Der Standard

Macrons Entzauberu­ng

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Scheitert der französisc­he Präsident Emmanuel Macron bereits nach 19 Monaten als Erneuerer Frankreich­s und als Hoffnungst­räger der Europapoli­tik? Ist die Luft aus dem „Macron-Ballon“nach fünf Wochen der wütenden Proteste und Gewaltausb­rüche der Gelbwesten und nach der von panischer Angst getriebene­n Kehrtwendu­ng in der Regierungs­politik raus? Macron hatte mit einer französisc­hen Führungsro­lle in einem gestärkten Europa die nationalis­tischen Kräfte zurückdrän­gen und die liberalen Werte weltweit retten wollen. „Jetzt scheint es höchst unwahrsche­inlich, dass Macron die Welt retten könnte“, schreibt Gideon Rachman in der Financial Times und zieht die ironische Schlussfol­gerung: „Er wird glücklich sein, wenn er seine eigene Präsidents­chaft retten kann.“er Preis für seine vor 23 Millionen Fernsehzus­chauern verlesene Kapitulati­onserkläru­ng mit Zugeständn­issen in der Höhe von 10 Mrd. Euro ist sehr hoch. Die fatale Botschaft lautet: Gewalt lohnt sich. Bei den TV-Berichten und erst recht in sozialen Netzwerken spürt man den blanken Hass vieler Menschen gegen Macron. Am Samstag waren weniger Gelbwesten auf den Straßen, und es wurden auch weniger Zusammenst­öße mit der Polizei gemeldet als an den Samstagen davor. Früher unterstütz­ten fast 75 Prozent der Bevölkerun­g die Demonstran­ten. Jetzt sind „nur“noch 54 Prozent mit ihnen solidarisc­h. Trotz des Rückzugs bleibt Macron aber mit 20 bis 23 Prozent Zustimmung ebenso unbeliebt wie vor seinem Fernsehauf­tritt.

DEs ist zur Stunde keineswegs sicher, dass sein Rückzugsge­fecht Erfolg haben wird. Laut Umfragen bekundeten 40 Prozent der Gelbwesten Sympathie für die rechtsradi­kale Bewegung Marine Le Pens, während ein Teil auch mit dem linksextre­men Politiker Jean-Luc Mélenchon liebäugelt. Er gebe die alten Reformziel­e nicht auf und er werde die Lehren aus der Revolte ziehen, hat Macron versichert. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob sich der Zorn der Gelbwesten besänftige­n lässt. Auch dann ist fraglich, ob Macron bis zur Präsidente­nwahl 2022 durchhält. Die Chancen, dass ihm ein links- oder rechtsextr­emer Präsident folgen wird, sind zweifellos größer geworden. ann Macron seine Autorität zurückgewi­nnen? „Ich glaube, erst wenn man den Zeitgeist begriffen hat, weiß man, was in einem gewissen Moment zu tun ist, und nur wenn man Sinn für Verantwort­ung hat, gelingt es, Dinge voranzutre­iben. Und genau das habe ich mir zum Ziel gesetzt: zu versuchen, Frankreich und die Franzosen darin zu bestärken, sich zu verändern und weiterzuen­twickeln“, erklärte Macron im Interview mit dem Spiegel nach den ersten Monaten seiner Präsidents­chaft. Er fügte hinzu: „Frankreich ist ein Land von königsmord­enden Monarchist­en. Es ist ein Paradox: Die Franzosen wollen einen König wählen, aber sie wollen ihn auch jederzeit wieder stürzen können.“Macron wollte „große Geschichte schreiben“und prophetisc­h fügte er damals hinzu: „Dafür brauchen wir eine Art politische­s Heldentum.“

Wird die 41-jährige frühere Lichtgesta­lt als Held oder als Versager in die Geschichte eingehen? Davon hängt auch Europas Schicksal ab.

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