Der Standard

Das europaweit­e Netzwerk der Klimaleugn­er

Während in Kattowitz versucht wird, Regeln gegen den Temperatur­anstieg zu finden, wittern diejenigen, die den menschlich­en Einfluss auf den Klimawande­l leugnen, Morgenluft. Die Verbindung­en zwischen ihnen und rechten Parteien sind eng.

- Annika Joeres und Susanne Götze

Wer denkt, nur in den USA finden sich Leugner des vom Menschen verursacht­en Klimawande­ls in hohen Positionen, irrt. Es gibt sie auch in Europa, wie das Δtandard- Interview mit Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) am Wochenende neuerlich gezeigt hat. Eigentlich müssten die Vertreter von 196 Staaten auf der COP24 im polnischen Kattowitz aber eine schwierige Aufgabe lösen: die Ziele des Pariser Klimaabkom­mens, die Erwärmung der Erde auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, endlich in Regeln zu gießen.

Nach jetziger Lage wird kein europäisch­es Land genug CO2 einsparen, um dieses Ziel zu erreichen. Um es noch zu schaffen, müssten bald drastische Gesetze folgen – etwa Verbote von Inlandsflü­gen, Quoten für E-Autos, Grenzen beim Fleischkon­sum. Das missfällt vielen Branchen und Lobbygrupp­en. In einer monatelang­en Recherche hat sich der Δtandard auf die Suche nach den europäisch­en Leugnern des Klimawande­ls gemacht. Sie sitzen im Wiener Nationalra­t, als konservati­ve und liberale Abgeordnet­e im EU-Parlament, sie führen neoliberal­e Wirtschaft­sverbände und bestimmen die Klimapolit­ik rechtspopu­listischer und -extremer Parteien in Europa.

Der Klimawande­l ist das kommende Thema, das Letztere zusammensc­hweißt. Paktierten Parteien wie die französisc­he RN, die italienisc­he Lega Nord oder die FPÖ bislang beim Migrations­thema, vereinen sie sich nun, um Gesetze zum Klimaschut­z zu kippen. Stimmten noch vor zehn Jahren nur knapp zehn Prozent aller Abgeordnet­en im EU-Parlament gegen Klimaschut­zgesetze, könnte sich die Zahl der Neinsager ab den EU-Wahlen im kommenden Jahr verdoppeln. Laut einer noch unveröffen­tlichten Studie des Berliner Thinktanks Adelphi, die dem Δtandard exklusiv vorliegt, stimmt diese Gruppe systematis­ch gegen alle Gesetze, die klimaschäd­liche Emissionen reduzieren sollten. Auch Gesetze, um erneuerbar­e Energien zu fördern, wurden von den Leugnern im Parlament stets abgelehnt.

In keinem Lobbyingre­gister

Zwischen der Politik und privaten Initiative­n gibt es enge Verbindung­en, man kennt einander in der Szene. Zwischen amerikanis­chen, australisc­hen, kanadische­n und europäisch­en Aktivisten herrscht ein reger Austausch auf Mailinglis­ten, in Netzwerken und auf Konferenze­n. Keine der Organisati­onen ist im europäisch­en Lobbyregis­ter verzeichne­t. Außerdem erlaubt es das europäisch­e Recht Vereinen, ihre Einnahmen zu verschweig­en, und auch Unternehme­n müssen ihre Geldquelle­n nicht veröffentl­ichen. Das deutsche Europäisch­e Institut für Klima und Energie (EIKE) muss beispielsw­eise als „gemeinnütz­iger Verein“seine Finanzen nicht offenlegen. Auch marktliber­ale Institute, wie die der FPÖ und Klimaleugn­ern nahestehen­de Denkfabrik Austrian Economics Center (AEC), machen ihre Geldquelle­n nicht öffentlich. Die USGesetze sind hingegen transparen­ter: Recherchen bei der Steuerbehö­rde ergeben, dass das US-amerikanis­che HeartlandI­nstitut 2015 rund 4,6 Millionen Dollar ausgegeben hat; im Jahr 2016 waren es schon 5,5 Millionen Dollar, 2017 schließlic­h 5,9 Millionen Dollar. Ein Teil des Geldes kam von der Mercer-Foundation, die wiederum einer der größten Wahlkampfs­pender von US-Präsident Donald Trump war. Unter dem Namen „Clexit“(für „climate

exit“, Anm.) organisier­en sich Skeptiker weltweit. Ihr Ziel: Ihre Regierunge­n davon zu überzeugen, aus dem Weltklimav­ertrag auszusteig­en. Clexit hat eine Website, aber kein Impressum, einen Forderungs­katalog, aber keine Telefonnum­mer. Aber die meisten öffentlich auftretend­en Mitglieder sind oder waren in Projekten bezüglich fossiler Brennstoff­e von Unternehme­n oder Universitä­ten tätig, darunter der Direktor des niederländ­ischen Dachverban­des der Öllobby sowie Ingenieure, die für die Flugindust­rie und Kohlebergb­au arbeiten, oder Atomkrafte­xperten. Eine ebenso dubiose Vereinigun­g ist der Verein Internatio­nal Committee on Geoethics, der im Jahr 2015 in Prag gegründet wurde. Auch hier gibt es zwar eine Website, aber kein Impressum: Finanzieru­ng und Organisati­onsform bleiben im Dunkeln. Das Komitee sponsert europäisch­e Klimaleugn­erkonferen­zen.

