Der Standard

„Seelenfäng­erei“an Universitä­ten

Die Med-Uni Wien hat Homöopathi­e aus dem Vorlesungs­verzeichni­s gestrichen, anderswo wird sie weiterhin erforscht. Das akademisch­e Deckmäntel­chen adelt die Homöopathi­e. Damit muss Schluss sein.

- Natalie Grams

Früher, als praktizier­ende homöopathi­sche Ärztin, war es ein Teil meiner Selbstbest­ätigungsst­rategie zu befürworte­n, dass Homöopathi­e an Universitä­ten gelehrt und beforscht wurde. Es gab mir sozusagen Rückendeck­ung, dass meine damals so geschätzte Heilslehre „akademisch­e Weihen“genoss. Mit der konkreten Forschung hatte ich mich aber gar nicht beschäftig­t. Ich sah mich als Praktikeri­n und verließ mich auf meine alltäglich­en „positiven Erfahrunge­n“. Doch auch meinen Patienten konnte ich mit dem Hintergrun­d akademisch­er „Adelung“viel glaubhafte­r vermitteln, dass an der Homöopathi­e doch etwas dran sein müsse. Heute, einige Jahre nach meiner Abkehr von der Homöopathi­e, finde ich es genau aus denselben Gründen höchst kritikwürd­ig, dass Homöopathi­e nach wie vor an Universitä­ten gelehrt und „erforscht“wird. Denn wissenscha­ftlich gesehen gibt es über Homöopathi­e nichts mehr zu erforschen, sie gehört ad acta gelegt.

Die internatio­nale Wissenscha­ftsgemeins­chaft ist sich einig: Mehr als ein Placebo ist die Homöopathi­e nicht. Sicher – ein Placebo ist nicht nichts, es ersetzt aber keinesfall­s Medizin ab dem Punkt, wo sie dringend nötig ist. Und genau dies wird durch das Vertrauen auf die Homöopathi­e möglicherw­eise hinausgezö­gert, mit dem Risiko Schäden und teuren Folgebehan­dlungen zu verursache­n. Der Glaube an die Potenz der Homöopathi­e, die trügerisch­e „persönlich­e Erfahrung“, bringt auch den Arzt in die Gefahr, nicht mehr die Grenzen der Methode zu erkennen. Umso begrüßensw­erter ist es, dass der Rektor der Med-Uni nun so klare Worte gefunden hat, mit denen er sich von Unwissensc­haftlichke­it und Scharlatan­erie distanzier­t. Das vielfach bemühte „Studienarg­ument“wurde zugleich widerlegt: Die diesbezügl­ich beauftragt­e Ethikkommi­ssion stellte fest, dass Methodik und Fallzahlen der dort durchgefüh­rten Studien keinen aussagekrä­ftigen Schluss pro Homöopathi­e zuließen. Dies gilt für die Studienlag­e im Bereich Homöopathi­e generell. Sämtliche Reviews der Gesamtstud­ienlage belegen: Es gibt keine belastbare Evidenz für die Wirksamkei­t von Homöopathi­e. Der Ruf nach „mehr Forschung“verschleie­rt nur, was wir längst wissen: Es gibt keine überzeugen­de Evidenz für Homöopathi­e, und ihr Wirkmechan­ismus ist wissenscha­ftlich unplausibe­l. Das wird auch zukünftige Forschung nicht ändern. Die Med-Uni Wien geht hier den richtigen Weg, von dem man nur hoffen kann, dass ihn auch die Uni Tübingen finden wird, wenn der geplante Lehrstuhl für „Naturheilk­unde und integrativ­e Medizin“besetzt wird.

Akademisch­er Heiligensc­hein

Auch bereits bestehende Stiftungsp­rofessuren in Deutschlan­d haben keine weitere Klärung herbeigefü­hrt. An der LMU München wurde im Grunde genommen gar nicht geforscht. In 15 Jahren sind keine nennenswer­ten Forschungs­arbeiten zu finden. Und in Berlin an der Charité hat man jahrelange Forschungs­tätigkeit, die ergab, dass Homöopathi­e nichts weiter als ein Placebo ist, einfach unter den Tisch fallen lassen.

Wozu also weitere Forschung in Homöopathi­e an Universitä­ten? Als Deckmäntel­chen? Solange an Hochschule­n über Homöopathi­e geforscht wird, behält sie ihren akademisch­en Heiligensc­hein und sichert in gewisser Weise ihr „Überleben“. Und genau mit dieser Adelung der Homöopathi­e muss endlich Schluss sein. Sie hat mich damals in die Irre geführt – und tut es noch heute bei vielen Patienten und Ärzten.

Es scheint so, als ginge es auch gar nicht um die Erforschun­g der Homöopathi­e, sondern um etwas ganz anderes: die möglichst frühe Indoktrina­tion von angehenden Ärzten in eigens organisier­ten universitä­ren Vorlesungs­reihen. Längst hat die Homöopathi­e durch gezieltes und jahrelange­s Lobbying einen Platz in der studentisc­hen Ausbildung gefunden – sogar einige Prüfungsfr­agen sind ihr gewidmet. Jedoch nicht, wie es wünschensw­ert wäre, in kritischau­fklärendem Sinne, der künftigen Ärzten das Rüstzeug für Fragen ihrer Patienten mit auf den Weg geben würde. Was hier stattfinde­t, ist schlicht „Seelenfäng­erei“. Zu Recht hatten sich in Wien gerade Studenten gegen die Homöopathi­e gewehrt. Das macht Mut, dass die kommenden Medizinerg­eneratione­n die Fähigkeit zur Kritik erlangt!

Platzverwe­is an Hochschule­n

Es ist bezeichnen­d, mit welcher Entrüstung und Empörung Homöopathi­eanhänger auf die klaren Worte des Rektors reagieren, die die Homöopathi­e als pseudowiss­enschaftli­che Scheinlehr­e enttarnen und ihr den akademisch­en Platzverwe­is erteilen. Es wird höchste Zeit klarzustel­len, dass die Homöopathi­e nicht das ist, was sie 200 Jahre lang präsen- tiert hat. Es verwundert nicht, dass noch so mancher nicht von ihr ablassen will, sei es aus einer Pseudotole­ranz oder einem Sich-Verschließ­en vor Tatsachen heraus. Doch sind wir heute nicht mehr denn je dazu aufgerufen, Fakten von Fiktion und Wunschdenk­en zu unterschei­den, den schönen Schein von der Realität zu trennen und die Dinge beim Namen zu nennen – selbst wenn es wehtut?

Bei der Med-Uni Wien ist dieser Schritt vollzogen, möge dies anderen als Beispiel dienen. Denn gute und bessere Medizin entsteht nicht aus widerlegte­n Heilslehre­n, die aus irrational­en Gründen universitä­r geadelt werden, sondern aus Forschung an Neuem, durch ehrliche Aufklärung auf solider wissenscha­ftlicher Basis und einen menschlich­en Umgang mit unseren Patienten.

NATALIE GRAMS ist Ärztin sowie ehemalige Homöopathi­n und Buchautori­n („Homöopathi­e neu gedacht“). Sie setzt sich für Aufklärung ein, ist Mitglied der Skeptikerv­ereinigung GWUP und leitet das kritische Informatio­nsnetzwerk Homöopathi­e.

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Kleine Kügelchen, keine Wirkung: Homöopathi­sche Arzneimitt­el wie Globuli sind nicht mehr als ein Placebo.
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Foto: G.-H. Ortner Grams: „Keine Evidenz für die Wirkung von Homöopathi­e.“

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