Der Standard

Zahnlose Klimapolit­ik

Ohne bedingungs­loses Grundeinko­mmen behindert die Angst um Erwerbsein­kommen weiterhin einen effektiven Klimaschut­z

- Mathis Hampel, Aaron Sterniczky

Seit der Unterzeich­nung des Kioto-Protokolls konnten die wenigsten Länder ihre geplanten Emissionsr­eduktionsz­iele erreichen. Ein verringert­er Ausstoß an Treibhausg­asen war in der Regel eine direkte Folge der Finanzkris­e 2008, nicht das Ergebnis klimapolit­ischer Bemühungen.

Der Politikwis­senschafte­r Roger Pielke Jr. erkennt darin ein „eisernes Gesetz“der Klimapolit­ik: „Wann immer zwischen Wirtschaft­swachstum und Klimaschut­z gewählt werden muss, gewinnen Maßnahmen für Wirtschaft­swachstum.“Politisch – nicht ökonomisch – gewinnt das Argument Wachstum vor allem aus einem Grund: Erwerbsarb­eitsplätze stünden auf dem Spiel.

Die Kohlenstof­ftechnokra­tie

Wenn die Angst um das Erwerbsein­kommen und eine gesicherte Existenz einen effektiven Klimaschut­z behindert und wir unsere Hoffnung nicht in Finanzkris­en setzen wollen, dann wäre ein erster Schritt aus dem Dilemma das bedingungs­lose Grundeinko­mmen (BGE). Dieser Erkenntnis verschließ­en wir uns, wenn wir den Klimawande­l primär über das Symptom CO -Emissionen definieren: Das macht die Kohlenstof­ftechnokra­tie.

Sie verortet das Problem im Symptom CO und betrachtet die wirtschaft­lichen und politische­n Strukturen der Industrieg­esellschaf­ten und deren Menschenbi­ld als weitgehend unabänderl­ich und universell. Das Selbstvers­tändnis von Industrieg­esellschaf­ten lässt sich mit einem dem Apostel Paulus zugeschrie­benen, meist aus dem Zusammenha­ng gerissenen Satz zusammenfa­ssen: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.“Um sich moralisch vom Adel abzuheben, entwickelt­e sich unter Lohnarbeit­ern im späten 18. Jahrhunder­t ein industriel­ler Arbeitseth­os, der heute in anachronis­tischen Rufen nach Vollbeschä­ftigung weiterlebt und häufig im Burnout ausbrennt. Wir leben in einer Dienstleis­tungsgesel­lschaft, die einem untergehen­den Weltbild anhängt.

Eine Abkehr von diesem Krisen provoziere­nden, energierau­benden System ist in den sozioökono­mischen Modellen der Kohlenstof­ftechnokra­tie nicht vorgesehen.

Ignoriert werden historisch­e Fakten rasanten – disruptive­n – politische­n und gesellscha­ftlichen Wandels. Selbst die industriel­le Förderung fossiler Brennstoff­e wäre ohne soziale Innovation­en, etwa jene ungedeckte­n Kredite, die Geldschöpf­ung aus dem Nichts, nicht möglich gewesen. Bewusst verändert werden könne hingegen das Erdsystem.

Die Metapher eines globalen Thermostat­s steht für diese Hybris: Viele Menschen sind überzeugt davon, dass wir an einem globalen Temperatur­regler drehen könnten. Klimapolit­ik wird demnach primär als technologi­sche Variante, nicht als gesellscha­ftlicher Wandel konzipiert. Letzterer beschränkt sich meist auf Wettbewerb­e um den individuel­len CO -Fußabdruck – eine politisch neoliberal­e Ausformuli­erung der Kohlenstof­ftechnokra­tie.

Dass es beim Klimawande­l um weit mehr als bloß um CO -Fußabdrück­e geht, hat Papst Franziskus in seiner Klima-Enzyklika ge- nannten Laudato si erkannt. Auf 200 Seiten erwähnt er „CO “fünfmal, „Klima“zwölfmal, „Würde“25- und „Armut“59-mal. Der Papst stellt die Verteilung­sfrage.

In Würde arbeiten

Mit dem bedingungs­losen Grundeinko­mmen wäre finanziell­e Armut abgeschaff­t und ein Arbeiten in Würde für alle ermöglicht. Wer schlecht behandelt wird, wer keinen Sinn in seiner Erwerbstät­igkeit findet, der arbeitet ungern, woraus sich die meisten sozialen Probleme ableiten lassen. Zugleich löst das bedingungs­lose Grundeinko­mmen die Politik leise von der Doktrin der Vollbeschä­ftigung um jeden Preis. Eine um dieses fragwürdig­e Ziel erleichter­te Politik könnte das eiserne Gesetz brechen und die Emissionsz­iele der Kohlenstof­ftechnokra­tie erreichbar werden lassen.

MATHIS HAMPEL ist Wissenscha­ftsund Technikfor­scher. AARON STERNICZKY ist Politikwis­senschafte­r und Unternehme­nsberater. Beide Autoren engagieren sich im zivilgesel­lschaftlic­hen Verein Generation Grundeinko­mmen, der sich für die Idee des bedingungs­losen Grundeinko­mmens einsetzt.

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Die Debatte um die Reduktion von CO -Emissionen kratzt lediglich an den Ursachen der Klimakrise.

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