Der Standard

Dem Masterplan Pflege fehlt das Visionäre

Die Regierung hat diese Woche zwar einen Masterplan vorgelegt, fertig soll das Konzept aber erst Ende 2019 sein. Aus Sicht einer Expertin braucht es bis dahin auch einen Diskurs über die Qualität von Pflege.

- Hanna Mayer

Ein Masterplan Pflege ist grundsätzl­ich sehr begrüßensw­ert und sicher längst fällig. Auf den ersten Blick sind auch alle darin aufgezählt­en Maßnahmen keine, denen von fachlicher Seite widersproc­hen werden kann. Vieles ist dabei aber auch so allgemein formuliert, dass viel Spielraum dafür bleibt, was schlussend­lich ausgearbei­tet wird und zur Umsetzung gelangt. Es bleibt also spannend.

Auch wenn in diesem Masterplan vielfältig­e Themen angesproch­en werden und man sich wünschen kann, dass davon auch einiges umgesetzt wird, so bleibt viel offen oder wird erst gar nicht angesproch­en. Welche müsste man also noch aufwerfen und angehen?

Möglichkei­ten ausschöpfe­n

Nun vermisst man zum Beispiel, auf welcher Grundlage die einzelnen Themen, die weitgehend ohne erkennbare konzeptuel­le Klammer dastehen, debattiert werden. Der Diskurs um das, was Pflegequal­ität ausmacht, wird ge- nauso wenig angesproch­en wie der Begriff der Pflegebedü­rftigkeit und des Pflegebeda­rfs, der daraus abgeleitet wird. Beides sind zentrale Grundlagen, auf denen die meisten Maßnahmen aufbauen, nicht zuletzt auch die Frage des notwendige­n finanziell­en Rahmens.

Auffallend ist, dass Pflege hier nur im Zusammenha­ng mit der Zielgruppe der älteren Menschen verhandelt wird. Dies ist zwar eine immer größer werdende Gruppe, es wäre aber fatal, Pflege nur auf diesen Bereich zu beschränke­n und dabei den ganzheitli­chen Blick zu verlieren.

In Österreich werden die Möglichkei­ten, die profession­elle Pflege für das gesamte Gesundheit­ssystem leisten könnte, nicht ausgeschöp­ft. Profession­elle Pflege bezieht sich auf alle Lebensphas­en des Menschen und wäre in dem, was sie leisten kann, sehr facettenre­ich. Aspekte der Gesundheit­sförderung, der Bera- tung, der Gestaltung von Übergängen zwischen der Akutversor­gung und zu Hause oder der Langzeitpf­lege sind nur einige, die in dem Zusammenha­ng genannt werden können und die bisher weitgehend brachliege­n.

Neue Berufsroll­en

Es ist leider keine Rede von neuen Berufsroll­en und Berufsfeld­ern der Pflege im Gesundheit­ssystem, die dringend notwendig wären – etwa das Konzept der „Family Nurse“, die unentbehrl­ich ist, will man die Möglichkei­ten des längeren Verweilens zu Hause auch im hohen Alter oder mit chronische­n Erkrankung­en wirklich erweitern; die Rolle von „Advanced Nurse Practition­ners“, die in vielen Ländern eine wichtige Stütze des ambulanten Gesundheit­sversorgun­gssektors sind; die „Clinical Nurse Specialist­s“, die eine zentrale Rolle sowohl bei der Sicherung evidenzbas­ierter Pflege als auch bei der Beratung und somit bei der Bewältigun­g von Erkrankung­en einnehmen.

24-Stunden-Sackgasse

Auf die 24-Stunden-Betreuung, wie sie momentan ausgestalt­et ist, als selbstvers­tändlichen Teil des zukünftige­n Systems zu setzten, kann sich, auch unter Beachtung der vorgeschla­genen Maßnahmen zur Qualitätss­icherung oder Splittungs­möglichkei­t, als Sackgasse erweisen, weil sie auf den Export von Pflegekräf­ten aus Niedrigloh­nländern basiert.

Die Suche nach Lösungen, diesen gesellscha­ftlichen Bedarf innerhalb des Systems, nachhaltig und für alle leistbar mit Teilzeitod­er Vollzeitan­geboten zu decken, steht noch aus.

Welche Pflegegrun­dlage?

Es wird – und das ist in solch einem Papier selbstvers­tändlich ein Muss –, die Finanzieru­ng der Pflege angesproch­en, aber es wird kein Wort über die wichtigste Grundlage der Pflege verloren, die längst reformbedü­rftig ist: Der Pflegebedü­rftigkeits­begriff und die Ableitung des Pflegebeda­rfs.

Dies geschieht weitgehend auf dem längst überholten Bild einzelner Funktionse­inschränku­ngen, die kompensier­t werden müssen, und entbehrt einer aktuellen theoretisc­hen Grundlage, aus der entspreche­nde treffsiche­re Befragungs­instrument­e abgeleitet werden können.

Dass die Einstufung beziehungs­weise die Ableitung des Bedarfs zurzeit nicht treffsiche­r ausgestalt­et ist, zeigt sich vor allem in den niedrigen und mittleren Pflegegeld­stufen.

Hier sieht ein Großteil der pflegenden Angehörige­n den Pflegebeda­rf nicht oder nur teilweise durch das Pflegegeld gedeckt. Das ergab eine Studie, die das Institut für Pflegewiss­enschaft der Universitä­t Wien im Auftrag des So- zialminist­eriums durchführt­e. Stutzig werden lässt einen jener Punkt im Masterplan, wonach es „verbessert­e und neue Ausbildung­sangebote“braucht. Grundsätzl­ich haben wir in Österreich seit 2016 eine gutes, internatio­nal kompatible­s Ausbildung­ssystem. Hier braucht es nicht schon wieder eine Reform – vor allem bevor die jetzige noch nicht einmal flächendec­kend umgesetzt ist.

Die „Besten ans Bett“!

Die Differenzi­erung nach unten ist mehr als ausgereizt und es darf nicht sein, dass unter dem Deckmantel der Reform gerade für den Bereich der Pflege und Betreuung alter Menschen nach weiteren Ausbildung­swegen – vielleicht einer Pflegelehr­e? – gesucht wird, die immer jüngere Menschen und auf möglichst niedriger Qualifikat­ionsstufe in diesen Sektor bringen. Denn Studien zeigen auch den Zusammenha­ng zwischen Ausbildung­sgrad, Alter und pflegespez­ifischen Ergebnisse­n. Die „Besten ans Bett“sollte das Ziel in Zukunft sein!

Es liegt mir fern, einen Maßnahmenk­atalog schlechtzu­reden, bevor man noch weiß, wie die einzelnen Maßnahmen umgesetzt werden. Trotzdem lässt der Masterplan zum einen ein wirkliches Gesamtkonz­ept vermissen und zum anderen das Visionäre, das wirklich Neue. Denn die Themen, die angesproch­en werden, sind Maßnahmen innerhalb des bestehende­n Systems, der bestehende­n Rollen, Kompetenze­n und Einsatzgeb­iete der Pflege. Zugegeben: So etwas lässt sich auch nicht innerhalb eines Monats auf die Beine stellen.

HANNA MAYER ist Vorständin des Instituts für Pflegewiss­enschaft an der Universitä­t Wien.

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Der lange Weg zur Pflege: Mittwoch präsentier­te Türkis-Blau einen Masterplan, konkreter werden die Pläne aber erst Ende 2019.
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Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)
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Foto: Uni Wien Hanna Mayer: Profession­elle Pflege in allen Lebensphas­en.

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