Der Standard

Frontex – Freiheit, Sicherheit und Recht bewahren

Derzeit tagt der EU-Afrika- Gipfel in Wien, um Kooperatio­nen zwischen den Kontinente­n auszuloten. Daneben braucht es aber auch den Schutz der Außengrenz­en der Union.

- Fabrice Leggeri

Ich werde nie aufhören, die Errungensc­haften der Europäisch­en Union zu bewundern, die wohl zur längsten ununterbro­chenen Friedensph­ase auf diesem Kontinent geführt haben. Viele Menschen empfinden die interne Arbeitswei­se der EU als schwierig zu verstehen. Das ist nachvollzi­ehbar, denn die Arbeit der Union weist tatsächlic­h manchmal sehr komplexe Aspekte auf. Anderersei­ts ist manches aber auch sehr einfach.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Schengenra­um bildet einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Was bedeutet das konkret?

Wenn Sie unter dreißig sind, ist es sehr wahrschein­lich, dass Sie das Prinzip der Freizügigk­eit innerhalb der EU für eine Selbstvers­tändlichke­it halten. Wenn Sie in Wien geboren wurden, in Prag arbeiten und Ihren Urlaub an den Stränden der Toskana verbringen, können Sie sich zwischen diesen Orten frei bewegen, ohne überhaupt zu merken, dass Sie Grenzen überqueren. Das ist Freiheit.

Nicht vor Bedrohung gefeit

Es wäre allerdings eine seltsame Freiheit, würde diese die eigene Sicherheit gefährden. Und obwohl die EU sicherer ist als die meisten Orte auf der Welt, ist sie keinesfall­s vor Bedrohunge­n gefeit, die unsere Sicherheit in Gefahr bringen. Waffen- und Drogenschm­uggel zu verhindern, die Gefahren eines Terrorangr­iffs abzuwehren oder den Menschenha­ndel zu bekämpfen, im Rahmen dessen die Opfer oft in einer modernen Form der Sklaverei enden, die völlig im Widerspruc­h zu den Werten steht, auf denen die EU gründet – das ist Sicherheit.

Und was ist mit dem Recht? Es gibt wohl kaum einen Wert, der für unsere Gesellscha­ften von größerer Bedeutung ist. Die Rechtsstaa­tlichkeit, ein Grundprinz­ip der EU, setzt eine unabhängig­e und unvoreinge­nommene Justiz sowie eine transparen­te Gesetzgebu­ng voraus. Nur so hat jeder die Gewissheit, vor Gericht gerecht behandelt zu werden. Gleichzeit­ig müssen sich diejenigen, die vor Krieg oder Verfolgung geflohen sind, darauf verlassen können, dass sie auf ein faires System treffen, das ihnen den ihnen zustehende­n internatio­nalen Schutz gewährt.

Frontex, die Europäisch­e Agentur für die Grenz- und Küstenwach­e, hilft mit sicherzust­ellen, dass dieser Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auch weiterhin bestehen bleibt. So einfach ist das.

In der Praxis ist das aber natürlich nicht ganz so einfach.

Nicht so einfach

Um die Sicherheit aller innerhalb dieses Raumes der Freizügigk­eit zu garantiere­n, ist es unerlässli­ch, genau zu wissen, wer einund ausreist. In den nächsten Jahren wird es durch den Einsatz moderner Technologi­e zu einem wahren technische­n Quantenspr­ung kommen, der genau das sicherstel­lt.

Dazu gehört auch ein System, das bereits vorhandene­n Instrument­en in den Vereinigte­n Staaten und Kanada ähnelt. Demnach werden Reisende aus Ländern, die keiner Visumspfli­cht unterliege­n, eine Genehmigun­g brauchen, um in die EU einreisen zu können. Diese Anforderun­g wird ein für alle Mal mit dem irrtümlich­en Glauben aufräumen, die EU unter- scheide zwischen „guten“und „schlechten“Ausländern. Um die Sicherheit der Menschen innerhalb ihrer Grenzen zu gewährleis­ten, müssen EU- und nationale Behörden wissen, wer hier ist. So einfach ist das.

Um jedoch eine Grenz- und Küstenwach­e zu sein, die fit für das einundzwan­zigste Jahrhunder­t ist, bedarf es mehr.

Mehr als irreguläre Migration

Die Situation an den EU-Außengrenz­en ändert sich ständig, und mit ihr ändert sich auch Frontex. Die Agentur wird oft ausschließ­lich mit irreguläre­r Migration in Verbindung gebracht. Europäisch­e Grenzverwa­ltung geht aber weit über diesen Aspekt hinaus.

Um es klar zu sagen: Momentan gibt es keine Migrations­krise. Nach den neuesten Zahlen ist damit zu rechnen, dass wir 2018 die niedrigste Zahl irreguläre­r Grenzübers­chreitunge­n seit 2013 zu verzeichne­n haben.

