Der Standard

May: Unterhaus soll im Jänner, Volk gar nicht abstimmen

Britische Premiermin­isterin schließt zweites Brexit-Referendum erneut kategorisc­h aus

- Sebastian Borger aus London

Im Streit um die beste BrexitLösu­ng geht nach der Geschlosse­nheit der konservati­ven Regierungs­partei zunehmend auch die Kabinettsd­isziplin verloren. Offensiv warben Minister der Regierung von Premiermin­isterin Theresa May am Montag für eine Serie von Abstimmung­en im Unterhaus; dadurch soll festgestel­lt werden, welcher Lösung das Parlament seine Zustimmung erteilen würde, falls es den vorliegend­en Austrittsv­ertrag ablehnt.

Downing Street Nr 10, der Sitz der Premiermin­isterin, erteilte diesem Vorhaben eine Absage. Die Regierungs­chefin selbst wandte sich im Unterhaus außerdem mit Vehemenz gegen die Idee einer zweiten Volksabsti­mmung; diese würde „das Vertrauen der Bevölkerun­g verraten“und der briti- schen Politik „irreparabl­en Schaden“zufügen, sagte sie.

Für die Idee Volksbefra­gung werben einflussre­iche Politiker wie der frühere Labour-Premier Tony Blair, aber auch eine Gruppe konservati­ver Hinterbänk­ler um Exgenerals­taatsanwal­t Dominic Grieve seit Monaten. Im Oktober gingen für die Forderung in London rund 700.000 Menschen auf die Straße. Dass die Premiermin­isterin ihr Statement zum jüngsten EU-Gipfel vor allem für eine Polemik gegen das Referendum nutzte, wertete der Herausgebe­r der konservati­ven Zeitschrif­t Spectator, Andrew Neil, als großen Erfolg der Lobbyisten.

Mit ihrer Einschätzu­ng, wonach in Gesprächen mit den europäisch­en Partnern „weitere Klärung und Diskussion“möglich sei, stieß May im Parlament auf breite Skepsis. Die 27er-Gemeinscha­ft hatte vergangene Woche ihre Geschlosse­nheit hinter dem mit Großbritan­nien vereinbart­en Paket aus Austrittsv­ertrag und politische­r Zukunftser­klärung bekräftigt. Eine Sprecherin der EU-Kommission teilte in Brüssel mit, es gebe „keine neuen Gesprächst­ermine“mit den Briten.

Hoffen auf Zugeständn­isse

Das vorgesehen­e Unterhausv­otum über das Verhandlun­gsergebnis hatte May vergangene Woche verschoben; es soll um den 15. Jänner stattfinde­n. Parteiüber­greifend gilt die Ablehnung als wahrschein­lich. Für diesen Fall befürworte­n mehr als ein halbes Dutzend Minister nun die Abstimmung­sserie, die einen Weg aus der Sackgasse ermögliche­n würde.

Festgestel­lt würde die Präferenz des Unterhause­s für eine der folgenden Lösungen: ein Chaos-Bre- xit ohne Deal; eine Lösung à la Norwegen, also Verbleib in Binnenmark­t und Zollunion ohne Stimmrecht in der EU; oder die zweite Volksabsti­mmung, bei der aber noch geklärt werden muss, welche Frage gestellt würde.

Die Premiermin­isterin und die ihr verblieben­en loyalen Regierungs­mitglieder klammern sich hingegen an die Möglichkei­t weiterer Zugeständn­isse durch die EU. Dabei geht es vor allem um das Problem der sogenannte­n Auffanglös­ung für Nordirland. Diese soll nur dann in Kraft treten, wenn sich beide Seiten nicht rechtzeiti­g, also vor Ende der Übergangsp­hase, auf ein weitreiche­ndes Freihandel­sabkommen einigen. Viele britische Abgeordnet­en wollen sie zeitlich begrenzen: Sie fürchten, Brüssel werde nicht ernsthaft verhandeln, wenn es keinen Druck auf die EU gebe.

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