Ein Sir tischt für alle auf
Ex-Beatle Paul McCartney erinnerte mit einem dreistündigen Auftritt in der Wiener Stadthalle daran, dass er unsere popkulturelle DNA maßgeblich mitprogrammiert hat. Ein Fest für die ganze Familie.
Schon vor dem Konzert Rekordverdächtiges: Die Schlangen mit den Besuchern des ersten von zwei ausverkauften Auftritten von Paul McCartney winden sich am Mittwochabend in noch nicht gesehener Länge um die Wiener Stadthalle und den Märzpark. Drinnen verbrät ein DJ am Laptop alles, was ihm unter die Finger kommt, Get Back und Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band inklusive. Wir lernen: Beatles-Songs halten auch das locker aus.
Das atonale Crescendo von A Day In The Life und die fast schon sakral auf der Videowall in Szene gesetzte legendäre Höfner-Bassgitarre schwören auf die Ankunft des Meisters ein.
Der beginnt mit einem Knaller: „It’s been a hard day’s night, and I been working like a dog.“Das kennen alle und sorgt nicht nur vom Fleck weg für Standing Ovations, sondern für einen Stage-Rush gleich zu Beginn. Ein beträchtlicher Teil des Publikums im Parkett wird den Abend stehend verbringen. Und das, obwohl die Arbeit für den 76-jährigen Mann in blauer Jacke, wie eh und je leicht in die Knie gebeugt, erst beginnt und fast drei Stunden dauern wird.
Beatles-Klassiker
Nach einem jüngeren Song, Save Us, wird mit Can’t Buy Me Love ein weiterer Beatles-Klassiker nachgelegt, in knackigem Arrangement. Das sitzt. Nicht zuletzt dank einer formidablen vierköpfigen Band. Drei Multiinstrumentalisten sorgen dafür, dass kein Gramm Fett an den Songs klebt. Der bullige Drummer Abe Laboriel Jr., der aussieht wie ein Sumoringer, legt ein rhythmisches Fundament aus, das alle verlässlich trägt, auch bei jüngeren Songs wie Who Cares oder Come On To Me vom aktuellen Soloalbum Egypt Station.
Der Parcours führt durch Ausschnitte aus der oft sträflich unterschätzten Solokarriere des ExBeatles, darunter einst mit den Wings eingespielte Songs wie Let ’Em In oder Nineteen Hundred and Eighty Five, natürlich Band On The Run. Für Letting Go positionieren sich drei Bläser im Publikum, lassen den abgründigen Song wie Motown-Soul klingen.
Kernige E-Gitarren-Riffs
Beim Wings-Song Let Me Roll It greift McCartney nach dem Ausziehen der Jacke, seinem einzigen Garderobenwechsel, zur E-Gitarre. Der einstige Beatles-Bassist erinnert daran, dass er auch auf sechs Saiten ein Meister kerniger Riffs war und ist. Das Gitarrengastspiel kulminiert in Foxy Lady, verbeugt sich vor dem Weggefährten Jimi Hendrix.
Als McCartney zur akustischen Gitarre greift, steht er mit seinen Begleitern wie mit einer SkiffleBand aus den Anfangstagen seiner Karriere auf der Bühne. Eine Versuchsanordnung, die für einige der schönsten und stimmigsten Momente des Abends sorgt. Und das nicht nur beim Beatles- vulgo Quarrymen-Debütsong In Spite Of All The Danger oder Klassikern wie I’ve Just Seen A Face oder Love Me Do, sondern auch bei weniger abgehangenen Songs wie Dance Tonight, für das Sir Paul die Mandoline auspackt.
Das wäre alles mehr als genug. Paul McCartney ist aber Paul McCartney und geht die Extrameilen. Er spricht Deutsch beziehungsweise, wie er betont, „Österreichisch“, lässt sich für ein akustisches Blackbird, das dank Altersspuren in der Stimme noch schöner wirkt, in den Hallenhimmel fahren. Mit Something an der Ukelele wird George Harrison beschworen, mit Here Today John Lennon. Beim James-Bond-Titel geht ein Feuerwerk auf der Bühne los. Dazwischen liest McCartney im Publikum hochgehaltene Plakate ab. „Never stop doing what you love“, steht auf einem davon. Kein Zweifel, auf wen in der Halle das auf jeden Fall zutrifft. Der Altersschnitt ist im Übrigen niedriger, als das Vorurteil meint. McCartney legt seinen Auftritt mit insgesamt 38 Songs als üppiges Mahl an, bei dem für alle etwas dabei ist. Ganze Familien sind offenbar gekommen, um die Einladung anzunehmen. Ein Sperrfeuer von Songs wie Back in the U.S.S.R., Let It Be und Hey Jude erinnert daran, dass der Mann unsere popkulturelle DNA in wesentlichen Teilen mitprogrammiert hat.
Zu den Zugaben kommt McCartney mit einer ÖsterreichFahne auf die Bühne, die Bandkollegen mit dem Union Jack und einer Regenbogenflagge. Nach Birthday darf dann auch noch ein US-amerikanisch-kanadisches Pärchen dank seiner Plakate auf die Bühne und lässt uns Zeuge eines Heiratsantrags werden. Wem das dann doch alles ein wenig zu viel wird, für den kommt Helter Skelter gerade richtig. Sir Paul kann auch laut und schmutzig. Das ist gut und tut gut. Sehr gut sogar. Helter Skelter geht immer noch als eine giftige Keimzelle des Hard Rock durch.
„Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist“, erklärt uns McCartney auf Deutsch und setzt zu einem imposanten Finale an. Das ineinanderfließende Triumvirat von Golden Slumbers, Carry That Weight und The End fungierte schon auf Abbey Road als unaufhaltsamer Aufstieg zum Gipfel und tut es auch in der Wiener Stadthalle. „And in the end the love you take is equal to the love you make“, heißt es schließlich. Nach dem letzten Ton besteht keinerlei Zweifel, dass diese Gleichung für Publikum und Musiker voll aufgegangen ist.