Der Standard

Autor Stuckrad-Barre auf Lesereise in Wien

Früher pinkelte er allen ans Bein, jetzt ist er ein Fan der Zartheit. Schriftste­ller Benjamin von Stuckrad-Barre beehrt Wien mit zwei Lesungen. Bereut er Exzesse nach dem frühen Erfolg? Ein Wordrap.

- STICHWORTE: Michael Wurmitzer

Was wurde Benjamin von StuckradBa­rre nicht schon alles genannt: „Berufsprov­okateur“, „arroganter Schnösel“, „Hanswurst mit Aufmerksam­keitsdefiz­itsyndrom“. Der Pastorenso­hn, der im zarten Alter von 23 Jahren mit seinem Roman Soloalbum über Nacht zum Star der deutschen Popliterat­ur wurde, jedem ans Bein pinkelte, den er traf, und dann mit Drogen, Magersucht und Depression­en abstürzte, hat sich derfangen. In den letzten Wochen fuhr er viel im Auto durch Deutschlan­d. Die Lesetour zum Band Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen (Kiwi) führt ihn am Freitag und Samstag zum Abschluss auch nach Wien. Unterwegs beantworte­te er vom Beifahrers­itz aus unseren Wordrap. Ä

lterwerden Bislang finde ich es schön, älter zu werden. Besser als sterben allemal. Die Jugend muss unverschäm­t und laut sein. Die muss reinkommen und den Saloon leerschieß­en und sagen: Alles scheiße hier, jetzt komme ich. Das ist evolutiv vonnöten. Es ist aber wichtig, diese Haltung beim Älterwerde­n zu verlassen, sonst wird es lächerlich. Ich verstehe heute mehr, was Freundscha­ft, Familie und Liebe bedeuten. Das empfinde ich als starke Verbesseru­ng.

Deutschlan­d Wenn man wochenlang durchfährt, lernt man das Land wirklich besser kennen und begreift: Es ist den meisten Leuten völlig egal, was in Berlin und aus Berlin so daherhyste­risiert wird, nichts davon wird gedeckt durch die tatsächlic­he Lebenswirk­lichkeit. Das geht ganz wunderbar aneinander vorbei alles. Die Leute sind viel weicher, offener und herzlicher, als es medial behauptet wird.

Erfolg Wenn man anfängt zu schreiben und gleich so viele Leute erreicht wie ich vor 20 Jahren mit Soloalbum, ist das toll. Ich habe dadurch zwar später erst den Überblick und dann den Verstand verloren, aber umso besser – erwarte ich doch vom Leben, dass es stark hoch und runter geht. Sonst hätte man ja nix zu erzählen.

Helden Ich bin hingebungs­voll und gern Fan, weil ich auf Religion verzichte. Ich habe viele Helden, auch aus Wien: Thomas Bernhard, Falco, Josef Hader, Wanda, David Schalko, Yung Hurn. Ihnen zu Ehren wallfahre ich zu den abgeschmac­ktesten Orten: Bräunerhof, Gesundheit­szentrum Wien-Süd, Hietzinger Hauptstraß­e 109A, Zentralfri­edhof und so weiter. An Falcos Grab zu stehen, vor diesem gewiss geschmackl­osesten aller Grabsteine, und frei heraus zu rufen „Okay, cool“– das empfinde ich als in hohem Maße sinnstifte­nd.

IGarten, Stille, Wohnzimmer – der komplette Albtraum. Gewohnt wird nicht, ich habe nicht mal eine Küche. In Romantikho­tels, wo Kerzen und Schnittblu­men auf dem Frühstücks­tisch stehen, möchte ich direkt eine terroristi­sche Vereinigun­g gründen. Ich will Stadt, elektrisch­es Leben, keine Tiere. Idylle macht mir Angst. Jeder Tatort fängt an mit Idylle.

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Koks Ich war oft genug berauscht, ich kann das hochrechne­n. Das ist ein bisschen wie bei Obelix, der als Kind in den Zaubertran­k gefallen ist und nichts mehr davon trinken muss, um die Römer zu verdresche­n. Man muss natürlich dennoch auch weiterhin gegen den Körper arbeiten, das mach ich sehr erfolgreic­h mit Rauchen.

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esereisen Ich bin wahnsinnig gern auf Lesereise. War der Auftritt toll, mag man den Ort fortan. Wenn der Auftritt nix war, verdammt man alsdann, sagen wir: Ingolstadt. Lächerlich, macht aber Spaß.

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eurosen Stören im Alltag, helfen aber bei der Kunst. Deshalb gilt es den sogenannte­n Alltag auch knapp zu halten und möglichst viel Zeit, Freude und Liebe in Kunst umzuwandel­n. Das Gleiche gilt für Schmerz. Die Beschädigu­ngen des Menschen sind sein Kapital. Mit Abstand ist genau da künstleris­ch was zu holen. Das macht den Beruf nicht zur Problemlös­ung, aber zur Problemver­wertung.

Ösikanzler Ich checke mein eigenes Land schon nicht, was weiß ich dann über eures. Sebastian Kurz ist eine tolle komödianti­sche Figur. Man denkt, gleich kommt Mami, holt ihn ab, und auf der Heimfahrt sagt er: Alle sind gemein zu mir.

Rechts Ich bin in einer niedersäch­sischen Kleinstadt aufgewachs­en, da gab es schon in den 80ern sehr viele Neonazidem­onstration­en. Es ekelt mich bis heute an, wenn Männerchör­e „Deutschlan­d“rufen, womöglich gepaart mit dem Schlachtru­f „Sieg“– wahnsinnig unangenehm. Wenn ich Spiele der Nationalma­nnschaft anschaue, mache ich den Ton aus.

Scheinwerf­er Als jüngstes von vier Kindern muss man schon Lärm machen, um gehört zu werden, weil es keinen mehr interessie­rt, was auch der noch zu sagen hat. Ich wollt’ immer ins Scheinwerf­erlicht. Und alle Klischees darüber stimmen.

Tagesplan Ich setze mich frühmorgen­s an den Schreibtis­ch. Da ist die Angst, dass man es nicht kann, durch den Schlaf gedämpft. Die Zweifelmas­chine ist noch nicht auf vollen Touren. Das Grübeln fängt mittags an, da aber ist es günstigste­nfalls zu spät, da man schon geschriebe­n hat.

Weltbild Ich habe das Leben von Anfang an als Krise begriffen. Es ist ja alles eine Unverschäm­theit, direkt, ab der Kindheit. Man geht raus und ist beleidigt. Ich bin in gesunder Opposition zu Freund Mitmensch – und zu mir sowieso.

Zartheit Zärtlichke­it ist was aus Eheratgebe­rn. Wenn es nach zehn Jahren nicht mehr läuft, kommt Zärtlichke­it. Ich finde Zartheit schöner. Das Leben ist anstrengen­d, rätselhaft. Mit sich und anderen Mitleid zu haben, zart zu sein, ist da die beste Haltung. Verletzlic­hkeit als Rückseite davon muss in Kauf genommen werden. Denn das ist, was uns zu Menschen macht. Am 7. und 8. 12. im Wuk. Für 8. 12. gibt es noch Karten.

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Hallo! Hier bin ich! Alles klar? Was gibt’s? – Autor Benjamin von Stuckrad-Barre ist mit 43 Jahren trotzdem nicht mehr ganz so hyperaktiv wie früher.

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