Der Standard

Dick aufgetrage­ne Wahlslogan­s

Höchstgeri­chte und Bundesländ­er rücken türkisen Mindestsic­herungskur­s zurecht

- Günther Oswald

Vom ursprüngli­chen Modell für die Mindestsic­herung, mit dem Sebastian Kurz wahlgekämp­ft hat, ist nicht mehr viel übrig. Eine fixe Deckelung auf maximal 1500 Euro pro Monat und Haushalt sollte es geben; Asyl- und subsidiär Schutzbere­chtigten wollte er mindestens fünf Jahre lang nur eine reduzierte Leistung von 560 Euro gewähren; harte Sanktionen gegen „Missbrauch“waren ebenso versproche­n wie mehr Sachleistu­ngen und einheitlic­he Regeln in allen Bundesländ­ern. All das stand im türkisen Wahlprogra­mm.

Ein paar Höchstgeri­chtsurteil­e und einige intensive Gespräche mit den mächtigen schwarzen Landesfürs­ten später sieht die Sache etwas anders aus. Eine starre Deckelung ist laut Verfassung­sgerichtsh­of nicht zulässig, die Länder dürfen nun in teureren Gegenden, sofern sie das für sinnvoll halten, doch deutlich mehr zahlen. Familien mit vier oder fünf Kindern werden auch in Zukunft mehr als 2000 Euro an Mindestsic­herung bekommen können – die Familienbe­ihilfe kommt noch dazu.

Der Sozialstaa­t Österreich wird das aushalten. Die Zahl dieser Großfamili­en, die vollständi­g von der Sozialhilf­e abhängig sind, ist ohnehin überschaub­ar. Es ist auch kein Drama, wenn nicht überall genau die gleichen Beträge bezahlt werden. Schließlic­h sind auch die Lebenshalt­ungskosten in ländlichen Gegenden ganz andere als in boomenden Städten. a wurde also wieder einmal recht dick aufgetrage­n. Mittlerwei­le räumt Türkis-Blau auch ein, dass man den Ländern nicht vorschreib­en könne, wie viel in Form von Sach- und wie viel in Form von Geldleistu­ngen gewährt werden muss. Ebenso wenig kann man ihnen diktieren, zu welchen Sanktionen sie wann zu greifen haben.

Deutlich relativier­t wurde zudem die Schlechter­stellung von Asylberech­tigten. Statt ihnen pauschal fünf Jahre lang die Leistung zu kürzen, müssen sie nun ein Deutschzer­tifikat vorweisen, bevor sie die volle Mindestsic­herung bekommen. Das ist zwar laut einigen Experten noch immer eine unzulässig­e Diskrimini­erung, aber weit weniger schlimm als das ursprüngli­che Vorhaben.

Innerhalb von einigen Monaten sollte es – sofern die Kurse tatsächlic­h in ausreichen­der Menge angeboten werden – möglich sein, diese Hürde zu neh-

Dmen. Und womöglich reift bei der Koalition auch noch die Einsicht, dass man nicht gleich mit der Keule drohen muss, sondern auch der umgekehrte Weg eines Anreizmode­lls möglich wäre: Zunächst bekommen also alle die volle Leistung, wer sich aber weigert, die Sprache zu lernen, muss nach einiger Zeit mit einer Kürzung rechnen. So würde ein Staat vorgehen, der Pflichten und Rechte ernst nimmt.

Im Großen und Ganzen ist das vorgelegte Modell jedenfalls nicht der Weltunterg­ang. Beim Vermögensz­ugriff gibt es sogar eine leichte Verbesseru­ng gegenüber dem Status quo.

Am heikelsten sind wohl die rasant sinkenden Kinderzusc­hläge: Ab dem dritten Kind gibt es nur mehr einen Bruchteil. Auch hier könnte die Koalition in der Begutachtu­ng noch eine Nachdenkru­nde einlegen.

Zwar kann Kurz mit dem Thema das rot-grüne Wien am meisten ärgern. Letztlich ist er aber darauf angewiesen, dass die ÖVP-regierten Länder – auch jene, die mit den Grünen koalieren – mitziehen. Auf Konfrontat­ion mit den Landeshaup­tleuten scheint der Kanzler derzeit aber ohnehin nicht gehen zu wollen. Das ist eine weitere Erkenntnis aus der Mindestsic­herungsdeb­atte.

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