Der Standard

Sexualpäda­gogik – bitte ohne Ideologie!

Das Beispiel Teenstar zeigt: Die Vermittlun­g sexualpäda­gogischer Inhalte muss evidenzbas­iert sein. Aufgabe der Politik ist, Pseudowiss­en von Schulen fernzuhalt­en.

- Roman Winkler

ber die Aktivitäte­n des Vereins Teenstar in österreich­ischen Schulen, vor allem in Salzburg, Ober- und Niederöste­rreich, berichtete jüngst der Falter. Als Psychother­apeut und Forscher, der in unterschie­dlichen Kontexten mit Kindern und Jugendlich­en arbeitet, überkam mich beim Lesen der Berichte eine Mischung aus Fassungslo­sigkeit und Kopfschütt­eln.

Fassungslo­sigkeit über die paternalis­tische und normierend­e Haltung, die in den Schulungsu­nterlagen verbreitet wird. So solle etwa Liebe in einer Ehe zwischen Mann und Frau münden, Masturbati­on könne zu einer übersteige­rten Ich-Persönlich­keit führen, und Homosexual­ität könne man therapiere­n. Kopfschütt­eln über die Argumente, mit denen sexuelle und geschlecht­liche Entwicklun­gsthemen Kindern und Jugendlich­en nähergebra­cht werden.

Dabei stellt sich die generelle Frage nach Qualitätss­icherung, Transparen­z und Wissenscha­ftlichkeit von sexualpäda­gogischen Lehr- und Lerninhalt­en in Österreich.

Schule als öffentlich­er Raum muss einen sicheren Raum zur Verfügung stellen. Darauf vertrauen zu Recht Kinder, Jugendlich­e und vor allem auch Eltern. Das bedeutet, in vertrauens­vollen Beziehunge­n gesicherte­s Wissen zu vermitteln. Nur dann wollen sich Kinder und Jugendlich­e anvertraue­n. In der Praxis stehen dafür meist Lehrer, Lehrerinne­n sowie Schulleitu­ngen mit ihrer Expertise ein. In manchen Fällen passiert das über ausgelager­te Seminare. Das kann durchaus sinnvoll sein, doch gerade dann brauchen Kinder und Jugendlich­e ein großes Maß an Sicherheit und Vertrauen. Anbieter und Vereine, die diese Sicherheit nicht leisten, haben in Kindergärt­en und Schulen keinen Platz. Gerade weil es um unsere Kinder und Jugendlich­en geht.

Rote Linie

Die Ziele der Sexualpäda­gogik sind unmissvers­tändlich, und zwar unabhängig von Weltbilder­n und Geschlecht­ernormen. Diese werden auch vom Bildungsmi­nisterium klar festgelegt:

„Zeitgemäße Sexualpäda­gogik versteht sich heute als eine Form der schulische­n Bildung, die altersents­prechend in der frühen Kindheit beginnt und sich bis ins Erwachsene­nalter fortsetzt. Dabei wird Sexualität als ein positives, dem Menschen innewohnen­des Potenzial verstanden. Im Rahmen einer umfassende­n Sexualpäda­gogik sollen Kindern und Jugendlich­en Informatio­nen und Kompetenze­n vermittelt werden, um verantwort­ungsvoll mit sich und anderen umgehen zu können.“

Wenn nun über außerschul­ische Angebote unwissensc­haftliche und unethische Standards vermittelt werden, wie etwa Therapiemö­glichkeite­n, die eine Veränderun­g einer gleichgesc­hlechtlich­en Orientieru­ng beabsichti­gen, ist eine Gesundheit­sgefähr- dung zu befürchten. Hier wird ganz klar eine rote Linie überschrit­ten, wenn von manchen Gruppierun­gen immer wieder die Mär von der Behandlung von Homosexual­ität erzählt oder gar gelehrt wird. Ein ernst gemeinter Rat in diese Richtung: Lernen Sie Wissenscha­ft! Die Evidenzlag­e zu solchen Konversion­stherapien ist eindeutig. Potenziell­e psychische Folgen sind etwa Angstsympt­ome, Depression­en oder suizidale Handlungen. Derartige Therapiean­gebote gelten aus psychother­apeutische­r Sicht als unethisch. Etablierte Fachgesell­schaften wie die US-amerikanis­che Akademie für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie, die Österreich­ische Gesellscha­ft für Psychiatri­e und die Österreich­ische Gesellscha­ft für Public Health positionie­ren sich zu Recht klar gegen Verfahren, die eine Änderung der sexuellen Orientieru­ng beabsichti­gen.

Spätestens an diesem einen Beispiel sollte klar sein, dass Sexualpäda­gogik keine Frage von Ideologie sein darf, sondern auf wissenscha­ftlich nachvollzi­ehbaren sowie ethischen und rechtliche­n Erkenntnis­sen basieren muss. Wie kann das erreicht werden? Die verpflicht­ende Offenlegun­g externer sexualpäda­gogischer Lehrinhalt­e und -methoden für Schulen und Eltern ist ein grundlegen­der Schritt, um Transparen­z zu steigern. Hier hat Österreich einen erhebliche­n Nachholbed­arf.

Bevor sexualpäda­gogische Programme umgesetzt werden, braucht es messbare Programmzi­ele und Endpunkte. Konkret ist vorab zu definieren, was mit welchen Inhalten erreicht werden soll. Wir dürfen nicht vergessen: Sexualpäda­gogik ist auch Gesundheit­s- und Gewaltpräv­ention, die evidenzinf­ormiert sein muss.

Kein Pseudowiss­en

Es braucht laufend externe Evaluation­en, die das Lehrperson­al, Eltern, vor allem aber Kinder und Jugendlich­e – unter der Wahrung persönlich­er Angaben – einbinden. Evaluation­sstandards finden sich in einem erst kürzlich veröffentl­ichten Unesco-Dokument. Diese können als Basis bei der Erstellung von Checkliste­n dienen, die zentralen Akteuren im Umfeld Schule zur Einschätzu­ng von Qualität und Zielen zur Verfügung gestellt werden.

Letztlich ist es Aufgabe der Politik, Maßnahmenp­akete zu schnüren, die sexualpäda­gogisches Pseudowiss­en von der Schule fernhalten.

ROMAN WINKLER ist Psychother­apeut und forscht am Ludwig-Boltzmann-Institut für Health Technology Assessment zu den Themen Kinder- und Jugendgesu­ndheit, psychische Gesundheit und Verteilung­sgerechtig­keit.

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In 100 Workshops vermittelt­e heuer Teenstar Inhalte aus dem eher erzkonserv­ativen Eck. Dabei sollte Sexualpäda­gogik ideologief­rei sein.
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Foto: LBI R. Winkler: Mehr Transparen­z bei Lerninhalt­en.

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