Der Standard

Was Lars von Trier pessimisti­sch macht

In „The House That Jack Built“widmet sich Lars von Trier den dunklen Impulsen eines Serienmörd­ers. Ein Gespräch darüber, was die Figur mit ihm selbst zu tun hat und warum ihn die Zeiten pessimisti­sch stimmen.

- INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh

Pressekonf­erenz gab es nach dem Eklat um Lars von Triers Provokatio­nen im Jahr 2001 dieses Jahr keine in Cannes. Dafür bat der Regisseur zum Gespräch in eine Villa, auf der eine große rote Fahne mit dem Filmtitel The House That Jack Built befestigt war. Ein Hinweis auf die Selbstbezü­glichkeite­n des Films? Darüber sowie über persönlich­e Ängste sprachen wir mit dem Dänen.

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„The House That Jack Built“mutet seinem Publikum einiges zu. Welche Rolle nahm diese Strategie der Abschrecku­ng bei der Entwicklun­g des Films ein? Von Trier: Ich denke nie an das Publikum, sondern nur: Ich bin mein Publikum. Ich weiß, es gibt Leute, die versuchen, das größtmögli­che Publikum zu bekommen, und Experten dafür heranziehe­n. Das könnte ich nicht. Und ich finde es auch wichtig, dass es noch Versprengt­e gibt, die es als wichtig erachten, nur für sich zu arbeiten.

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Man wird ja auch nicht den Eindruck los, dass es um Ihre eigenen Obsessione­n geht. Von Trier: Ja, ich versuche, mit dem Film an meine Grenzen zu gehen. Die Figur Jack spricht in Bildern des Dritten Reichs und anderer Gräuel. Es sind extreme Bilder, gewiss. Doch das Filmen hat für mich auch private Kosten gehabt. Etwa, was meine Familie anbelangt. Ich habe vier Kinder, die erwachsen sind und mich meist nur anschreien, warum ich nie da war. Man sagt das so leicht. Dabei dachte ich immer, dass ich da bin. Ich habe mich immer als großartige­n Vater betrachtet.

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Sie könnten ja aufhören. Ist die Kunst denn größer als Sie selbst? Von Trier: Ja, auf angstbeset­zte Weise. Sie wissen, es gibt Regisseure, die haben einen Höhepunkt, und dann geht es bergab. Wenn dieser Höhepunkt kommt, wollen ihn die meisten wiederhole­n. Und dann suchen sie nur noch das Publikum. Ich wollte dieser Falle entgehen. Doch eigentlich ist mir der neue Film um zwanzig Prozent zu populär.

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Tatsächlic­h? Warum? Von Trier: Es wird immer schwierige­r, Dinge einfließen zu lassen, die nicht schon benutzt sind. Ich gebe Disney dafür die Schuld. Ich habe als Kind Donald-Duck-Hefte gelesen, und alle Geschichte­n sind darin auf die gleiche Weise gemacht.

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Hat die Entscheidu­ng, einen Film über das Böse zu machen, auch etwas mit dem Zustand der Gesellscha­ft zu tun? Von Trier: Ich habe darüber viel nachgedach­t. Momentan scheint alles in die falsche Richtung zu gehen. Wahrschein­lich haben wir die goldenen Jahre der Demokratie hinter uns. Und wir haben es nicht bemerkt, weil es sich so gut angefühlt hat. Das klingt sehr negativ. Alles ist so negativ.

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Im Film gibt es eine emblematis­che Szene: Eines der Opfer von Jack ruft um Hilfe, er sagt: „Niemand wird dir helfen, niemand hat Empathie.“Von Trier: Das beschreibt ziemlich genau meinen gegenwärti­gen Zustand. Die Demokratie hat ein Riesenprob­lem, wenn Leute wie Trump gewählt werden. Er lügt pausenlos. Er hat so viel gelogen, dass es niemand mehr merkt. Die Lügen müssen immer größer werden, damit die Aufmerksam­keit erhalten bleibt.

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Im Film gibt es allerdings auch ein Zitat von William Blake, das besagt, dass Kunst durch Moral getötet wird. Von Trier: Mir liegt sehr viel daran, die Meinungsfr­eiheit zu bewahren. Ich fand es ja lustig, dass in dem Jahr, als in Cannes meine Pressekonf­erenz so schieflief, das Motto des Festivals Meinungsfr­eiheit lautete. Es war ungeschick­t von mir, von Hitler zu sprechen. Hätte ich dasselbe in Deutschlan­d gesagt, wäre der Wirbel nicht so groß gewesen.

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Woher nehmen Sie die Stärke weiterzuma­chen? Suchen Sie die Provokatio­n? Von Trier: Ich versuche, das zu machen, wovon ich glaube, dass ich es kann. Umgekehrt tendierte ich immer dazu, nicht genug zu riskieren. Eigentlich wollte ich immer, wenn ich in etwas gut bin, das sofort wieder bleibenlas­sen und etwas Neues probieren. Doch das ist wirklich schwierig. Wir sind einfach nicht so gebaut.

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Worin sind Sie denn schon fast zu gut? Von Trier: In meinen Drehbücher­n. Und meiner Schnitttec­hnik. Ob wir uns beim Schneiden Freiheiten nehmen, oft in derselben Einstellun­g schneiden: Wenn man das zur Gewohnheit macht, dann akzeptiert es auch das Publikum.

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In dem Film findet sich auch eine Passage, in der Sie auf Ihr Werk eingehen – eine unüblich deutliche Selbstrefe­renz. Von Trier: Ich weiß, es sieht so aus, als wäre das ein Testament. Aber in Wirklichke­it war es so, dass wir Archivbild­er für die Aussage brauchten, dass Künstler alle Freiheiten haben. Die richtig guten Ausschnitt­e haben wir nicht bekommen. Also sagte ich: „Nehmen wir meine.“Ich fand das amüsant. Es ist ja einiges von mir in Jack.

LARS VON TRIER (63) ist einer der bedeutends­ten europäisch­en Filmregiss­eure. Seine Arbeiten „Breaking the Waves“, „Dancer in the Dark“oder „Dogville“wurden vielfach ausgezeich­net.

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Das Blut sieht man auch – doch davor zeigt uns Lars von Trier den Tatvorgang selbst: Matt Damon als Serienmörd­er Jack in „The House That Jack Built“.
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Foto: APA/AFP Lars von Trier: „Ich riskiere meistens nicht genug.“

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