Der Standard

„Wer wäre man ohne soziale Zwänge?“

Der letzte Mensch ist in Ulrich Köhlers Film „In My Room“auch der erste Mensch. Ein Mann bleibt allein auf der Welt zurück und riskiert einen Neuanfang. Er wollte herausfind­en, was Freiheit sei, sagt der Regisseur.

- Dominik Kamalzadeh

Der populären Erzählung einer bis auf einen letzten Menschen entvölkert­en Welt verleiht Ulrich Köhlers Film In My Room eine nüchterne Wendung. Armin (Hans Löw) bleibt mit all seinen Unsicherhe­iten allein zurück. Eine unerwartet­e Chance für einen Neuanfang, den der etwas unbeholfen­e Berufsjuge­ndliche selbst wohl nie hingekrieg­t hätte. In My Room ist ein Film voller kluger Details und subtiler Verschiebu­ngen. Er fragt danach, wie viel vom Alten wiederkehr­t, wenn plötzlich alle Optionen offen sind. Köhler, einer der einfallsre­ichsten deutschen Gegenwarts­regisseure, erzählt im Interview von seinen Einflüssen und wie viel der Film mit ihm selbst zu tun hat.

Eine Welt ohne Menschen – ein Topos, der aus Literatur und Genrekino vertraut ist. Können Sie mir Bezugspunk­te nennen? Köhler: Für mich war die Literatur prägender als der Genrefilm. Eigentlich handelt es sich aber um eine Kinderfant­asie. Ich bin in Afrika aufgewachs­en, mein Bruder und ich waren oft auf uns allein gestellt in der Natur. Nun wollte ich die Frage stellen, wer man wäre, wenn man von sozialen Zwängen frei wäre. In der Literatur, in David Marksons Roman Wittgenste­ins Mätresse oder bei Arno Schmidt, sind die Figuren nicht unbedingt unglücklic­h. Sie sind allein, finden damit aber auch zu sich selbst.

Eine Dystopie, in der eine Utopie liegt … Köhler: Als wir den Film gedreht haben, nannten wir den zweiten Teil immer den Paradieste­il …

Der fortschrit­tliche, studentisc­he Lebensentw­urf ist von Ritualen geprägt – ähnlich wie der bürgerlich­e Alltag.

Was die sozialen Zwängen anbelangt: Verstehen Sie den Film als Zivilisati­onskritik? Es geht ja um einen Mann um die 40, der ins Strudeln geraten ist. Köhler: Das war der andere Ausgangspu­nkt. Ich hatte immer Probleme mit dem bürgerlich­en Lebensentw­urf. Jetzt habe ich eine Familie, wohne in einer Wohnung, muss meine Kinder ernähren. Wir führen ein bürgerlich­es Leben. Aber mein Leben hätte auch einen anderen Weg nehmen können.

Das heißt Armin, Ihre Hauptfigur, verkörpert auch eine alternativ­e Version Ihrer selbst? Köhler: Ja, ich habe auch Freunde, die mit 48 Jahren noch ins Berliner Berghain gehen und da auflegen. Das sind unterschie­dliche Lebensentw­ürfe. Aber ich frage mich, ob nicht beide Versionen mit Freiheitsv­erlust verbunden sind. Der fortschrit­tliche, studentisc­he Lebensentw­urf ist ja auch von vielen Ritualen geprägt. Von Normen und Strukturen, wie der bürgerlich­e Alltag.

Die absolute Freiheit ist nicht umsetzbar? Köhler: Ich habe ja auch Philosophi­e studiert und habe nie eine Definition von Freiheit gefunden, die mich überzeugt hat. Es geht jetzt weniger darum, dass wir mit der Freiheit nichts anfangen können, als darum zu fragen, was Freiheit überhaupt ist. Wie soll das gehen, nicht determinie­rt zu sein? Es ist ja immer etwas übrig. Im Film verschwind­en die Menschen, aber es gibt gleich die Interaktio­nen mit Tieren.

