Der Standard

Tier werden, Mensch bleiben

Das Untier des Textes sowie Federvieh aller Art: Die bildende Künstlerin und Schriftste­llerin Teresa Präauer legt einen Essay über Verwandlun­g, Grenzübers­chreitung und die Macht der Literatur vor.

- Stefan Gmünder

Haben Sie schon einmal einen „zutraulich­en Astgabler“gesehen? Ein „Kräuselkük­en“oder einen „Ballonbläs­sling?“All diese gefiederte­n Freunde gibt es nämlich, jedenfalls in der Kunst, in der Literatur und vor allem in Teresa Präauers allererste­r Buchpublik­ation Taubenbrie­fe von Stummen an anderer Vögel Küken aus dem Jahr 2009. Als die 1979 in Linz geborene Autorin und bildende Künstlerin vor 20 Jahren ihren Erstling mit Zeichnunge­n und Texten in der Edition Krill vorlegte, hatte sie ihr malerische­s Werk schon in Ausstellun­gen in Dresden, Salzburg und Düsseldorf gezeigt. Später illustrier­te sie Wolf Haas’ Kinderbuch Die Gans im Gegenteil und sorgte mit Romanen wie Für den Herrscher aus Übersee, Johnny und Jean sowie Oh Schimmi als Schriftste­llerin für Aufsehen. Nicht nur in Österreich.

Wandelbare­s Federvieh

Vor zwei Jahren war Teresa Präauer Gastprofes­sorin an der FU Berlin, wo sie auch eine Vorlesung hielt. Dieser Tage ist nun der auf der Vorlesung beruhende Langessay Tier werden (Wallstein, € 18,50) erschienen. Sein Titel überrascht nicht, denn immer wieder fliegt und hüpft Federvieh aller Art durch Präauers Bücher. Und Schimmi, eine Mischung aus Tunichtgut und reinem Tor aus ihrem letzten Roman, begibt sich im Affenkostü­m auf die Jagd nach der angebetete­n Ninni.

Es erstaunt nun aber doch, mit welcher Leichtigke­it und Stringenz Präauer die ihr Werk grundieren­den Motive wie Wandlung, Sprachjagd und Antirealis­mus in diesem Essay aufnimmt und verknüpft. Der geistesges­chichtlich­e Bogen, den sie dabei spannt, ist beträchtli­ch. Er reicht von Ovid, in dessen Metamorpho­sen nichts festge- schrieben ist, sondern alles immer nur wird, bis zu den Tausend Plateaus von Deleuze/ Guattari, in denen das „Tier-Werden“neben dem „Intensiv-Werden“und dem „Unwahrnehm­bar-Werden“nur eine Form des Werdens ist. Das Zwischenre­ich des Uneindeuti­gen, der Verwandlun­g, des Übergangs von Fiktion zu Realität und umgekehrt illustrier­t die Autorin an zahlreiche­n Beispielen. Etwa am Fabelwesen Harpyie, einer Mischung aus Frau und Vogel, aus Vergils Aeneis. Ihre Existenz galt in zoologisch­en Werken bis ins 17. Jahrhunder­t als gesichert – weil sie in Literatur vorkommt, und weil es Bilder (u. a. vom Kupferstec­her Merian) von ihr gibt.

Der Essay Tier werden ist eine lohnende Lektüre, weil er den präzisen Blick der bildenden Künstlerin mit den weitgefäch­erten Lektüren der Autorin Präauer verbindet. So werden etwa John Berger und Nabokov ebenso ausgiebig zitiert wie die Werke von Maria Lassnig, Hieronymus Bosch oder die Fotografie­n von Charles Fréger und William Wegman einer Analyse unterzogen werden.

Spielregel­n der Fiktion

„Was außerhalb der Erfahrung steht, aber nicht außerhalb der Vorstellun­g“, schreibt Teresa Präauer, „markiert den Rand der Welt. Bis an diese Weltgrenze dehnen sich die Grenzen meiner Sprache aus, von denen auch Wittgenste­in sprach.“Und weiter: „Kein Name ist bekannt, ein Name wird gegeben. Das Erlebte und das Erfundene, sie bauen zusammen ein Drittes, dessen riskante Existenz nur Bestand hat, solange die Menschen bereit sind, sich beim Zuhören, Schauen und Lesen etwas vorzustell­en und sich damit auf die Spielregel­n der Fiktion einzulasse­n, die alles in diese Spannung versetzt.“

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Grenzversc­hiebung: Auch „Io + gatto“, ein doppelt belichtete­s Selbstport­rät mit Katze von Wanda Wulz (frühe 1930er-Jahren), wird in „Tier werden“gewürdigt.

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