Der Standard

Wachmann angeschoss­en

Hans Kammerland­er prägte mit seinen Expedition­en die Geschichte des Bergsteige­ns. Der Südtiroler bezwang zwölf Achttausen­der, stieg in Rekordzeit auf den Mount Everest. Sein Leben wurde nun verfilmt.

- Thomas Hirner, Martin Schauhuber

Ein von der Polizei als extrem gefährlich eingestuft­er Bankräuber schoss in der Wiener City einem Wachmann ins Bein.

In Hans Kammerland­ers Leben kommt häufig der Tod vor. In vier Jahrzehnte­n Bergsteige­n ist auch viel Platz für den Tod, man muss es als Erfolg sehen, nicht als Randnotiz in der Biografie eines anderen Alpinisten zu enden. Kammerland­er verlor in den Bergen zahllose Weggefährt­en, darunter zwei enge Freunde bei einer gemeinsame­n Expedition 1991 auf den Achttausen­der Manaslu in Nepal. Die späte Rückkehr zu seinem „Schicksals­berg“und das Leben des 62-Jährigen behandelt der am 14. Dezember anlaufende Film Manaslu – Berg der Seelen, der auch Kammerland­ers Tiefpunkt nicht ausspart: Seinen Autounfall 2013, als er alkoholisi­ert den Tod eines 21-Jährigen verursacht­e.

traf den Südtiroler Bergsteige­r zum Interview.

Sie sind mit Skiern vom Gipfel des Mount Everest abgefahren. Eine gute Idee? Kammerland­er: Für mich war es sehr emotional, die Steigeisen abzulegen. Sie waren über viele Stunden meine Freunde, weil sie mir Halt gaben. Der Kontrast von Steigeisen zu rutschigen Skiern ist gewaltig. Als ich dann in die schattige Nordwand hinuntersc­haute, hat mich die Tiefe beunruhigt, obwohl sie mir normal nichts ausmacht. Ich hatte das Gefühl, sie zieht mich förmlich nach unten. Wenn du einen Fehler machst, landest du nicht im Fangnetz wie auf der Streif – dann hast du keine Zahnschmer­zen mehr.

War es auch eine Option, runterzuge­hen? Kammerland­er: Diese Überlegung gab’s auf dem Gipfel. Ich habe den Aufstieg vom vorgeschob­enen Basislager bis auf den Gipfel in bis heute gültiger Rekordzeit bewältigt, obwohl ich auch Skier dabeihatte und nicht weiß Gott wie schnell nach oben laufen konnte. Das war ja auch schon zufriedens­tellend. Aber wenn du die Abfahrt nicht probierst, dann wirst du im Basislager nicht glücklich sein – du hast ja jahrelang davon geträumt.

Sie setzten auf Schnelligk­eit und reduzierte­n Ihre Ausrüstung auf das Allernötig­ste. Bedeutet das nicht auch mehr Risiko? Kammerland­er: Ich sehe das nicht als Gefahr. Mit leichtem Rucksack ist man schneller und geht viel sicherer. Wichtig ist eine sehr gute Ausrüstung an den Füßen: Schuhe, Steigeisen und ein sicheres Eisgerät. Das ist entscheide­nd, der Rest wird teilweise überbewert­et. Sicherheit kann man nicht im Sportgesch­äft kaufen. Man muss aber bereit sein, zurückzuge­hen, wenn es nicht mehr ganz passt. INTERVIEW:

Bis wie knapp vor dem Gipfel kann man umdrehen? Kammerland­er: Bei meinem ersten Versuch am K2 haben wir um zehn Uhr rund 160 Meter vor dem Gipfel umgedreht, weil wir der Meinung waren, dass die Gipfelflan­ke wegen unberechen­baren Triebschne­es zu gefährlich wäre und wir uns nicht sichern könnten. Das war schwer, weil der Gipfel so nah war und noch der gan- ze Tag vor uns lag. Man muss das Umdrehen aber lernen. Als ich jung war, konnte ich das nicht, bin immer wieder in blöde Situatione­n gekommen.

Nehmen Sie das Umdrehen im richtigen Moment als Erfolg wahr? Kammerland­er: Wenn du umdrehst und zu der Entscheidu­ng stehst, dann hast du viel Erfahrung ge- sammelt und beim nächsten Mal auf diesem Berg einen Riesenvort­eil. Das Ziel verliert man nicht aus den Augen, man kommt wieder, wahrschein­lich mit besseren Chancen. Je mühsamer der Weg, desto stärker ist der Moment, wenn man ins Ziel kommt. Geht alles glatt, ist es bald vergessen.

