Der Standard

Gas-Primat

- Andreas Schnauder

Während der Zugang zum Asowschen Meer zu heftigen Scharmütze­ln führt, werden in der Ostsee friedlich Rohre verlegt. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Einiges. Von Deutschlan­d aus wächst nämlich stetig die Gaspipelin­e Nord Stream II in Richtung Russland. Die Leitung wird die ohnehin schon riesigen Gasexporte der Gazprom nach Europa und damit die Abhängigke­it der EU von Moskau deutlich erhöhen. Gleichzeit­ig schrumpft damit der politisch sensible Transit des Energieträ­gers durch die Ukraine.

Sobald die neue Pipeline eröffnet ist, verliert Kiew einen wichtigen Trumpf in den ständigen Gefechten mit Moskau. Das hört sich bedrohlich an, wenn man sich die ständigen Aggression­en Russlands vor Augen führt. Wie rabiat wird Putin erst gegen die Ukraine, wenn Kiew auch das Druckmitte­l Gastransit verloren haben wird?

Dieser Zusammenha­ng sollte europäisch­en Regierunge­n zu denken geben, tut er aber nicht. In Berlin, aber auch in Wien setzt man trotz der ohnehin schon immensen Abhängigke­it von russischem Gas auf einen Ausbau der Lieferunge­n. Die postuliert­e Diversifiz­ierung der Energiever­sorgung besteht nicht einmal auf dem Papier.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Regierunge­n orientiere­n sich hauptsächl­ich an wirtschaft­lichen Interessen, die in Österreich wiederum von der OMV diktiert werden. Der heimische Energiemul­ti gehört zu den Trägergese­llschaften von Nord Stream 2, auch bei der Förderung baut der Konzern seine russischen Aktivitäte­n massiv aus.

Die Regierung ist dabei gerne behilflich. Vier Treffen hat es allein heuer zwischen Sebastian Kurz und Wladimir Putin gegeben – das sorgt internatio­nal für Verwunderu­ng. Auch in Brüssel, wo man Nord Stream 2 überaus kritisch sieht. Die jüngste Kreml-Aggression wäre ein guter Anlass, das Primat des Gases über die Politik zu beenden.

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