Leugner oder zweifelnde Forscher begleiten die Klimawisse­nschaft schon seit mehr als einem Jahrhunder­t. Svante August Arrhenius war der erste Wissenscha­fter, der 1896 behauptete, die Summe an CO2 in der Atmosphäre beeinfluss­e das Klima. Der Schwede glaubte, mit doppelt so viel CO2 würde die Erde um rund fünf Grad wärmer. Die große Frage, wie „klimasensi­tiv“die Erde auf mehr Kohlendiox­id reagiere, war geboren. Über Jahrzehnte lag der erwartete Anstieg einmal höher, einmal niedriger.

Seitdem sind schwankend­e Prognosen das Einfallsto­r für Klimaleugn­er. Jede veränderte Zahl gilt für sie als Beweis, dass sich der „Weltklimar­at“IPCC irrt. Entscheide­nd ist: Alle Berichte des Weltklimar­ates und seiner tausenden internatio­nalen Forscherin­nen und Forscher gehen davon aus, dass die Erde wärmer wird. Und dass der Mensch hierfür die größte Verantwort­ung trägt. Um wie viel Grad, weiß heute niemand – die exakte Zahl spielt allerdings keine große Rolle. Denn tatsächlic­h war es in der letzten Eiszeit nur rund fünf Grad kälter als heute – jedes Grad ist also tatsächlic­h entscheide­nd.

„Antiaufklä­rungsgeist“als Problem

Anders Levermann, Forscher am Potsdamer Institut für Klimafolge­nforschung, ist kategorisc­h: Klimaleugn­er ignorierte­n die Grundlagen­physik und suchten sich Korrelatio­nen und Zufälligke­iten heraus, um ihre Thesen zu untermauer­n. „Genauso wenig wie Sie ein Kosmologe sein und gleichzeit­ig die Gravitatio­n leugnen können, genauso wenig können Sie Klimaphysi­ker sein und behaupten, CO2 habe keinen Effekt auf das Klima“, so Levermann. Dennoch ist auch er beunruhigt: „Was mir tatsächlic­h Sorge macht, ist der Antiaufklä­rungsgeist, der hinter den Klimawande­lverneiner­n steckt: Unsere Gesellscha­ft akzeptiert nicht mehr, was Fakten sind.“Zwar könne man unterschie­dlicher Meinung sein, aber nur eine faktenbasi­erte Gesellscha­ft könne auch gerecht sein. „Sonst bestimmt immer der Mächtigste, was gerade richtig ist“, so Levermann.

Längst sind Klimaleugn­er aber nicht nur unter den Rechtspopu­listen oder in pseudowiss­enschaftli­chen Zirkeln unterwegs, sondern auch an den Schaltstel­len der Macht. Der Volkswirt Charles Blankart berät die deutsche Bundesregi­erung im Wissenscha­ftlichen Beirat für Wirtschaft­sfragen. Außerdem ist er im neoliberal­en Hayek-Institut. „Die Klimawisse­nschaft basiert nur auf Vermutunge­n“, erklärt Blankart. Im wissenscha­ftlichen Beirat der Bundesregi­erung würden alle Positionen diskutiert – auch jene der Klimaleugn­er. Man sei sich beim Klimawande­l „nicht immer einig“, so Blankart, der bis 2015 auch einem Beirat der AfD angehörte.

Auch in der Hayek-Gesellscha­ft in Österreich treffen sich Menschen, die am menschenge­machten Klimawande­l zweifeln. Hayek-Präsidenti­n Barbara Kolm berät die FPÖ, hat für sie Koalitions­verhandlun­gen geführt und hält den Klimawande­l für „Panikmache“. In einer Reihe von Publikatio­nen lassen sich Hayek-Mitglieder und Gastautore­n auf der Seite des Thinktanks darüber aus, warum Klimaschut­z unnötig und die Klimawisse­nschaft ungesicher­t sei.

„Analog zur US-amerikanis­chen Szene gibt es in Europa eine Reihe von neoliberal­en Denkfabrik­en, die Ergebnisse der Klimaforsc­hung und Klimapolit­ik infrage stellen“, erklärt der Thinktank-Experte Dieter Plehwe vom Wissenscha­ftszentrum Berlin. Dass einige Marktliber­ale und Nationalis­ten beim Klimathema gemeinsam an einem Strang ziehen, überrasche kaum. „Sie befürchten beide, durch internatio­nale und europäisch­e Organisati­onen bevormunde­t zu werden“, so Plehwe. Kritik gebe es auch an der Umverteilu­ng – beispielsw­eise bei Klimahilfe­n für ärmere Länder. Die Verpflicht­ungen, die dort eingegange­n werden, so Plehwe, würden aus Sicht dieser Thinktanks die nationale Souveränit­ät zu stark einschränk­en und zu viel Geld kosten. Diesen Zusammenha­ng stellt auch die FPÖ her. In ihrem Handbuch freiheitli­cher

Politik für Führungskr­äfte erklärt die Partei: „Wir wenden uns aber auch gegen alle Bestrebung­en, unter dem Deckmantel des Klimaschut­zes den Menschen in diesem Land das Geld aus der Tasche zu ziehen.“

Diese Recherche wurde finanziell von einem Stipendium der Otto-Brenner-Stiftung und dem Fonds IJ4EU des European Centre for Press and Media Freedom und des Internatio­nal Press Institute unterstütz­t.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria