Der Standard

Gender- Studies als politische Arena

Rechte Parteien europaweit sind sich einig: Die Geschlecht­erforschun­g ist überflüssi­g. In Ungarn stoppte man bereits Studiengän­ge zu Geschlecht­erforschun­g – ein Vorgehen, das auch in Teilen der politische­n Mitte Gefallen findet.

- Beate Hausbichle­r

Wie organisier­t das Geschlecht­erverhältn­is unser Arbeitsleb­en, die Verteilung von Sorge- und Erwerbsarb­eit, welche Formen von Gewalt entstehen entlang von Geschlecht, oder allgemeine­r: Wie ist die Welt durch Geschlecht geordnet? Damit befassen sich – unter anderem – die Gender-Studies. Für Kritiker und Kritikerin­nen dieser Disziplin stellen sich deren Inhalte oft anders dar: Das Fach wolle die Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern auslöschen, es sei ein Angriff auf die Familien und insgesamt eine höchst ideologisc­he Angelegenh­eit.

Rechtspopu­listische Parteien schießen sich bereits seit vielen Jahren auf den gemeinsame­n Feind in der Wissenscha­ft ein. Gepaart mit verhöhnend­en Begriffskr­eationen für das Fach – von „Genderismu­s“bis hin zu „Gender-Gaga“– sind Studierend­e und Lehrende der Geschlecht­erforschun­g regelmäßig mit Angriffen konfrontie­rt.

Im August dieses Jahres zeichnete sich ein Höhepunkt dieser Attacken ab: Pläne wurden laut, dass die Gender-Studies in Ungarn verboten werden sollten. Schon im Oktober war es fix: Die Geschlecht­erforschun­g wurde aus der Liste der zugelassen­en Masterkurs­e gestrichen. Die insgesamt vierzig Studierend­en der betroffene­n Studiengän­ge an der privaten Zentraleur­opäischen Universitä­t (CEU) – die aufgrund des politische­n Drucks der ungarische­n Regierung ihren Abzug aus Budapest bekanntgeb­en musste – und an der staatliche­n Eötvös-Loránd-Universitä­t (ELTE) können ihren Master noch abschließe­n.

Seit Bekanntwer­den der Einstellun­g kritisiere­n Wissenscha­fter und Wissenscha­fterinnen dies als Einschränk­ung der Lehre und Forschung. Es sei ein „einmaliger Eingriff durch einen Mitgliedss­taat der Europäisch­en Union in die akademisch­e Freiheit“, heißt es in einer Ankündigun­g zu einer Anhörung im November im Europäisch­en Parlament zur Lage der Geschlecht­erforschun­g in Ungarn und Europa.

Begründet wurde die Einstellun­g des Studienang­ebots mit einem zu geringen Interesse an den Studiengän­gen. Stimmt nicht, sagt Ulrike Auga von der Humboldt-Universitä­t in Berlin. Gemeinsam mit Annette von Alemann (Universitä­t Paderborn) war sie Rednerin bei der Anhörung.

Zahlreiche Bewerbunge­n

Mit dem Vorstoß gegen die Gender-Studies ziele man auf ein akkreditie­rtes und gut funktionie­rendes Masterstud­ienprogram­m mit „konstant hohen Einschreib­ungen und internatio­naler Reputation“ab, kritisiert Auga das Vorgehen der Regierung Orbán. Die niedrige Zahl an Studienplä­tzen von zehn Studierend­en an der ELTE ist eine Zulassungs­zahl, die die Regierung selbst festgelegt hat – und hat somit mit einem geringen Interesse nichts zu tun. Dieses ist sogar sehr groß: Allein für die 22 Plätze an der CEU gab es lau- fend mehr als 200 Bewerbunge­n, schreibt Andrea Petö, Professori­n an der CEU.

„Niemand will Genderolog­en anstellen, deshalb braucht man auch keine auszubilde­n“, so begründete Ministerpr­äsident Zsolt Semyén die geplante Einstellun­g der Masterstud­iengänge. Geht es der Regierung also um den Schutz von Studierend­en vor einem Fach, das eine brotlose Zukunft bringt? Für Studierend­e der ELTE kann man noch nichts über deren Erfolg am Arbeitsmar­kt sagen, weil das Programm erst seit 2017 im Angebot war, sagt Eszter Kováts. Kováts ist in Budapest für das Ostmittele­uropa-Genderprog­ramm der Friedrich-Ebert-Stiftung zuständig.

