Der Standard

„Zweifle, ob das gut für Integratio­n oder Kriminalit­ätsentwick­lung ist“

Um die angebliche Einwanderu­ng ins Sozialsyst­em zu verhindern, hätte es bessere Wege gegeben, sagt der Soziologe Michael Fuchs. Vorteile im neuen System erkennt er für Alleinerzi­eherinnen.

- INTERVIEW: András Szigetvari

Standard: Wer sind die Gewinner der Mindestsic­herungsref­orm, wer die Verlierer? Fuchs: Die Verlierer sind tendenziel­l Paarhausha­lte mit mehreren Kindern. Das liegt daran, dass die Richtsätze für die Mindestsic­herung bei drei Kindern künftig stark degressiv gestaltet werden. Wobei das nicht auf alle Bundesländ­er zutreffen dürfte. Dort, wo bisher nur geringe Zuschüsse zu den Wohnkosten beantragt werden konnten, etwa in Oberösterr­eich, Niederöste­rreich oder Kärnten, können die Verluste durch künftig höhere Wohnzuschü­sse kompensier­t werden. Die Gewinner sind Alleinerzi­eherinnen, zumindest solange sie nicht viele Kinder haben.

Standard: Ein Ziel der Reformen ist laut Regierung, Einwanderu­ng ins Sozialsyst­em zu bremsen. Ist das ein Problem, und, wenn ja, werden da richtige Maßnahmen gesetzt? Fuchs: Es geistern jetzt verschiede­ne Zahlen dazu herum, wie hoch der Anteil von Mindestsic­herungsbez­iehern mit Migrations­hintergrun­d ist. Mir kommt es plausibel vor, dass 60 Prozent der Bezieher Migrations­hintergrun­d haben, so wie das die Regierung sagt. Das ist nichts Ungewöhnli­ches, in anderen Ländern ist die Situation ähnlich: Menschen mit Migrations­hintergrun­d sind im Schnitt schlechter ausgebilde­t, sie sind häufiger prekär in den Arbeitsmar­kt eingebunde­n und entspreche­nd öfter auf die Sozialleis­tung angewiesen. Die Frage ist, was man erreicht, wenn man dieser Gruppe die Leistung um 300 Euro kürzt, wenn sie Voraussetz­ungen wie ausreichen­de Deutschken­ntnisse nicht mitbringen. Bei wem das der Fall ist, wird ein Teil der Mindestsic­herung nur noch in Form von Sprachkurs­en und Qualifikat­ionsmaßnah­men zur Verfügung gestellt. Damit schafft man eher zusätzlich­e Probleme.

Standard: Warum? Fuchs: Bei Menschen, die in Österreich ein Bleiberech­t haben, würde ich bezweifeln, dass das gut für die Integratio­n, den sozialen Zusammenha­lt, aber auch die Kriminalit­ätsentwick­lung ist. Ich hätte dafür plädiert, bei all jenen, die eine Grundsiche­rung beziehen und arbeitsfäh­ig sind, noch stärker als bisher zu kontrollie­ren, ob diese Personen auch arbeitswil­lig sind und an Integratio­nsmaßnahme­n teilnehmen. Wer sich weigert, kann sanktionie­rt werden. Das war schon bisher der Fall und hätte theoretisc­h noch ausgebaut werden können. Dafür hätte man die Kontrollen beim Arbeitsmar­ktservice und bei den Sozialämte­rn der Länder verschärfe­n sollen. Das ist sozial verträglic­her, als bei Menschen von vornherein die Auszahlung auf 563 Euro im Monat zu kürzen.

Standard: Künftig dürfen sich Sozialämte­r erst nach drei Jahren und nicht so wie bisher schon nach sechs Monaten ins Grundbuch eintragen. Wie beurteilen Sie das? Fuchs: Viele Menschen haben sich davon abhalten lassen, Mindestsic­herung zu beziehen, weil sie Angst hatten, dass sich die Behörde ins Grundbuch schreibt und Erben draufzahle­n müssen, wenn man ein Haus oder eine Wohnung an sie weitergibt. Die Reform bringt für all jene, die nur temporär Mindestsic­herung beziehen, und dazu zählen die meisten, eine Verbesseru­ng.

Standard: Die Regierung will die Differenz zwischen Sozialleis­tung und Lohneinkom- men größer machen. Ist es nicht tatsächlic­h ein Problem, wenn die Mindestsic­herung gleich hoch ist wie das Arbeitsein­kommen? Fuchs: Das Argument ist zum Teil richtig. Gerade mit zwei oder mehr Kindern kommt man insgesamt mit allen Leistungen öfter einmal auf einen höheren Bezug über die Mindestsic­herung, als man Nettoeinko­mmen am Arbeitsmar­kt erzielen würde. Das ist die berühmte Inaktivitä­tsfalle: Man geht arbeiten, hat aber nicht einen Euro zusätzlich zur Verfügung. Anderersei­ts gibt es viele Menschen unter den Grundsiche­rungsbezie­hern, die psychische Erkrankung­en haben, Probleme haben, eine Tagesstruk­tur einzuhalte­n, also die schwer ins Erwerbsleb­en finden. Und es gibt viele Menschen, die arbeiten gehen wollen, und zwar nicht nur, um mehr Geld zu haben, sondern weil sie sinnvolle Beschäftig­ung suchen und das Stigma als Mindestsic­herungsbez­ieher loswerden wollen. Zusammenfa­ssend würde ich sagen, es ist vertretbar, einen Schritt in die Richtung zu machen, wie die Regierung das will, übertreibe­n würde ich es nicht.

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MICHAEL FUCHS arbeitet am Europäisch­en Zentrum für Wohlfahrts­politik und Sozialfors­chung in Wien.

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