluste wieder abzufedern. Sie können die gesamte Mindestsicherung um bis zu 30 Prozent erhöhen, wenn sie finden, dass die Wohnkosten in ihrem Bundesland oder in einzelnen Regionen besonders hoch sind. Auch Sonderzahlungen für besonderen Bedarf (etwa eine kaputte Waschmaschine), bei Härtefällen (besonders teure Wohnung) oder für behinderte Menschen werden möglich sein. Wie hoch der Anspruch im Einzelfall ausfällt, wird also von den Ausführungsgesetzen der Länder abhängen, die im Laufe des Jahres 2019 erarbeitet werden.
Frage: Wie schwierig ist es für Zuwanderer, die volle Leistung zu bekommen? Antwort: Voraussetzung ist Deutsch auf Level B1 oder Englisch auf C1. Ansonsten wird die Leistung um 300 Euro reduziert. Wer Deutsch auf B1-Niveau spricht, versteht laut europäischem Referenzrahmen für Sprachen einfache Aussagen, „insofern das Gegenüber eine klare Aussprache hat“. Er kann sich zu bekannten Themen äußern und von seinen Plänen und Erfahrungen berichten. In einem B1-Test muss man sich mündlich vorstellen können und in der Lage sein, die fiktive kranke Nachbarin zu fragen, ob man für sie einkaufen gehen soll. Bei Hörbeispielen ist oft gefragt, „in Grundzügen“ein Gespräch zu verstehen und danach einfache Fragen zu beantworten.
Um ohne vorherige Deutschkenntnisse B1 zu erreichen, benötigt man in der Regel zwischen dreieinhalb und neun Monate – je nachdem, ob man einen normalen Sprachlehrgang oder einen Intensivkurs belegt. Bei Flüchtlingen und Migranten würde jedoch hinzukommen, dass es große Unterschiede beim Bildungsniveau gebe und manche auch in ihrer Muttersprache bloß unzureichend alphabetisiert seien, heißt es seitens des Integrationsfonds.
Für C1 in Englisch muss man bereits fortgeschrittene Kenntnisse aufweisen und in der Lage sein, lange und komplexe Texte zu verstehen und sich spontan und fließend auszudrücken. Maturaniveau in Englisch ist in Österreich B2, also eine Stufe darunter.
Versprochen wird von der Regierung, dass es ausreichend Kurse geben wird. Hat man diesen dann erfolgreich absolviert, bekommt man vom Integrationsfonds ein Zertifikat, mit dem man zum Sozialamt gehen und die volle Leistung beantragen kann.
Frage: Wie viel darf ich während der Mindestsicherung dazuverdienen? Antwort: Derzeit gibt es länderweise unterschiedliche Regelungen. Künftig soll es einen Freibetrag von 35 Prozent des Nettoeinkommens geben. Die Mindestsicherung wird also nicht sofort gekürzt, wenn man etwas dazuverdient. Damit soll ein größerer Anreiz geschaffen werden, einen Job anzunehmen. Das deutsche Hartz-IV-System hat beispielsweise dazu geführt, dass viele Menschen neben dem Sozialhilfebezug sogenannte Minijobs angenommen haben. Kritiker, etwa in der Gewerkschaft, sehen darin aber auch Risiken. So könnten Arbeitgeber auf die Idee kommen, gezielt Mindestsicherungsbezieher für einige Monate zu schlechten Konditionen anzustellen. Es bestehe also die Gefahr, dass der Niedriglohnsektor durch diese Maßnahme wachse.