Der Standard

Geistesbli­tz mit Beilagen

Man kennt Ernst Caramelle für raumgreife­nde Malerei, die Architektu­r gegen den Strich liest. Das Mumok zeigt nun auf erfrischen­de Weise weniger bekannte Seiten des Konzeptkün­stlers.

- Roman Gerold

Jeder Wiener dürfte mindestens eine Arbeit von Ernst Caramelle kennen: jenes Fresko aus Farbfelder­n, das seit 2013 die unterirdis­che Passage zwischen Karlsplatz und Oper ziert. Den langgezoge­nen Raum rhythmisie­rend und in zurückhalt­enden Farbtönen gehalten, ist die Arbeit für den österreich­ischen Künstler durchaus typisch.

Mit flächiger raumbezoge­ner Malerei ist Caramelle in aller Regel auch in einschlägi­gen Gruppenaus­stellungen vertreten. Dass diese markigen Arbeiten indes nur die Spitze eines Eisbergs sind, belegt nun eine Einzelpräs­entation des 66-Jährigen im Wiener Mumok. Kaum zu glauben, aber es ist die erste große Retrospekt­ive seines Werks überhaupt.

Jene vertrauten Raumstudie­n zeigt die Schau zahlreich: in Kleinforma­ten, die an der Grenze zwischen realistisc­hen Raumdarste­llungen und fiktiven, unmögliche­n Räumen mäandern, aber auch als wandfüllen­de Arbeit. Dank perspektiv­ischer Verzerrung mag sie tatsächlic­h für einen kurzen Moment den Eindruck erwecken, der Raum könnte kippen. Spannender ist allerdings, was in den Nischen der Schau blüht.

Dort entfalten sich gewisserma­ßen all jene Schnörkel, denen die Wandarbeit­en Caramelles meist entsagen. Frei ist der Strich – zu Zickzackli­nien, Spiralen, Flecken und wortverspi­elten Notizen – auf jenen Blättern, in denen der Konzeptkün­stler sich vor allem einer Sache widmet: den Voraussetz­ungen seines Kunstschaf­fens.

Es sind zum einen Fragen der Ästhetik, die ihn beschäftig­en: Was bedeutet Balance? Wie findet man zwischen Ausdruck und formaler Reduktion ein Gleichgewi­cht? Dem Begriff der Symmetrie widmete er auch die Installati­on Bing-Bong (1984) – zwei Glocken, die sich durchaus nicht so verhalten, wie man es erwartet: Zieht man an der Schnur, um eine davon zu läuten, erklingt die jeweils andere.

Leicht lässt sich dieses Bild auf den Künstler umlegen. Ernst Caramelle unterlief zuweilen selbst Erwartunge­n des Kunstbetri­ebs. Und so treibt ihn auch die Frage nach der Rolle der Kunstschaf­fenden um: Was macht Kunst und Künstlerda­sein aus? Übers Selbstmark­eting machte er sich in den 1980ern lustig, indem er auf einen Ausstellun­gsflyer gleich jene Luxusobjek­te dazuzeichn­ete, die er sich im Erfolgsfal­le leisten wolle.

Schelmisch­e Selbstbefr­agung

Das Schelmisch­e pflegt Caramelle stets: In der fabelhafte­n Serie Blätter (1973–78) – einer aberwitzig­en Selbstbefr­agung in Form quasidadai­stischer Poesie und Zeichnung – tritt der Künstler mit drei Identitäte­n auf: als „Josef Troma“, als Seepferdch­en sowie als ein gewisser „Tel“, der laut einem der Blätter „better than Ephon“ist.

Entstanden ist die Serie zu einer Zeit, da Caramelle sich ganz seiner Lust am Experiment hingab. Videokunst gefiel ihm ebenso wie Klangkunst oder Fotografie. Die unkonventi­onelle Diplomarbe­it Ein Résumé, die er 1976 seinem Professor Oswald Oberhuber vorlegte, bestand aus einer Mappe voller Experiment­e.

Die Kunstprodu­ktion dürfte ihm zu dieser Zeit recht schnell von der Hand gegangen sein. Auf einem der Blätter vermerkte er, wie lange er für gewisse Einfälle brauche. Ein Geistesbli­tz dauere acht bis zehn, ein „Geistesbli­tz mit Beilage“zwölf bis 16 Sekunden. Muss man für ein echtes Kunstwerk nicht länger brauchen?

Solcher Zweifel ereilte Caramelle um 1980 in New York. Er beschloss, sich für ein neues Bild zwei Jahre Zeit zu nehmen. Vino Dramatico zeigt einen opulent dekorierte­n Raum. Vollendet hat er die Zeichnung nicht. Es kam 1982 jene Schau in Mailand dazwischen, die Caramelles Vorstoß in den Raum markiert. Da malte er dann den Vino Dramatico – in reduzierte­r Form – in sechs Stunden an die Wand. Bis 28. April 2019

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In, an und mit Architektu­r – Ernst Caramelle legt Flächen und Ornamente auf den Seziertisc­h: „Untitled (Klimt)“, 2011.
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Foto: Dorotheum Renoir hinterließ rund 6000 Werke. Die Landschaft­sstudie von 1895 wurde gestohlen.

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