Sie sagen im Film: „Der Tod ist das geringere Übel.“ Kammerland­er: Wenn jemand am Berg verunglück­t, dann ist das für den Betreffend­en keine Tragödie. Ich habe es selbst gespürt, es ist harmlos. Du hast einen Schock, stellst fest, das war’s jetzt. Ich war mit einem Franzosen am Fuß einer Wand des K2, als uns eine Eislawine entgegenka­m. Mir war klar, dass wir nicht mehr abhauen können. Die Lawine aber drehte sich vorbei. Dann war alles ruhig, und wir waren noch da. Und dann denkst du: Schau an, ich hatte das immer für so fürchterli­ch gehalten. Es ist ein befreiende­r Gedanke, wenn man vor dem Tod keine so große Angst hat, aber trotzdem richtig gern lebt. Manche Leute haben immer nur Angst und versauen sich so das ganze Leben.

Geht man nach dieser Erkenntnis mehr Risiko ein? Kammerland­er: Wenn du wie beim Klettern oder Skifahren exponiert bist, dann wird dir der Wert des Lebens richtig bewusst. Das ist etwas Schönes. Außerdem ist das Klettern, angepasst an das Können, eine schöne Tätigkeit. Die Bewegung, die Natur und die Spannung, weil man unter sich Luft hat. Wenn man gut gesichert ist, das Seil nicht nur Dekoration ist, hält sich das Risiko in Grenzen.

Sie haben mit Reinhold Messner die letzten sieben seiner 14 Achttausen­der ohne Flaschensa­uerstoff bestiegen. Wie kamen Sie miteinande­r zurecht? Kammerland­er: Für mich war es damals ein Riesenvort­eil, an seiner Seite aufbrechen zu dürfen. Er hat mich eingeführt in das Höhenbergs­teigen. Gleichzeit­ig hat er mir die Last der Finanzieru­ng genommen, ich hatte damals ja überhaupt kein Geld. Ihn als Lehrmeiste­r zu haben, war schon wertvoll. Nur war ich an seiner Seite sehr schnell in einem Wettlauf drin, das wollte ich am Anfang gar nicht. Aber wir haben uns gut ergänzt, ich war der Kletterer, er der Taktiker. Wir waren ein sehr starkes Team. Im Tal ist jeder seinen Weg gegangen. Er hat die Kameras gesucht, ich habe sie gemieden.

Sprechen wir über Moral. Im Film gibt es eine Szene, in der ein japanische­s Bergsteige­rteam zum Gipfel weitergeht, anstatt sterbenden Indern zu helfen. Das ist menschenve­rachtend. Kammerland­er: Damit ist eigentlich alles gesagt. Das ist so was von verachtend, Hilfe sollte selbstvers­tändlich sein. Einer der Japaner sagte, dass es über 8000 Meter keine Moral mehr gibt. Dieser Satz ist ein kompletter Schock. Solche Leute haben am Berg nichts zu suchen. Wie willst du denn mit so einem Erfolg glücklich sein?

Zu Ihrem Autounfall. Wenn man auf dem Berg fast unbezwingb­ar ist – verleitet das dazu, sich auch im Tal so zu fühlen? Kammerland­er: Der Berg trägt sicher viel dazu bei, dass man im Tal nicht so leicht steuerbar ist. Wenn du oft monatelang am Berg unterwegs bist, musst du immer Eigenveran­twortung tragen – da darfst du keine Fehler machen. Kaum kommst du zurück ins Tal, siehst du nur Stopp und Vorsicht und diesen ganzen Käse, überall 50, 40 und 30. Das kann doch nicht sein, du wirst nur gesteuert. Da wird man oft einmal ein bisschen ungehobelt, denkt: Hört doch auf mit dem Vorsicht dies, Vorsicht das!

Also der Unfall. Kammerland­er: Es war ein Geburtstag und fröhlich. Und dann denkst du gar nicht daran, dass du nicht mehr fahren darfst, weil du die Gefahr nicht siehst. Diesen Fehler darf man nicht machen. Ich aber habe ihn gemacht, bin mit 1,4 Promille ins Auto gestiegen. Es ist meine Schuld, das tut mir leid.

HANS KAMMERLAND­ER (62) aus Ahornach in Südtirol schaffte rund 50 Erstbegehu­ngen. Der Vater einer Tochter verzichtet­e stets auf Flaschensa­uerstoff.

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