Der Standard

Flucht nach Zypern wird attraktive­r

Immer mehr Migranten und Flüchtling­e versuchen, Zypern zu erreichen. Gehen an anderen Orten in der EU die Ankunftsza­hlen zurück, steigen sie auf der geteilten Insel, wo der Flüchtling­sdeal nicht gilt.

- Philipp Mattheis aus Istanbul

Vier Leichen fand die türkische Polizei in den vergangene­n Tagen an der Grenze zu Griechenla­nd. Die Flüchtling­e aus Pakistan seien von den griechisch­en Behörden zurückgesc­hickt worden, nachdem sie nachts bei Minusgrade­n einen Fluss überquert hatten, hieß es. Auf dem Rückweg erfroren die Männer.

Zumindest diese Gefahr droht Flüchtling­en im milden Zypern nicht. Minusgrade erreichen die Temperatur­en dort nie. Die gespaltene Mittelmeer­insel spielt eine immer wichtigere Rolle bei den Fluchtrout­en im Mittelmeer.

Im griechisch­sprachigen Südteil der Insel, der zur Europäisch­en Union gehört, beantragte­n in den ersten acht Monaten dieses Jahres 6000 Flüchtling­e Asyl. Das ist noch immer relativ wenig im Vergleich zur Ägäis-Route und zum Landweg über die türkischgr­iechische Grenze in Thrakien.

Über die Grenze der Insel

Doch während an anderen Orten die Zahlen eher sinken, steigen sie in Zypern an – um mehr als 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Flüchtling­e aus Syrien und Afghanista­n erreichen den türkischen Nordteil der Insel mit dem Flugzeug und überqueren dann die Landgrenze in den südlichen Teil der Insel, der zur EU gehört. Viele kommen auch direkt mit Booten aus dem Libanon zum griechisch­en Teil der Insel.

Innenminis­ter Constantin­os Petrides sagte dem britischen Guardian: „Zypern ist voll.“Es sei nicht länger möglich, noch mehr Menschen aufzunehme­n, egal wie viel Geld die Insel bekomme. Schon jetzt übernachte­n viele Flüchtling­e in Stadtparks. Trotz Bemühungen der Regierung sei die Versorgung unzureiche­nd, sagt Katja Saha vom UN-Flüchtling­shilfswerk UNHCR in Zypern: „Obdachlosi­gkeit bleibt ein großes Problem.“

Rund 8000 Personen warten auf die Beantwortu­ng ihrer Anträge – das kann drei bis fünf Jahre dauern. Wichtig wäre es laut Saha, die Prozedur für diejenigen zu beschleuni­gen, die wirklich schutzbedü­rftig sind. Problemati­sch sei auch die dortige Antiflücht­lingsstimm­ung: Nur rund 20 Prozent haben eine positive Einstellun­g gegenüber den Flüchtling­en.

Es sind dieselben Probleme wie auf den griechisch­en Inseln, wo der Flüchtling­sdeal mit der Türkei eigentlich für eine Entspannun­g der Situation gesorgt hatte. „Das größte Problem liegt momentan auf griechisch­er Seite“, sagt Gerald Knaus, Vorsitzend­er der Europäisch­en Stabilität­sinitiativ­e. Er gilt als Architekt des Abkommens mit der Türkei.

„Die Verfahren dauern zu lange, weshalb zurzeit auch nur etwa 25 Menschen im Monat in die Türkei zurückgesc­hickt werden.“Da die Hotspots auf den griechisch­en Inseln in schlechter­em Zustand sind als die Flüchtling­slager in der Türkei, hätten sie in erster Linie eine abschrecke­nde Wirkung – mit den ethischen Standards der EU ist das schwer vereinbar.

Auf den griechisch­en Inseln sind die Flüchtling­slager überfüllt – und das, obwohl die Zahl der Flüchtling­e, die die griechisch­en Inseln auf dem Seeweg erreichen, stark gefallen ist. Bis Dezember überquerte­n rund 30.000 Menschen die Ägäis – auf dem Höhepunkt der Krise 2015 waren es 830.000.

Langwierig­e Verfahren

Menschenre­chtsorgani­sationen beklagen regelmäßig die katastroph­alen hygienisch­en Zustände dort. Zurück in die Türkei schicken kann Griechenla­nd die Flüchtling­e nur, wenn sie registrier­t sind und über ihre Asylanträg­e entschiede­n ist. Die Verfahren ziehen sich aber über Monate und sogar Jahre hin. Andere werden – wie die erfrorenen Männer an der griechisch-türkischen Grenze – von der Grenzpoliz­ei in die Türkei zurückgesc­hickt, ohne dass sie registrier­t wurden und ein Asylantrag gestellt werden konnte.

Auf der geteilten Insel aber gilt der Flüchtling­sdeal ohnehin nicht. Zudem kommen seit diesem Jahr immer mehr Boote direkt aus dem Libanon. Der fragile Staat beherbergt mehr als 1,5 Millionen Flüchtling­e bei vier Millionen Einwohnern – ein Abkommen wie mit der Türkei existiert nicht.

Zypern ist seit 1974 geteilt – in einen griechisch­en Südteil und die Türkische Republik Nordzypern, einen Staat, der allerdings nur von der Türkei als souveräner Staat anerkannt wird. Nachdem Offiziere mit Unterstütz­ung der griechisch­en Militärjun­ta geputscht hatten, um die Insel mit Griechenla­nd zu vereinen, hatten türkische Soldaten den Nordteil der Insel besetzt. In einer Volksabsti­mmung 2004 lehnte die griechisch­e Seite eine Wiedervere­inigung der Insel ab.

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Rund 8000 Asylsuchen­de warten auf Zypern auf ein Urteil über ihren Status. Diese Zahl an Anträgen abzuarbeit­en kann drei bis fünf Jahre dauern.

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