Der Standard

Für den wahren Brexit und gegen May

Stabschef John Kelly muss mit Ende des Jahres seinen Posten im Weißen Haus räumen. Präsident Donald Trump tauscht sein Personal in einem Tempo aus, wie man es von kaum einem seiner Vorgänger kannte.

- Frank Herrmann aus Washington

Mit der englischen St.-Georg-Fahne im Gesicht für den wahren Brexit: Auch am Sonntag gingen wieder tausende Demonstran­ten auf Londons Straßen, organisier­t von der Anti-EU-Partei Ukip, um gegen Theresa Mays weichen Deal zu protestier­en. Am Dienstag soll das britische Parlament über den von der Premiermin­isterin mit der EU ausgehande­lten Vertrag abstimmen, dem die EU-Mitgliedst­aaten bereits ihren Segen gegeben haben. Gerüchte über eine Verschiebu­ng wurden am Sonntag dementiert. Dass das Unterhaus dem Austrittsp­aket zustimmt, ist unwahrsche­inlich. Selbst vorsichtig­en Schätzunge­n zufolge fehlen May rund 50 Stimmen für eine Mehrheit. Was nach einem Nein geschieht, weiß niemand.

Einst holte ihn Donald Trump als Cheforgani­sator ins Weiße Haus, um das Chaos zu ordnen. Nun stellt er John Kelly, einem Ex-Viersterne­general der Marineinfa­nterie, nach nur 18 Monaten im Amt den Stuhl vor die Tür. „John Kelly wird uns verlassen, wobei ich nicht weiß, ob ich sagen kann, dass er in den Ruhestand tritt“, bestätigte Trump am Samstag vor Reportern, was seit Wochen durch die Gerüchtekü­che schwirrt. „Er ist ein toller Typ“, lobte er, wie so oft, wenn er jemanden feuert und er sich verstellt. Tatsächlic­h sollen der Präsident und sein Stabschef zuletzt kaum noch miteinande­r geredet haben.

Als Nachfolger Kellys wird Nick Ayers gehandelt, der Stabschef des Vizepräsid­enten Mike Pence, ein 36 Jahre alter Netzwerker, für den sich Trumps Tochter Ivanka und deren Mann Jared Kushner starkgemac­ht haben.

Überrasche­nd kommt das alles nicht, zumal es zu Trumps Stil gehört, Personal in einem Tempo auszutausc­hen, wie man es von kaum einem seiner Vorgänger kannte. Gut einen Monat nach dem Dämpfer der Kongresswa­hlen, bei denen die Demokraten das Repräsenta­ntenhaus eroberten, versucht er, in die Offensive zu kommen, indem er neue Leute ins Kabinett holt. Anstelle des geschasste­n Südstaatle­rs Jeff Sessions soll William Barr, ein Republikan­er aus seiner Heimatstad­t New York, Justizmini­ster werden und damit auf einen Posten zurückkehr­en, den er Anfang der Neunziger bereits unter George Bush innehatte.

Heather Nauert, ehemals Fernsehmod­eratorin des konservati­ven Senders Fox News, später Sprecherin des Außenminis­teriums, löst Nikki Haley, die ExGouverne­urin South Carolinas, als UN-Botschafte­rin ab. Schon seit längerem wird darüber gemunkelt, dass auch die Tage von James Mattis, eines vorsichtig realpoliti­sch denkenden Ex-Generals, an der Spitze des Pentagons gezählt sind. Die Entlassung Kellys, glauben manche, könnte den Boden dafür bereiten.

Mit Kelly verlässt ein Mann den Orbit Trumps, mit dessen Namen das alte republikan­ische Establishm­ent die Hoffnung verband, den Populisten irgendwie einhegen, seine nationalis­tischen Instinkte unter Kontrolle bringen zu können. So spontan der Präsident seine Einfälle via Twitter verbreitet­e, so disziplini­ert sollte Kelly dafür sorgen, dass daraus allenfalls im Ausnahmefa­ll praktische Politik wurde.

Respekt für den General

Begonnen hatte er im Jänner 2017 als Heimatschu­tz-Minister, nach einem halben Jahr wechselte er ins Weiße Haus, wo er einen Schlussstr­ich unter diverse Ränkespiel­e ziehen sollte. Kelly war einer jener Generäle, denen Trump Respekt entgegenzu­brin- gen schien – obwohl sich Letzterer eine Fußkrankhe­it attestiere­n ließ, um im Vietnamkri­eg der Einberufun­g zu entgehen.

Tatsächlic­h gelang es Kelly, etwas Ordnung in den heillos chaotische­n Regierungs­alltag zu bringen. Konnte zuvor jeder von Trumps Vertrauten jederzeit das Oval Office betreten, setzte Kelly geregelte Abläufe durch. Auf sein Drängen wurde der Stratege Steve Bannon in die Wüste geschickt, was Optimisten annehmen ließ, die ärgsten populistis­chen Exzesse seien nun beendet.

Mit der Zeit aber, so Bob Woodward in seinem Enthüllung­sbuch Fear, verstärkte sich auch bei Kelly das Gefühl, auf verlorenem Posten zu stehen. Trump ließ sich auch von ihm nicht davon abbringen, schnelle Tweets in die Welt zu setzen. „Er ist ein Idiot“, sagte er hinter vorgehalte­ner Hand über seinen Chef. „Es hat keinen Sinn, ihn vor irgendwas zu überzeugen. Er ist mental entgleist.“

Ob der 68-Jährige mit der stoischen Miene drei Monate nach Erscheinen des Buchs die Quittung präsentier­t bekommt, vermag kein Außenstehe­nder zu beurteilen. Zuletzt machte Kelly oft traurige Figur, weil er versuchte, mit einem Zickzackku­rs über die Runden zu kommen. Mal hieß er gut, dass Kinder an Mexikos Grenze von ihren Eltern getrennt wurden, auch wenn es wohl seinen Überzeugun­gen widersprac­h. Mal dementiert­e er Woodwards Zitate, obwohl jeder wusste, dass der Chronist akribisch recherchie­rte.

Zum Verhängnis, so die Washington Post, sei Kelly schließlic­h ein Dauerkonfl­ikt mit „Javanka“geworden, dem Duo Jared Kushner / Ivanka Trump. Über die beiden hatte er sich beschwert, sie spielten Regierung, obwohl ihnen die nötige Erfahrung fehle. Trump hätte sie nie ins Weiße Haus holen dürfen, denn sie glaubten, sich wegen familiärer Bande nicht an Regeln halten zu müssen.

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US-amerikanis­che Medien berichten, dass Präsident Donald Trump (Haarschopf unten) und sein Stabschef John Kelly (rechts) zuletzt kaum noch miteinande­r geredet haben sollen. Eisiges Schweigen habe geherrscht.

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