Der Standard

Was Orbán verlernt hat

- Gerald Schubert

Wer sich eine Welt aus Jasagern baut, wird bald blind für die eigenen Grenzen. Ungarns nationalko­nservative­r Premier Viktor Orbán muss das dieser Tage wieder einmal schmerzlic­h zur Kenntnis nehmen. Bereits vor einigen Jahren ruderte er nach massiven Protesten gegen eine geplante Internetst­euer kleinlaut zurück. Nun ist es ein neues Arbeitszei­tgesetz, das wütende Demonstran­ten auf die Straße bringt – und für einen Schultersc­hluss der ansonsten zersplitte­rten Opposition sorgt.

Warum scheint ausgerechn­et Orbán mit seiner soliden Wählerbasi­s der Seismograf für drohende Beben zu fehlen? Wieso war ihm nicht klar, dass der rasante Anstieg möglicher Überstunde­n auch den Unmut vieler Arbeitnehm­er auslöst, die ihm einst ihre Stimme gegeben hatten?

Die Antwort: Orbán hat verlernt, wie man gesellscha­ftliche Debatten führt. Kompromiss­e im Parlament hat er nicht nötig, gegängelte Medien üben keine Kritik, eine weltoffene Uni wird aus dem Land geekelt, angebliche Bürgerbefr­agungen strotzen vor Suggestivf­ragen. Und wenn sich doch einmal Widerstand regt, dann heißt der Sündenbock – wie auch im Fall der jüngsten Proteste – George Soros.

Noch lässt sich schwer einschätze­n, ob die neue Bewegung, die von links bis ganz rechts reicht und mittlerwei­le auch auf die Korruption zielt, Orbán langfristi­g schaden kann. Sicher ist nur: Die Gesprächsv­erweigerun­g als politische­s Konzept hat auch in Ungarn keine Zukunft.

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