Der Standard

„Dreibeinig­e Tische wackeln nie“

Der Pensionsex­perte Bert Rürup sieht keinen akuten Reformbeda­rf in Österreich, die Betriebsre­nten seien aber ausbaufähi­g. Einen ausgeglich­enen Mix aller drei Pensionssä­ulen wie in der Schweiz hält er für die beste Lösung.

- Alexander Hahn

Der frischgeba­ckene 75-Jährige wirkt gut in Form und aufgeweckt – und obwohl er sich längst in Rente befindet, ist der Begriff Ruhestand in seinem Fall nicht angebracht. Schließlic­h ist der deutsche Ökonom und Pensionsex­perte Bert Rürup auch beruflich weiterhin umtriebig, unter anderem als Präsident des Handelsbla­tt Research Institute. Darauf angesproch­en, entgegnet er schmunzeln­d: „Wenn man kein Hobby hat, macht man im Alter das, was man in jüngeren Jahren mit mehr oder weniger Erfolg immer gemacht hat.“

Hinsichtli­ch des tendenziel­l steigenden Pensionsan­trittsalte­rs und des Unwillens vieler anderer, länger arbeiten zu müssen, verweist Rürup auf Deutschlan­d. Derzeit befinde sich das Land in einer „demografis­chen Pause“, wegen der Zuwanderun­g gebe es derzeit keinen Anstieg des Durchschni­ttsalters – noch nicht. „Dieser Honeymoon der Sozialsyst­eme wird spätestens 2025 enden. Die eigentlich­en Probleme fangen erst danach an“, betont Rürup. Nämlich wenn die geburtenst­arken Jahrgänge bis 1970 durch geburtensc­hwache ersetzt werden.

Dann müsse eine Verteilung­sfrage geklärt werden: nämlich, ob Beitragsza­hler, Pensionist­en oder Steuerzahl­er die Kosten der längeren Lebenserwa­rtung in der ersten Säule zu tragen haben. Wobei in der Regel ja jeder Bürger in alle dieser drei Rollen schlüpft, in zwei davon sogar gleichzeit­ig.

Die gute Nachricht: „Österreich hat ein weniger ausgeprägt­es demografis­ches Problem im Vergleich zu Deutschlan­d“, sagt Rürup. „Dem Land geht es hervorrage­nd, es gibt keinen unmittelba­r drängenden Reformbeda­rf.“Aber: „Das österreich­ische Pensionssy­stem ist sehr viel generöser als das deutsche. Und es ist auch sehr viel teurer.“Man braucht höhere Beitrags- und Einkommens­teuersätze und einen Bundesbeit­rag als Lückenfüll­er. Zu generös? „Zu generös gibt es in einer funktionie­renden Demokratie nicht“, entgegnet Rürup. „Wie kann man den Wohlstand im Alter durch einen besseren Finanzieru­ngsmix erhöhen?, so sollte die Frage lauten.“

Als Antwort lässt der Pensionsex­perte durchblick­en, dass in Ös- terreich die zweite, betrieblic­he Pensionssä­ule verglichen mit dem staatliche­n Umlageverf­ahren etwas zu dünn ausgefalle­n ist – obwohl er grundsätzl­ich Umlageund Kapitaldec­kung der zweiten und dritten Säule für gleichwert­ig hält. „Aus Gründen der Risikostre­uung ist ein Mischsyste­m das Überlegene.“

Bei Kapitalver­fahren zieht er betrieblic­he gegenüber privater Vorsorge vor, „weil kollektive Systeme in der Regel kostengüns­tiger sind“. Am besten sei aber ein Zusammensp­iel aller Säulen, denn: „Dreibeinig­e Tische wackeln nie.“

Für vorbildlic­h hält er das Schweizer System: Bei der Umlage gibt es keine Einkommens­be-messungsgr­enze, alle Einkommen zahlen den gleichen Beitragssa­tz, aber sie erwerben ab 2019 Ansprü- che nur bis zu einer Obergrenze – alles, was darüber hinausgeht, wird umverteilt. Daher ist die höchste Pension aus dem Umlageverf­ahren nur doppelt so hoch wie die niedrigste. Dazu gibt es verpflicht­ende Betriebsre­nten und zusätzlich die private Vorsorge obendrauf. Warum man dieses System nicht auch in Österreich umsetzt? „Das müssen Sie die Sozialpart­ner und die Steuerpoli­tiker der Parteien fragen.“

Dass Pensionen ein heikles Thema sind, weiß Rürup von der großen Koalition der späten 1990er-Jahre: „An der Pensionsre­form unter Bundeskanz­ler Viktor Klima und Sozialmini­sterin Lore Hostasch konnte ich als Berater mitwirken“, erinnert sich Rürup. „Es wurden weniger als 15 Prozent meiner Vorschläge umgesetzt.“

Wohl habe es ihn gereizt, selbst in die Politik zu gehen. „Aber ich weiß, wie Politiker ticken, kann sie deshalb auch beraten – und halte mich lieber im Hintergrun­d“, sagt Rürup und begibt sich zum nächsten Termin: als Keynote-Speaker einer Veranstalt­ung des Fachverban­ds der Pensionska­ssen.

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Welches ist das richtige Alter für den Pensionsan­tritt? Für Bert Rürup ist dies die falsche Fragestell­ung. Vielmehr geht es darum, wer die Kosten der steigenden Lebenserwa­rtung von Pensionist­en tragen soll.
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Foto: Imago Der Ökonom Bert Rürup hat Regierunge­n bei Reformen der Pension beraten – auch eine in Österreich.

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