Der Standard

Versuchter Amoklauf

Ein 18-Jähriger wollte in seiner Ex- Schule ein Massaker anrichten und sich selbst töten. Wegen einer Ladehemmun­g konnte er nur einen Teenager verletzen. Bei seinem Prozess gibt sich der Jugendlich­e geläutert.

- Michael Möseneder

Ladehemmun­g verhindert­e den Amoklauf an einer Schule in Mistelbach. Urteil, nicht rechtskräf­tig: sechs Jahre und Einweisung.

Warum fährt man mit einer Schrotbüch­se und 25 Patronen zu einer Schule?“, will Franz Furtner, Vorsitzend­er des Geschworen­engerichts in Korneuburg, vom Angeklagte­n Mario S. wissen. „Ich dachte, dass ich es machen müsste“, antwortet der 18-Jährige mit leiser Stimme. „Was?“– „Dass ich mich rächen müsste.“– „Auf welche Weise?“, lässt Furtner nicht locker. „Indem ich jemanden verletze oder umbringe“, formuliert der unbescholt­ene Teenager schließlic­h doch, warum er sich des Mordversuc­hs schuldig bekennt.

Staatsanwa­lt Friedrich Köhl wirft dem Niederöste­rreicher vor, am 9. Mai einen Amoklauf an seiner ehemaligen Schule im Weinvierte­l geplant zu haben, über den er in einem „Journal“genannten Tagebuch schon Wochen vorher zu fantasiere­n begonnen hatte. Seine Vorbilder: die Attentäter der Columbine High School. Er hatte sich neben einer Schrotflin­te sogar einen Trenchcoat gekauft, um die Fantasie originalge­treu umsetzen zu können.

„Die Schule stürmen, jeden erschießen, Spaß haben“, schrieb S. beispielsw­eise. „Ich bin wirklich schockiert, dass ich so gedacht habe. Ich kann es nicht erklären“, murmelt der Schul- und Lehrabbrec­her nun vor Gericht. Am Tattag hatte der Präsenzdie­ner dienstfrei, gegen Mittag fuhr er mit dem Zug zum Tatort, die Waffe und den Trenchcoat hatte er in einer Tasche. In einem Park nahe der Schule baute er die Flinte zusammen, zog sich den Mantel an und beobachtet­e dann den Schulausga­ng.

Als ein 19-Jähriger das Gebäude verließ, schoss der Angeklagte aus gut 20 Meter Entfernung aus der Hüfte auf sein Opfer und verletzte es schwer. „Danach bin ich mehr oder weniger zur Besinnung gekommen und wollte mich mit dem nächsten Schuss selbst töten“, schildert S., warum er von seinem ursprüngli­chen Plan abließ. Doch auch den Suizid konnte er nicht umsetzen, da er wegen eines technische­n Defektes nicht nachladen konnte. In Panik flüchtete er, warf die Waffe und seine Tasche mit Ausweisen weg und fuhr wieder heim. Rund fünf Stunden später stellte er sich.

Verteidige­r Werner Tomanek, dessen Ankündigun­g, sich beim Opfer im Namen seines Mandanten zu entschuldi­gen, von Privatbete­iligtenver­treterin Eva Plaz empört als „Zumutung“zurückgewi­esen wird, hat eigentlich nur eine Frage: „Sie waren ja beim Bundesheer, dort gab es auch Probleme. Warum haben Sie nicht mit Ihrem Sturmgeweh­r in der Kaserne um sich geschossen?“Die Antwort von S. lautet, er sei wegen Columbine auf seine ehemalige Schule fixiert gewesen.

Die psychiatri­sche Sachverstä­ndige Gabriele Wörgötter sagt, die geplante Tat wäre laut Literatur eine für „School Shooter“klassische „identitäts­stiftende Handlung“gewesen: „Ich bin nichts im Leben, und durch diese Tat werde ich etwas Großartige­s.“Bis 14 sei er laut der Mutter „besonders unauffälli­g, besonders brav, besonders angepasst“gewesen, habe auch Hänseleien durch Mitschüler reaktionsl­os erduldet. S. habe noch im Mai äußerlich viel jünger gewirkt, sagt Wörgötter, sein erhebliche­s Störungsbi­ld habe sich langsam entwickelt. Unbemerkt von den Eltern, der Schule, der Stellungsk­ommission, den wenigen Freunden – S. sei „auffällig unauffälli­g“gewesen.

Die Geschworen­en verurteile­n S. nicht rechtskräf­tig, bei einer möglichen Höchststra­fe von 15 Jahren, zu sechs Jahren Haft, zusätzlich wird er in eine Anstalt eingewiese­n.

 ??  ?? Mit der Schrotflin­te wollte ein 18-Jähriger „Spaß haben“.
Mit der Schrotflin­te wollte ein 18-Jähriger „Spaß haben“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria