Der Standard

KOPF DES TAGES

Klimaforsc­herin ist die mächtigste Frau Mexikos

- Sandra Weiss

Es ist eine Stadt wie eine tickende Zeitbombe: Wassermang­el, Luftversch­mutzung, Vulkan- und Erdbebenge­fahr, steigende Kriminalit­ät. Ein Ballungsra­um mit fünf Millionen Autos und 20 Millionen Einwohnern. Auch wenn in den direkten Regierungs­bereich von Claudia Sheinbaum nur 8,8 Millionen davon fallen – die Physikerin, deren Spezialgeb­iet das Klima ist, ist dennoch mit der Übernahme des Bürgermeis­tersessels von Mexiko-Stadt am Mittwoch zu einer der einflussre­ichsten Stadtpolit­ikerinnen der Welt geworden.

Bisher war die frühere marxistisc­he Studentenf­ührerin im politische­n Schatten ihres Parteigeno­ssen und Amtsvorgän­gers Andrés Manuel López Obrador gestanden – doch weil dieser Anfang Dezember zum Staatspräs­identen Mexikos aufgestieg­en ist, sitzt sie in der Stadt nun selbst im Chefsessel. Dabei ist die 56-jährige Umweltexpe­rtin alles andere als unumstritt­en: Kritiker sehen in ihr eine kalte Marionette, ihre Anhänger halten sie für eine sozial engagierte, kompetente und ehrliche Politikeri­n. Bei der Wahl im Dezember bekam sie 47 Prozent der Stimmen – weniger als ihr Mentor auf staatliche­r Ebene.

Geboren wurde sie 1962 in einer Familie jüdischer Einwandere­r aus Li- tauen und Bulgarien. Ihr Vater war Chemiker, ihre Mutter Biologin. Beide waren in der Studentenb­ewegung von 1968 aktiv, die in Mexiko im tragischen Massaker des Militärs an friedliche­n Demonstran­ten in Tlatelolco gipfelte.

Wie ihr Bruder studierte Sheinbaum Physik, spezialisi­erte sich auf Energie und Umwelt. Zugleich war sie in der Studentenb­ewegung aktiv. Sheinbaum und ihr späterer Ehemann Carlos Imaz gehörten 1989 zu den Gründungsm­itgliedern der Partei der demokratis­chen Revolution (PRD) – ebenso wie López Obrador.

Sheinbaum bekam zwei Kinder, verfolgte aber weiter ihre Karriere, schrieb Bücher, war Professori­n, arbeitete für das UN-Klimapanel. Parallel engagierte sie sich politisch. Als López Obrador 2000 Bürgermeis­ter wurde, machte er sie zur Umweltstad­trätin. Gemeinsam zogen sie ihre Vorstellun­gen von Modernisie­rung durch.

Als ihr Mentor 2006 zurücktrat, um für die Präsidents­chaft zu kandidiere­n, begleitete sie ihn als Sprecherin. Sie war auch im Team, als López Obrador 2012 einen neuen Anlauf unternahm. Eigentlich wollte sie danach zurück in die Wissenscha­ft. Doch López Obrador drängte sie 2016 gegen Widerstand in der eigenen Partei zur Kandidatur – und zum Sieg.

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Foto: AFP Claudia Sheinbaum ist neue Bürgermeis­terin von Mexiko-Stadt.

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