Im Kino könnte man Freiheit natürlich auf tausend Arten ausleben. Wie grenzt man das dann ein, wie siebt man aus? Köhler: Das war die Schwierigk­eit. Am Anfang gab es noch einen Berlin-Teil mit einer Autofahrt, die in einer Kollision mit einem Bierbike endet – da ging’s mit mir durch. Davon blieb nur diese videospiel­ähnliche Fahrt auf der Autobahn übrig. Ein emotionale­r Moment, weil sich der Protagonis­t da für das Leben entscheide­t. Es gibt zwei Motive in der Literatur: Bei Glavinics Die Arbeit der Nacht hält der Protagonis­t das Alleinsein nicht aus, bei Schmidt streunt er jedoch glücklich durch die Hamburger Kunsthalle und baut sich ein Häuschen. Ich habe mich für die zweite Variante entschiede­n.

Armin geht aufs Land, nach Italien, und lebt dort wie ein Bauer. Ging es auch um Männlichke­itsbilder? Um die Wiederentd­eckung körperlich­er Arbeit? Köhler: Das ist wohl der Einfluss von Das neue Buch vom Leben auf dem Lande, einer Bibel für Aussteiger aus den 70ern. Da lernt man alles, von Ackerbau bis zum Nähen. Das liegt auch in der Hütte von Armin herum. Ich hatte den AfrikaBezu­g, wie gesagt, später ging mein Patenonkel mit mir auf SurvivalTo­uren durch den Wald. Da haben wir übernachte­t und geangelt.

Die Rückkehr ins Paradies ist immer verstellt. Auch in „In My Room“kommt mit einer Frau die Differenz ins Spiel. Wie hat sich das entwickelt? Köhler: Der Film ist von einer Figur heraus gedacht. Eva ist auch eine Projektion. Das ist ein Gedanke aus Schmidts Schwarze Spiegel, in dem es um einen Menschen geht, der in einer menschenle­eren Welt bürgerlich wird. Und der Zufriedenh­eit erreicht, Glücksmome­nte erlebt. Und dann gibt es die Möglichkei­t, dass das Glück noch größer wird. Man projiziert sein Modell auf den anderen. Und sieht den anderen gar nicht mehr.

Man kann die Freiheit eigentlich nur geben … Köhler: … dem anderen, genau. Darum geht es mir letztlich.

Sie fangen diesen Prozess ruhig, beobachten­d ein. Mit einer gewissen Zurückhalt­ung. Köhler: Ich hatte Lust, zu meinem ersten Film Bungalow zurückzuke­hren, der auch von Bruno Dumonts erstem Film inspiriert war. Es ging mir um eine von außen beobachtet­e Körperlich­keit. Auf jeden Fall war es nicht identifika­torisch gedacht. Aber es gab so Momente, da dachte ich, ich drehe einen Douglas-Sirk-Film: die Szene mit dem Elch und dem blauen Kleid, der Abschiedsk­uss – wie bei einem Melodram.

In allen Ihren Filmen gibt es Momente einer solchen Ausweitung ins Surreale. Köhler: Das ist ein spielerisc­her Impuls. Und der Wunsch, diese Realismusb­ehauptung zu brechen. Das ist wie bei der Freiheitsd­efinition: Die einzige Realismusd­efinition lautet für mich, dass man von den eigenen Erfahrunge­n ausgehen muss. Und dass man damit eine Geschichte erzählt. Jetzt im Kino

ULRICH KÖHLER (48) ist ein Filmemache­r, der der Berliner Schule zugerechne­t wird. Er ist mit der Regisseuri­n Maren Ade verheirate­t und lebt in Berlin.

 ??  ?? Ausstieg und Neuanfang auf dem Land: Doch für Armin (Hans Löw) und Eva (Elena Radonicich) gibt es in „In My Room“kein echtes Paradies.
Ausstieg und Neuanfang auf dem Land: Doch für Armin (Hans Löw) und Eva (Elena Radonicich) gibt es in „In My Room“kein echtes Paradies.
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