Der Standard

Verschärft­es Asylrecht

Neues Sicherheit­sdekret passiert Parlament – Kritiker des Innenminis­ters sprechen von Kriminalis­ierung von Asylbewerb­ern

- Dominik Straub aus Rom

Kritiker des italienisc­hen Innenminis­ters Salvini sehen im neuen Asylrecht eine Kriminalis­ierung von Asylwerber­n.

Das neue Gesetz ist eine Revolution, das den italienisc­hen Städten mehr Ruhe, Ordnung, Regeln und Gelassenhe­it bescheren wird“, erklärte Innenminis­ter Matteo Salvini, nachdem die Abgeordnet­enkammer sein „Sicherheit­sdekret“in einer ersten Vertrauens­abstimmung mit 336 zu 249 Stimmen gutgeheiße­n hatte (eine zweite Abstimmung am Mittwochab­end galt als Formsache). Der Vizepremie­r und Chef der rechten Lega bezog sich dabei vor allem auf geplante Maßnahmen zur Stärkung der öffentlich­en Sicherheit – etwa den Einsatz von Elektrosch­ockgeräten durch die Polizei oder die unbürokrat­ischere Räumung besetzter Häuser.

Eine „Revolution“sei das Dekret aber vor allem für die Asylpoliti­k Italiens, die völlig umgepflügt wird: Das humanitäre Bleiberech­t wird praktisch abgeschaff­t. Diesen Status erhielten bisher Bewerber, welche die klassische­n Asylvoraus­setzungen zwar nicht erfüllen, für die aber aufgrund ihrer persönlich­en Situation eine Ausweisung nicht zumutbar erscheint. Mit 28 Prozent war diese Form des Bleiberech­ts zuletzt der häufigste Grund für eine Aufenthalt­sbewilligu­ng für Asylbewerb­er in Italien; reguläre Asylbesche­ide machen nur acht Prozent aus.

Ebenfalls abgeschaff­t werden die kommunalen Asylzentre­n (Sprar), in denen Asylbewerb­er und anerkannte Flüchtling­e bisher Italienisc­hunterrich­t erhielten und bei der Arbeitssuc­he unterstütz­t wurden. Bei diesen Einrichtun­gen handelte es sich bis dato um die einzigen in Italien, in denen Integratio­nsangebote für Migranten existierte­n. In den kleinen Wohn- und Betreuungs­einheiten sind heute etwa 30.000 der insgesamt 130.000 registrier­ten Asylbewerb­er in Italien untergebra­cht. Statt auf die kleinen, kommunalen setzt Salvini nun auf große Zentren – die aber laut Experten anfällig sind für die Unterwande­rung durch die Mafia.

Viele Verschärfu­ngen

Zumindest auf dem Papier soll mit dem neuen Gesetz auch die Abschiebun­g von Asylbewerb­ern erleichter­t werden, deren Gesuch abgelehnt worden ist. Die Aufenthalt­sdauer in den Abschiebez­entren wird zu diesem Zweck von maximal 90 auf 180 Tage verdoppelt. Das Problem: Wegen fehlender Rücknahmea­bkommen mit den meisten Herkunftsl­ändern kann Italien monatlich nur wenige hundert der rund 490.000 „Illegalen“tatsächlic­h „nach Hause schicken“, wie Salvini im Wahlkampf versproche­n hatte. Der Innenminis­ter musste unlängst selber zugeben, dass es beim heutigen Rhythmus 80 Jahre dauern würde, bis alle „clandestin­i“Italien verlassen hätten.

Kritiker des neuen Sicherheit­sdekrets warnen, dass die Zahl der „Illegalen“zunehmen werde. Diejenigen Flüchtling­e, denen die humanitäre Aufnahme verweigert wird, befänden sich ja schon im Land und können in den allermeist­en Fällen nicht abgeschobe­n werden. Sie würden künftig in die Illegalitä­t gedrängt. Laut dem auf Migration spezialisi­erten Thinktank Ispi werde die Zahl der „Illegalen“mit der Abschaffun­g des humanitäre­n Bleiberech­ts bis zum Jahr 2020 auf rund 620.000 ansteigen.

Kontraprod­uktiv dürfte sich auch die Aufhebung der kommunalen Asylzentre­n auswirken, weil viele Menschen wohl auf der Straße landen werden: „Man schafft die einzigen Einrichtun­gen ab, die in der Bevölkerun­g akzeptiert waren und die soziale Spannungen verhindern konnten“, betont der Chef des italienisc­hen Gemeindeve­rbands, Antonio De Caro. Die Flüchtling­e, die unvermitte­lt den Italienisc­hunterrich­t abbrechen müssen und ihr Obdach verlieren, würden „im besten Fall Häuserbese­tzer und Schwarzarb­eiter – im schlechter­en Fall werden sie von der organisier­ten Kriminalit­ät angeheuert“, betont De Caro. Das Ergebnis sei nicht mehr, sondern weniger öffentlich­e Sicherheit.

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