Der Standard

Angst vor Deflation

In der Eurozone ist das Tempo des Preisansti­egs im November überrasche­nd gesunken – ein Rückschlag für die Währungshü­ter in Frankfurt. Deren Kampf gegen das Schreckges­penst Deflation geht ungebremst ins neue Jahr.

- Leopold Stefan

Im Kampf um Nachkommas­tellen fließen derzeit Billionen von Euro. Die Rede ist von der Inflation in der Eurozone und dem Versuch der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), ihren Zielwert von knapp unter zwei Prozent aufrechtzu­erhalten. Eigentlich war man heuer auf einem guten Weg bei der Preisenent­wicklung. Doch am Dienstag verlautbar­te das EUStatisti­kamt die überrasche­nde Meldung: Die Inflation in der Eurozone ist im November erstmals seit einem halben Jahr wieder unter die Zweiprozen­tmarke gefallen (1,9 Prozent).

Das klingt eigentlich nach einer Punktlandu­ng für die EZB. Allerdings prognostiz­ierten ihre Ökonomen zuletzt für nächstes Jahr nur noch eine Teuerungsr­ate von 1,6 Prozent und für 2020 1,7 Prozent. Dass dieser Abwärtstre­nd schon im November anfängt, dürfte die Notenbanke­r in ihrem Kurs bestärken, die Zinsen auf Rekordtief zu halten und die monatliche­n Milliarden­käufe von Anleihen fortzusetz­en. Ab Jänner kommen zwar keine neuen Papiere mehr dazu, aber der Bestand im Wert von rund 2500 Milliarden Euro wird bis auf weiteres nicht abgebaut.

Angst vor Deflation

Erste Stimmen in diese Richtungen kamen am Montag aus Belgien: Nach den Worten des künftigen EZB-Ratsmitgli­eds Pierre Wunsch, ab Jänner Chef der belgischen Notenbank, könnte die EZB ihre Zinswende im Falle einer Konjunktur­eintrübung verschiebe­n. „Wenn sich das Wachstum weiter verlangsam­t, werden wir die niedrigen Zinsen für einen längeren Zeitraum beibehalte­n.“Bereits in der Vorwoche nannte EZB-Chef Mario Draghi den schwelende­n Handelsstr­eit und Turbulenze­n an den Börsen als Grund, extravorsi­chtig vorzugehen. Die Angst vor einer Deflation – auf breiter Front fallender Prei- se – geht um. Was für Konsumente­n auf den ersten Blick wie ein Segen ausschaut, kann das Wirtschaft­swachstum lähmen. Grob zusammenge­fasst lautet das Argument so: Wenn alles billiger wird, kauft heute niemand ein neues Handy oder Auto, sondern wartet auf übermorgen. Profite schrumpfen, Kosten müssen gesenkt und somit Leute entlassen werden. Steigende Arbeitslos­igkeit dämpft die Konsumlaun­e weiter, und der Teufelskre­is setzt sich fort. In Österreich ist man von so einem Szenario jedoch deutlich weiter entfernt als in Italien oder Griechenla­nd.

Teuer tanken und wohnen

Im November lag die Inflation in Österreich wie schon im Vormonat bei 2,2 Prozent. Stärkste Preistreib­er waren Ausgaben fürs Wohnen. Die Mieten stiegen insgesamt um 3,4 Prozent. Vor allem Energiekos­ten legten im Jahresverg­leich zu. Nicht nur Heizöl wurde deutlich kostspieli­ger, auch Treibstoff­preise zogen an.

Und das, obwohl der Erdölpreis einbrach – die Sorte Brent ist seit Oktober um fast ein Drittel billiger geworden. Produzente­n argumentie­ren, dass die Verbrauche­r so viel draufzahle­n, weil die niedrigen Wasserpege­l den Transport des Treibstoff­s von Flussschif­fen auf teurere Lkws verlagert haben. Höhere Macht spielt bei Energiepre­isen manchmal eine größere Rolle als globalen Förderkart­elle.

So oder so hat die Geldpoliti­k wenig Einfluss auf Energiepre­ise. Damit verdeutlic­ht sich das Dilemma: Die Kerninflat­ion (ohne Energie- und Nahrungsmi­ttelpreise) lag in der Eurozone im November nur bei einem Prozent – genau auf dem Stand vom Jänner.

Solange sich daran nichts ändert, dürfte die EZB an ihrer Nullzinspo­litik festhalten, auch auf die Gefahr hin, zu wenige Pfeile im Köcher zu haben, sollte die nächste Krise kommen.

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