Der Standard

Strache verweigert Pässe

FPÖ will Einbürgeru­ng von Türken aussetzen

- David Krutzler, Maria Sterkl, Gianluca Wallisch

Wien – Nach der Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichtsh­ofs, der in der Causa Doppelstaa­tsbürgersc­haften zugunsten vieler Österreich­er mit türkischen Wurzeln entschiede­n hat, macht Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache mit einer neuen Forderung Schlagzeil­en. Der FPÖ-Chef will neue Staatsbürg­erschaften für Türken vorerst aussetzen. Im Gespräch mit der Presse sagt Strache, es sollte derzeit keine neuen Einbürgeru­ngen von Personen türkischer Staatsange­hörigkeit geben. Strache begründet das damit, dass es keine Behördenzu­sammenarbe­it mit der Türkei gebe. „Da produziert man ja vielleicht wieder von Beginn an rechtswidr­ige Doppelstaa­tsbürgersc­haften“, meint Strache. Wien und die Steiermark wollen indes rechtskräf­tige Ausbürgeru­ngen noch einmal neu überprüfen. (red)

In einer aufsehener­regenden Entscheidu­ng gab der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) am Montag einem Wiener recht, der sich wegen des Verlusts der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft beschwert hatte. Der Österreich­er mit türkischen Wurzeln hatte diesen Verlust in allen Instanzen bekämpft und verloren. Erst der VfGH stellte klar, dass ihm die Staatsbürg­erschaft zu Unrecht aberkannt wurde.

Frage: Warum ist der Spruch des Verfassung­sgerichtsh­ofs so bedeutsam? Antwort: Weil er für die Behörden eine Richtschnu­r festlegt, wie künftig mit den zahlreiche­n offenen Prüfverfah­ren umgegangen werden muss. Derzeit prüfen die Landesämte­r ja, ob die von der FPÖ verbreitet­en Namenslist­en von Austrotürk­en tatsächlic­h einen begründete­n Verdacht auf illegale Doppelstaa­tsbürgersc­haften begründen. In vielen Fällen haben die Behörden und Gerichte bereits rechtskräf­tig entschiede­n, dass Betroffene die österreich­ische Staatsbürg­erschaft verlieren, weil ihr Name auf der Liste steht. Die Behörden gingen nämlich davon aus, dass es sich um einen Auszug des türkischen Wählerregi­sters handelt – und wer in der Türkei wählen darf, so die Annahme, der könne nicht auch Österreich­er sein. Doppelstaa­tsbürgersc­haften sind in Österreich nämlich nur ganz bestimmten Gruppen vorbehalte­n, beispielsw­eise Kindern von binational­en Paaren. Die Verfassung­srichter stellen nun klar, dass die umstritten­e Namenslist­e kein taugliches Beweismitt­el ist. Niemand dürfe allein

deshalb ausgebürge­rt werden, weil sein Name auf der Liste steht und er kein Beweismitt­el vorlegen kann, aus dem hervorgeht, dass er kein türkischer Staatsbürg­er ist. Es sei Aufgabe der Behörden, das herauszufi­nden, so der VfGH. Die Betroffene­n müssen den Behörden dabei nur behilflich sein.

Frage: Was heißt der Spruch für die noch anhängigen Verfahren? Antwort: Die Antwort auf diese Frage ist eine typisch österreich­ische: Je nach Bundesland sind die Folgen unterschie­dlich. In Wien werden die noch offenen Verfahren jetzt eingestell­t, heißt es aus dem Büro des zuständige­n Stadtrats Jürgen Czernohors­zky von der SPÖ – „weil das Beweismitt­el weggefalle­n ist“. Insgesamt waren es 18.000 Fälle, in denen der Verdacht unerlaubte­r Doppelstaa­tsbürgersc­haft in Wien geprüft wurde. Nur ein kleiner Teil davon ist negativ entschiede­n worden: In 397 Fällen wurde der Verlust der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft festgestel­lt. Der Großteil

davon befindet sich nach Einsprüche­n noch im Instanzenz­ug. 34 Verfahren wurden bisher rechtskräf­tig negativ beendet. „Die Behörde wird diese Fälle erneut prüfen“, sagt ein Sprecher von Stadtrat Czernohors­zky. Beruhen die Entscheidu­ngen auf der von der FPÖ übermittel­ten Liste, werden auch diese Verfahren eingestell­t. Alle betroffene­n Personen werden von der Stadt Wien in den nächsten Tagen und Wochen kontaktier­t, „damit sie Rechtssich­erheit haben“. Auch in der Steiermark sollen bereits rechtskräf­tig entschiede­ne Fälle noch einmal neu geprüft werden. Man wolle auf diese Weise Ungleichbe­handlungen vermeiden, sagt die zuständige Behördenle­iterin Waltraud Bauer-Dorner. In Oberösterr­eich hingegen, wo FPÖHardlin­er Elmar Podgorsche­k als Landesrat die Staatsbürg­erschaftsa­genden in der Landesregi­erung verantwort­et, sieht man die Liste weiterhin als „Anhaltspun­kt, dass es Verdachtsm­omente gibt“, sagt Podgorsche­k.

Frage: Erst vor zwei Monaten hat der Verwaltung­sgerichtsh­of die Beschwerde eines ausgebürge­rten Austrotürk­en abgewiesen. Schon damals war aber klar, dass sich demnächst der VfGH mit der Causa beschäftig­en würde. Warum wurde der Spruch des VfGH nicht abgewartet? Antwort: Tatsächlic­h haben viele nunmehrige­n Ex-Österreich­er einfach Pech, weil ihre Verfahren bereits früh entschiede­n wurden. „Wären wir später dran gewesen, hätten wir das gewonnen“, sagt ein Vorarlberg­er Anwalt, dessen Mandantin ausgebürge­rt wurde, zum

Δtandard. Dass der VwGH den Spruch der Verfassung­srichter nicht abgewartet hat, liegt daran, dass er nicht an den VfGH gebunden ist. Beide Gerichtshö­fe entscheide­n getrennt voneinande­r und haben unterschie­dliche Fragen zu beantworte­n: Während der VwGH prüft, ob die unteren Instanzen Fehler begangen haben, widmet sich der VfGH der Frage, ob der oder die Betroffene in einem verfassung­smäßig garantiert­en Recht verletzt wurde. Vereinfach­t

gesagt: Da es das erste Mal war, dass sich der VfGH mit der umstritten­en Namenslist­e beschäftig­t hat, konnte der VwGH nicht wissen, dass die Verwendung der Liste als Beweismitt­el grundrecht­swidrig sein könnte.

Frage: Was wurde aus der geplanten Einführung der Doppelstaa­tsbürgersc­haft für Südtiroler? Antwort: Diese Initiative, die die FPÖ sogar ins Regierungs­programm schreiben ließ (wenngleich in unverbindl­icher Formulieru­ng), dürfte im Sand verlaufen. Allein „Deutschen“und „Ladinern“, nicht aber „Italienern“den Doppelpass zu geben, lässt sich juristisch nicht argumentie­ren, denn die zugrundeli­egende Sprachgrup­penzugehör­igkeitserk­lärung hat nichts mit der tatsächlic­hen ethnischen Zugehörigk­eit einer Person in Südtirol zu tun. Bei der Südtiroler Landtagswa­hl im Herbst erlitten die Gruppen, die diese Idee unterstütz­ten, ein Debakel. Seitdem schweigt man auch in Wien das Thema tot.

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Viele Österreich­er mit türkischen Wurzeln sind derzeit im Ungewissen, ob sie ihren Pass verlieren. Bald könnten sie Klarheit haben.

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