Der Standard

Ernten und vergewalti­gen im Garten des Herrn

Lars von Trier, famos durch die Brille von Müller und Brecht betrachtet: „Dogville“in den Kammerspie­len des Linzer Landesthea­ters

- Ronald Pohl

Als gelehrigst­er BertoltBre­cht-Schüler machte vor 15 Jahren ausgerechn­et der dänische Filmemache­r und notorische Schlechtme­nsch Lars von Trier von sich reden. In seinem Werk Dogville (2003) wurde die menschlich­e Niedertrac­ht zum Gegenstand eines fasziniere­nden Lehrstücks gemacht. Statt einer Siedlung zeigte er die Umrisse der Gebäude, statt eines „Stückes“ dessen Skizze. Erzählt wird von der Vollkommen­heit der Schöpfung und deren eher fragwürdig­en Seiten. Ein schönes Stadtmädch­en verschlägt es, unklarer Gründe wegen, in ein Dorf von US-Hinterwäld­lern. Gegen Gewährung des Bleiberech­ts macht sich Grace bei ihren Mitmensche­n unentbehrl­ich. Sie, die „Fremde“, beschämt die anderen durch die Bereitwill­igkeit, mit der sie ihnen zu Willen ist.

In den Linzer Kammerspie­len hilft jetzt ein Brecht-Schüler in zweiter Potenz, Ex-Heiner-Müller-Assistent Stephan Suschke, der sperrigen Parabel auf die Sprünge. Die Bühne zitiert das Elend der Großen Depression (Ausstattun­g: Momme Röhrbein). Hinter einer Galerie mit rostiger Brüstung prangt die Werbung einer großen Mineralölf­irma. So abgelegen kann kein Nest in den Rocky Mountains liegen, um nicht doch vom Profitstre­ben zugrunde gerichtet zu werden.

Gespielt wird wunderbar knapp und pointiert. Vom großen B. B. alias Brecht hat sich Suschke abgespickt, wie man Schauspiel­er „volksnah“zeigt, ohne „-tümlich“zu werden. Grace (Anna Rieser), die im Glitzerkle­id des „Jazz-Age“in die Provinz schlittert und bald die Pumps ablegt, um in schwere Schuhe zu schlüpfen, verkörpert den nüchternen Ernst eines Brecht-Fräuleins: mehr Johanna der Schlachthö­fe als SeeräuberJ­enny. Die Provinzler beäugen sie scheel. Doch Grace bringt als Produktivk­raft das bisschen öffentlich­e Leben (Obsternten, Unkrautjät­en, Glasputzen) überhaupt erst in Schwung. Eine herrliche Studie über Pragmatik als Grundlage jedes Arbeitseth­os.

Doch wir sprechen schließlic­h nicht über Brecht, sondern den großen Zyniker von Trier. Dörfler wie der dumpfe Obstbauer Chuck (Christian Taubenheim) waren einem schon ans Herz gewachsen, da machen sich die Männer prompt über Grace her. In der Agentin sexueller Dienstleis­tungen reift der Keim der Rache. Deren Exekution inszeniert Suschke wie das Finale eines epischen Oratoriums, als Appendix zur Maßnahme (Brecht) oder zu Mauser (Heiner Müller). Eine prächtige Aufführung zur Zeit, die die Bereitscha­ft zu Integratio­n und Nächstenli­ebe mit den Fakten von Schwäche und Niedertrac­ht neu verrechnet.

 ??  ?? Am Schluss ist auch für die langmütigs­te Dienstnehm­erin die Zeit der Abrechnung gekommen: Grace (Anna Rieser, mit Vasilij Sotke) macht Schluss mit lästigen Dörflern.
Am Schluss ist auch für die langmütigs­te Dienstnehm­erin die Zeit der Abrechnung gekommen: Grace (Anna Rieser, mit Vasilij Sotke) macht Schluss mit lästigen Dörflern.

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