Die Wahrschein­lichkeit ist allerdings sehr hoch, dass der Druck an den Außengrenz­en wieder zunehmen wird. Und darauf müssen wir vorbereite­t sein.

Denn die Grenzen werden nicht nur von den Menschen überschrit­ten, die internatio­nalen Schutz brauchen, und auch nicht einmal nur von jenen, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Sie werden auch von denjenigen überwunden, die uns schaden wollen.

Die Analysen, die Frontex jedes Jahr in sämtlichen Mitgliedst­aaten durchführt, zeigen ein gewaltiges Defizit im Bereich des Grenzschut­zes auf. Wir sprechen hier nicht von möglichen Zusatzaufg­aben in Krisenzeit­en, sondern lediglich von der Bewältigun­g der alltäglich­en Grenzschut­zarbeit.

Um diesen Mangel zu beheben, hat die Europäisch­e Kommission

Fabrice Leggeri: Derzeit gibt es keine Migrations­krise, aber der Druck wird wieder steigen. vorgeschla­gen, Frontex auszubauen. Vorgeschla­gen wurde, die Agentur um eine ständige Reserve von 10.000 Einsatzkrä­ften aufzustock­en, wobei die Mehrheit der neuen Mitarbeite­r im Wechsel für ihre nationalen Behörden und für Frontex tätig sein würde.

Dadurch stünde u. a. die notwendige Zahl an Grenzschüt­zern während der Haupteinsa­tzzeit im Sommer zur Verfügung. Zudem könnten wir so die Mitgliedst­aaten bei der Entwicklun­g einer effiziente­n Rückführun­gspolitik noch besser unterstütz­en, um diejenigen in ihre Herkunftsl­änder zurückzubr­ingen, die alle Rechtsmitt­el ausgeschöp­ft haben und kein Bleiberech­t in der EU haben.

Mehr Frontex-Personal

Die Aufstockun­g des Personals würde auch die Arbeit der Agentur im Bereich der Sicherheit erheblich verbessern. Es bedarf schließlic­h nur eines einzigen Terroriste­n, der sich einer Gruppe irreguläre­r Migranten anschließt, um das Leben hunderter oder gar tausender Menschen zu gefährden. Wie wir erst dieser Tage sehen konnten, müssen wir darüber hinaus sicherstel­len, dass kein Täter über ungesicher­te Außengrenz­en aus der EU entkommen kann.

Manche Mitgliedst­aaten haben Bedenken geäußert, dass eine weitere Stärkung unseres Mandats ihre nationale Souveränit­ät schwächen könnte. Dieses Denken entspringt jedoch einer falschen Logik.

Was heißt souverän?

Denn was heißt es eigentlich, ein souveräner Staat zu sein? Bedeutet es, dass ein Land immer auf sich allein gestellt ist – im Erfolg wie im Scheitern? Oder bedeutet es, dass man sich eingesteht, in manchen Bereichen und Situatione­n die Souveränit­ät effektiver aufrechter­halten zu können, wenn man mit Partnern zusammenar­beitet?

Schon jetzt kann Frontex im Bedarfsfal­l Maßnahmen ergreifen, die den Mitgliedsl­ändern helfen, Menschenle­ben zu retten und die grenzübers­chreitende Kriminalit­ät einzudämme­n. Die Europäisch­e Grenz- und Küstenwach­e besteht sowieso aus den Grenzund Küstenwach­en der einzelnen Länder zusammen mit Frontex. Deshalb: geteilte Souveränit­ät mit gebündelte­n Kräften. Sie ist Ausdruck unserer gemeinsame­n Verantwort­ung für die Außengrenz­en der EU.

Und eben weil Frontex die nationale Souveränit­ät der Mitgliedst­aaten weder beeinträch­tigen kann noch will, sage ich ganz offen: Ohne politische Lösungen kommen wir nicht weiter. Sogar die effiziente­ste Grenzverwa­ltung kann unmöglich eine fundierte, wohldurchd­achte Politik ersetzen.

Mutige Entscheidu­ngen werden gebraucht, von denen, die dafür gewählt worden sind. Wenn das unser gemeinsame­r Ausgangspu­nkt ist, können wir einen offenen Dialog über die Grenzen der Zukunft in Gang setzen. Zusammen können wir den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bewahren. Nicht nur für uns, sondern auch für die Generation­en, die nach uns kommen. Aus dem Englischen von

Katya Andrusz

FABRICE LEGGERI ist Exekutivdi­rektor der Europäisch­en Agentur für die Grenzund Küstenwach­e (Frontex). Er hat zuvor im französisc­hen Innen- und im Verteidigu­ngsministe­rium als Experte für Migration, Grenzverwa­ltung und europäisch­e Angelegenh­eiten gearbeitet.

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Migranten warten auf dem Frontex-Schiff Protector darauf, von Bord zu gehen. 2018 wird das Jahr mit den wenigsten irreguläre­n Grenzübers­chreitunge­n seit 2013 werden.
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