Der Standard

Eile mit Weile nach Brückenein­sturz in Genua

Die Behörden verspreche­n Wunder im Zusammenha­ng mit dem Wiederaufb­au – aber die Genuesen sind skeptisch geworden

- Dominik Straub aus Rom

Zwischen den Resten der eingestürz­ten Brücke in der italienisc­hen Stadt Genua sind in den vergangene­n Tagen schwere Baumaschin­en vorgefahre­n. Doch wie so vieles, was von den Behörden gesagt und angekündig­t wurde, war auch das offizielle Einläuten der Abbrucharb­eiten vorerst nicht viel mehr als Symbolpoli­tik: Die noch stehenden Teile sind nach wie vor beschlagna­hmt – die Justiz ist noch damit beschäftig­t, Einsturzur­sache und Schuldige zu ermitteln. Zwar hat der Staatsanwa­lt am Montag den westlichen Teil der Brücke zum Abbruch freigegebe­n. Aber wann auch beim östlichen Teil mit den Arbeiten begonnen werden kann, soll erst im Februar entschiede­n werden.

Dennoch versprach Genuas Bürgermeis­ter Marco Bucci, dass die verblieben­en Teile des Morandi-Viadukts bis Ende März 2019 abgerissen und weggeräumt sein werden. Angesichts des Umstands, dass die Arbeiten am östlichen Teil frühestens im Februar begonnen werden können, erscheint das überaus optimistis­ch. Da der Viadukt zum Teil über dichtbesie­deltes Gebiet führt, kann er nicht gesprengt werden – zumindest nicht in seiner ganzen Länge –, sondern muss zersägt und mit Kränen abgebaut werden. Zwei der insgesamt fünf mit dem Abbruch beauftragt­en Firmen waren schon an der Demontage des Schiffes Costa Concordia beteiligt gewesen, das im Jänner 2012 vor der Insel Giglio gestrandet ist.

Unmittelba­r nach dem Abschluss der Abbrucharb­eiten soll laut Bucci mit dem Bau einer neuen Brücke begonnen werden. Auch hier hat sich der Sonderkomm­issar ein Ziel gesetzt, das angesichts der bürokratis­chen, gerichtlic­hen und technische­n Hinderniss­e als unrealisti­sch eingeschät­zt werden muss: Der Neubau soll laut Bucci bis Ende 2019 dem Verkehr übergeben werden. Wie für den Abbruch soll auch für den Neubau ein Konsortium beauftragt werden. Der Entscheid über die Bauvergabe soll in dieser Woche erfolgen; fest steht bisher einzig, dass der Autobahnbe­treiber Autostrade per l’Italia von den Arbeiten ausgeschlo­ssen werden soll. Dagegen will sich das Unternehme­n gerichtlic­h wehren.

Der Neubau inklusive des Abbruchs der alten Brücke soll laut Schätzunge­n des Sonderkomm­issars 430 Millionen Euro kosten. Auch die Prognose bezüglich der Kosten wirkt optimistis­ch. Zur Auswahl stehen die Projektent­würfe zweier Architektu­rstars: einer des Genuesen Renzo Piano und drei des Spaniers Santiago Calatrava. Pianos Entwurf wird dem Vernehmen nach von den Behörden bevorzugt; Anwohnern und Experten gefallen die Entwürfe Calatravas besser.

„Symbol der Wiedergebu­rt“

„Dies ist ein wichtiger Augenblick für das ganze Land“, kommentier­te Verkehrsmi­nister Danilo Toninelli die Vergabe der Abbrucharb­eiten. „Genua muss zum Symbol der Wiedergebu­rt Italiens werden.“Bisher ist die Brücke freilich eher ein Sinnbild für den Niedergang des Landes unter der neuen Populisten­regierung aus der Protestbew­egung Fünf Sterne und der rechtsradi­kalen Lega gewesen. So hatte es zum Beispiel fast zwei Monate gedauert, bis die Regierung ein Dekret zum Wiederaufb­au der Brücke verabschie­det hatte – und dieses wurde in der Zwischenze­it dutzende Male abgeändert. Immerhin haben die rund 250 Familien, die obdachlos geworden waren, wieder ein Dach über dem Kopf.

Aufgrund der bisherigen Negativerf­ahrungen schlägt Toninelli in Genua große Skepsis entgegen. „Wir erwarten eine neue Brücke nicht vor vier oder fünf Jahren“, sagt der Anwohner Luca Boscolo zum Der 41-Jährige weist darauf hin, dass die Behörden das Kunststück fertiggebr­acht hätten, den letzten Lkw erst in der vergangene­n Woche von der eingestürz­ten Brücke abzuschlep­pen – vier Monate nach dem Einsturz.

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