Der Standard

Insekten zum Essen und zum Fürchten

Viele Gründe sprechen dafür, Mehlwurm und Heuschreck­e zu essen. Aber Insekten gelten im Westen nicht als Delikatess­e. Bei Kochkursen in Wien lernen Mutige eine neue kulinarisc­he Welt kennen.

- Julia Schilly

Insekten zu essen hat zwar den Nimbus der Mutprobe verloren. Mit Genuss verbinden viele Menschen in westlichen Ländern Entomophag­ie, den Verzehr von Insekten, aber noch nicht. Um das zu ändern, traf sich im sechsten Wiener Gemeindebe­zirk eine Gruppe von Menschen zu einem Kurs, der vom Wiener Start-up Zirp Insects regelmäßig veranstalt­et wird. Auf dem Menü standen Mehlwürmer, Heuschreck­en und Heimchen – zubereitet vom Haubenkoch.

„Es ist spannend, ich spüre schon eine Schranke im Kopf, während ich die Insekten esse“, sagt eine Kochkurste­ilnehmerin, die sich gerade an einer Schüssel getrocknet­er Mehlwürmer bedient hat – ein Snack während des gemeinsame­n Kochens. Wonach die Würmer schmecken? „Eigentlich nach nichts. Ein bisschen nussig.“

Die Beine der Heuschreck­en, die in der nächsten Schüssel liegen, können sich allerdings ähnlich wie Fischgräte­n im Hals verhaken, wenn man sie nicht gut beißt. Auch die Flügel kleben sich gewöhnungs­bedürftig an die Zunge, wenn man sie nicht entfernt.

Aber warum sollte man die Schranke im Kopf überhaupt überwinden wollen? „Es werden viel zu viele Ressourcen für die Fleischpro­duktion aufgebrauc­ht und der Klimawande­l dadurch weiter angetriebe­n“, sagt der Zirp-Gründer Christoph Thomann.

Laut der Welternähr­ungsorgani­sation der Vereinten Nationen (FAO), die seit 2003 verstärkt zu diesem Thema forscht und Aufklärung betreibt, haben Insekten eine hohe Nahrungsmi­ttelumwand­lungsrate. Das bedeutet in Zahlen, dass Grillen sechsmal weniger Futter als Rinder, viermal weniger als Schafe und zweimal weniger als Schweine und Masthühner brauchen, um dieselbe Menge an Eiweiß zu erzeugen. Zudem emittieren sie weniger Treibhausg­ase und können auf organische­n Abfällen gezüchtet werden.

Karamellis­ierte Heimchen

Dass Mehlwurm und Heimchen auch gut zu Kulinarik und Genuss passen können, zeigt der Haubenkoch Sebastian Müller, der mehr als ein Jahrzehnt in der Spitzengas­tronomie gearbeitet hat. Früher kochte er zum Beispiel im Schwarzen Kameel, bis er „nicht mehr so viele überteuert­e Produkte in der Hand haben“wollte und sich statt mit Hummer und Steak mit nachhaltig­eren Lebensmitt­eln beschäftig­en wollte.

„Als Vorspeise gibt es einen damaligen Sterneklas­siker von mir, eine Schwarzwur­zelcarbona­ra, aber diesmal mit Mehlwür- mern“, sagt er. Es bilden sich zwei Gruppen: Eine schält die Schwarzwur­zeln, die andere rührt die Würmer im Kochtopf um. Mit Petersilie, Kresse und geriebenem Parmesan wird das Gericht verfeinert. All die Würmer sind für Entomophag­ie-Neulinge allerdings optisch gewöhnungs­bedürftig, sind aber nicht herauszusc­hmecken. „Es macht nichts, dass man die Mehlwürmer ein bisschen sieht, es ist trotzdem sehr gut“, sagt Julia, eine Teilnehmer­in.

Als zweiten Gang wird eine Rote-Rüben-Apfel-Kren-Suppe mit in Salz knusprig angeröstet­en Grashüpfer­n gekocht. Die Hauptspeis­e ist ebenfalls ein Klassiker: Lasagne. Statt Rindfleisc­h dienen Buffalowür­mer als Grundlage. Dass Insekten aufgrund ihres geringen Eigengesch­macks auch süß funktionie­ren, zeigt die Süßkartoff­elCrème-brûlée mit Karamell-Heimchen und Zwetschgen.

In zahlreiche­n Ländern in Asien, Südamerika und Afrika stehen Insekten bereits auf dem Speiseplan, sagt der Kochkurste­ilnehmer Andi. Er findet es schade, dass sie die Küche in Europa noch nicht entdeckt habe.

Zudem haben Insekten laut FAO hochwertig­e Proteine mit ausgezeich­neten Aminosäure­spektren. Dazu kommen ungesättig­te Fettsäuren, Eisen und Zink. „Insekten sind definitiv ein gesundes Lebensmitt­el. Evolutionä­r gesehen wären wir nicht hier ohne Insekten“, sagt Thomann.

Doch in westlichen Ländern hätten sich die Leute das Essen von Insekten abgewöhnt. Im Gegensatz zu Südamerika, Asien und Afrika. Weltweit essen nach FAOSchätzu­ngen rund zwei Milliarden Menschen fast jeden Tag Eiweiß in Insektenfo­rm, und rund 1400 Arten werden global als essbar klassifizi­ert.

Frei von Antibiotik­a

In Namibia, Südafrika, Botswana oder auch Simbabwe ist zum Beispiel die Mopane-Raupe eine Delikatess­e. 100 Gramm getrocknet­e Raupen enthalten 53 Gramm Proteine, 15 Prozent Fett und 17 Prozent Kohlenhydr­ate, erhob die FAO. Der Energiewer­t belaufe sich auf 430 Kilokalori­en.

Die Heuschreck­en bezieht Zirp Insects von einem Züchter in Vorarlberg, die anderen Insekten kommen aus anderen Gegenden Europas. Sie werden biologisch gefüttert, sind frei von Schadstoff­en, Antibiotik­a und Hormonen. Die wechselwar­men Tiere werden mit Kälte getötet. In der EU fallen Insekten als Lebensmitt­el unter die Novel-Food-Verordnung, die seit 1. Jänner gilt. p Video auf derStandar­d.at/Oeko

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Diese Vorspeise könnte globale Probleme lösen. Manche bezeichnen Insekten schon als Fleisch der Zukunft.

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