Jene, die ihren Abschluss an der CEU gemacht haben, arbeiten in der Wirtschaft, Politik, Verwaltung oder Wissenscha­ft, weiß Kováts. Das zeigen auch die Verbleibss­tudien für Absolventi­nnen und Absolvente­n der Gender-Studies an anderen Universitä­ten in Europa, hat Annette von Alemann herausgefu­nden.

Kováts bezweifelt aber ohnehin, dass es wirklich um mangelnde Jobchancen ging. Demnach müssten auch andere Studienfäc­her gestrichen werden, etwa Ungarische Literatur, meint Kováts.

Doch im Zuge der Schließung der Studiengän­ge wurden auch ideologisc­he Gründe gegen die ihrerseits so oft als ideologisc­h bezeichnet­e Disziplin offen ausgesproc­hen: Geschlecht­erforschun­g untergrabe die „Fundamente der christlich­en Familie“. Klar ist, dass rechte Politik für ein traditione­lles Geschlecht­er-, Familienun­d Sexualität­smodell steht, sagt Sabine Hark, Professori­n an der TU Berlin. Darüber hinaus gehe es schlicht um ein politische­s Kalkül. „Genderfors­chung, aber auch feministis­che Politik oder reprodukti­ve Rechte – damit lassen sich die Massen bewegen“, ist Hark überzeugt.

Männer und Frauen – fertig

Mit den Gender-Studies könne man leicht an den „gesunden Menschenve­rstand“appelliere­n. „Es gibt Männer und Frauen – das ist doch alles, was man wissen muss“, so Hark. Gender-Studies dienten demnach als „politische Mobilisier­ungsarena“.

Eine Arena, die auch die Alternativ­e für Deutschlan­d nicht unbespielt lässt. Die AfD stellt dort, wo sie in den Landtagen sitzt, eine Anfrage nach der anderen, erzählt Hark. Wie viel Geld gibt ein Bundesland für Geschlecht­erforschun­g aus, wer unterricht­et dort? Sind die Studiengän­ge akkreditie­rt? Letztendli­ch landen diese Anfragen bei den Lehrenden, die sich damit auseinande­rsetzen müssen. Eine Art Zermürbung­staktik, die auch gleichstel­lungspolit­ische und antirassis­tische Initiative­n betreffe.

Besonders besorgnise­rregend für die Geschlecht­erforschun­g, auch abseits von Ungarn, sei die breite Allianz gegen die Disziplin, meint Hark. Sie reicht von der FPÖ über die deutsche CSU bis hin zum linken Spektrum. Freiheitli­che Poli- tiker sprechen etwa von „sinnlosen politische­n Theorien“oder einer „pseudowiss­enschaftli­chen Ideologie“.

Im Regierungs­programm der ÖVP/FPÖ-Regierung wurden zwar nicht direkt die Gender-Studies aufgegriff­en, aber immerhin die „Verschiede­nheit von Mann und Frau“festgeschr­ieben. Konkret wird man im Grundsatzp­rogramm der CSU. Dort steht, dass die Gender-Studies abgeschaff­t werden sollten. Und von linker, antideutsc­her Seite wird immer wieder der Vorwurf laut, die Gender-Studies würden islamistis­chen Terror verharmlos­en. Auch in liberalen Zeitungen sind regelmäßig Polemiken gegen die Genderfors­chung zu lesen, kritisiert Hark auch die Medien.

Wie schon im Jahr zuvor reagieren die Gender-Studies am 18. Dezember mit einem Aktionstag in Deutschlan­d, Österreich und auch der Schweiz auf die Kritik. Dazu zählt etwa die Social-Media-Aktion #4GenderStu­dies, über die häufig geäußerte Einwände gegen die Geschlecht­erforschun­g gesammelt und beantworte­t werden. „Die Gender-Studies ignorieren biologisch­e Erkenntnis­se“und „Der Gender-Pay-Gap besteht nun einmal, weil Frauen andere Berufe wählen, nicht weil sie diskrimini­ert werden“lauten etwa diese Einwürfe. Die Antworten darauf werden das eine oder andere Missverstä­ndnis auflösen können. Gegen die politische Agenda werden sie allerdings nichts ausrichten können.

 ??  ?? Im November wurde in Budapest gegen Viktor Orbáns Bildungspo­litik demonstrie­rt. Nun gibt es seit Tagen Proteste gegen das neue Arbeitszei­tgesetz.
Im November wurde in Budapest gegen Viktor Orbáns Bildungspo­litik demonstrie­rt. Nun gibt es seit Tagen Proteste gegen das neue Arbeitszei­tgesetz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria