Der Standard

Riesige Kluft zwischen EU-Realität und Interesse zu Hause

Ex- SPÖ- Spitzenkan­didat Freund zieht ernüchtert Bilanz: „Dringt nicht durch, wie wichtig EU-Politik ist“

- Thomas Mayer aus Brüssel

Freier Mitarbeite­r bei verschiede­nen Medien, ab 1978 Sprecher von Außenminis­ter Willibald Paar, prominente­r ORF-Journalist, Politiker. Das waren die berufliche­n Stationen im Leben des EU-Abgeordnet­en Eugen Freund. Nach den Europawahl­en im kommenden Mai wird der 67-Jährige in Pension gehen.

Eine Verlängeru­ng seines Mandats im Europäisch­en Parlament wird es für den gebürtigen Kärntner nach nur einer Legislatur­periode in Straßburg und Brüssel nicht geben: „Das wird nicht angeboten.“Das mag erstaunen. Immerhin war Freund 2014 Spitzenkan­didat der SPÖ.

Er verzichtet­e dann aber auf die Funktion als Delegation­sleiter zugunsten von Evelyn Regner. Die Partei hatte damals im Wahlkampf unter Kanzler Werner Faymann in den Grenzgänge­r zwischen Politik und Journalism­us als attraktive­n „Quereinste­iger“viel investiert.

Zwei Parteichef­s später braucht die Partei ihn nicht mehr. 2014 war es der SPÖ darum gegangen, jemanden auf Listenplat­z eins zu haben, der „immer gut kommunizie­rt hat und der viele Journalist­en kennt“, zieht Freund im Gespräch mit dem

Bilanz. Das traf für einen Mann, der über Jahre vor Millionenp­ublikum ZiB 1 und ZiB 2 moderiert hatte, lange ORFKorresp­ondent in Washington gewesen war, in hohem Maße zu, ganz ähnlich wie bei Ursula Stenzel. Sie war bei der ÖVP bei den EU-Wahlen 1999 die Speerspitz­e, so wie Ex- Spiegel- Journalist HansPeter Martin 2004 bei der SPÖ.

Aber „die Erwartung“, dass sich das in Österreich dann zu einem Mehr an Interesse für das Europäisch­e Parlament umsetzen lasse, „die hat sich nicht erfüllt“. Freunds Diagnose nach viereinhal­b Jahren fällt zwiespälti­g aus: Ernüchteru­ng einerseits, was die österreich­ische EU-Politik betrifft; aber anderersei­ts eine gewachsene Begeisteru­ng für das gemeinsame Europa und die Arbeit, die EU-Abgeordnet­e machen.

Absolut positive Erfahrunge­n

„Ich habe hier absolut positive Erfahrunge­n gemacht“, erzählt er mit hörbarer Freude, „allein die Tatsache, dass man ununterbro­chen mit Menschen aus 27 Ländern eng zu tun hat, mit ihrer Kultur, ihrer Geschichte, ob im Lift oder im Plenum“, erzählt er. Das mache das Wesen der Union aus, „das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt“, diese gemeinsame Suche nach Konsens, nach Kompromiss­en in einem „Arbeitspar­lament“, in dem vor allem die Sacharbeit zähle. Umso mehr schmerzt den SPÖ-Politiker, dass es zwi- schen der EU-Ebene und dem Interesse für Europa zu Hause in Österreich „eine riesige Kluft gibt“, als wären das „zwei verschiede­ne Welten“. Den Parteien sei „das Hemd näher als der Rock“, habe er festgestel­lt, und zwar allen Parteien: „Sie sagen, ‚Wir sind Europa!‘ oder ‚Wir sind proeuropäi­sch“, und das war’s dann auch schon.“

Es kümmere sie „nicht wirklich“, was in Straßburg laufe, das gelte auch für weite Teile der Medien: „Es ist noch nicht durchgedru­ngen, wie wichtig die EUPolitik für die Innenpolit­ik und für Österreich ist.“Ist er frustriert?

Nein, sagt Freund, im Gegenteil, er habe unschätzba­re Erfahrunge­n gemacht. Seiner Partei rät er dringend, im Wahlkampf „den Gegensatz zwischen Nationalis­ten und Europäern herauszust­reichen“, denn eines sehe man von Woche zu Woche klarer: „Der Nationalis­mus ist der Tod für Europa.“

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