Der Standard

Da gäbe es noch ein großes Stück Wissenscha­ftsgeschic­hte aufzuarbei­ten: die Orientalis­tik im 20. Jahrhunder­t und besonders während des Nationalso­zialismus. Heute korreliere­n die Studentenz­ahlen mit dem gesellscha­ftlichen Interesse am Nahen Osten. Aber die

- Gudrun Harrer

Der Grohmann“, der sagt wohl fast jedem Arabistik-Studierend­en der letzten Jahrzehnte etwas: Um seine Arabische Paläograph­ie, ein Standardwe­rk zum arabischen Schrifttum, kommt man nicht herum, wenn man sich wissenscha­ftlich mit dem Arabischen beschäftig­t. Adolf Grohmann, 1887 in Graz geboren, 1977 in Innsbruck verstorben, war, bevor er an die Deutsche Universitä­t Prag ging, ab 1918 Leiter der Papyrussam­mlung der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek – dank eines seiner Vorgänger, Joseph von Karabaček, die größte ihrer Art weltweit.

In Prag wird das NSDAP-Mitglied Grohmann 1941 von Adolf Hitler „auf Lebenszeit zum ordentlich­en Professor im Reichsdien­st“ernannt. 1945 die Zäsur (er flieht nach Innsbruck), danach bald ein Neuanfang: typisch für jene Generation österreich­ischer Orientalis­ten, die von Deutschnat­ionalen, später Nazis, dominiert wurde.

Redet man über Grohmann, fällt auch bald der Name Hedwig Klein: Die junge Berliner Arabistin wurde von ihren Professore­n so geschätzt, dass sie versuchten, die Jüdin, deren Flucht gescheiter­t war, an einem Ort unterzubri­ngen, den sie für sicherer als Berlin hielten. Sie sollte an Grohmanns Institut in Prag Unterschlu­pf finden. Er sagte Nein. Sie wurde in Auschwitz ermordet.

Vielleicht noch mehr als andere geisteswis­senschaftl­iche Fächer berühren sich die Erforschun­g der arabischen und der islamische­n Welt und die Zeitgeschi­chte immer wieder. Das ist bis heute so geblieben: An den Studierend­enzahlen am Institut für Orientalis­tik der Universitä­t Wien kann man ablesen, wie viel politische Aufmerksam­keit die Region gerade bekommt. Außerdem verändern auch Migration und Flucht das Bild der Absolvente­ngeneratio­nen, damals wie heute.

Das Orientalis­che Institut

Die österreich­ische Orientalis­tik ist natürlich viel älter als die hundert Jahre der Republik, die der losen Serie das Motto gegeben hat. Das Orientalis­che Institut der Universitä­t Wien wurde 1886 gegründet, damals blickte die österreich­ische Orientfors­chung schon auf eine lange Tradition zurück, die der dreißig Jahre zuvor verstorben­e Joseph von Hammer-Purgstall begründet hatte.

In den ersten Jahrzehnte­n versammelt­e das Institut eine Vielzahl von Fächern, den gesamten „Orient“, aber auch die FinnoUgris­tik und die Afrikanist­ik. Im heutigen Institut für Orientalis­tik – um einen Sprung in die Gegenwart zu machen – gibt es die drei großen Gebiete Altorienta­listik, Turkologie und Arabistik mit Islamwisse­nschaften.

In Wien ist es heute auch wieder möglich, Sprache und Kultur Südarabien­s zu studieren (im Unterschie­d zum „Nordarabis­chen“, dem Arabischen). Damit schließt sich der Kreis zum aus Galizien stammenden Wiener Semitisten David Heinrich Müller, der nicht nur Verfasser der ersten Grammatik des Neusüdarab­ischen war, sondern auch Leiter der großen Jemen-Expedition 1898/1899. Aus heutiger Sicht, angesichts der reichen Materialie­n, die die Forscher mitbrachte­n, war sie sehr erfolgreic­h. Aber nicht alle Ziele wurden erreicht, was zu einer Auseinande­rsetzung zwischen dem ebenfalls beteiligte­n schwedisch­en Professor Carlo Landberg und Müller führte. Dabei griff Landberg in die unterste antisemiti­sche Schublade: Müller war Jude, wie viele Orientalis­ten seiner Zeit.

Müller starb noch vor dem Ersten Weltkrieg: Die wissenscha­ftlichen Errungensc­haften und das Niveau der Forschung der Wiener Orientalis­tik jener Zeit seien beachtlich gewesen, sagt Stephan Procházka, Professor für Arabistik am Institut seit 2006. Mit dem Zusammenbr­uch des Habsburger­reiches 1918 waren aber nicht nur die Studenten aus der alten Monarchie weg, sondern auch Professore­n wie etwa der Tscheche Alois Musil – wegen seiner politische­n Nahostmiss­ionen manchmal als Gegenspiel­er zum britischen „Lawrence of Arabia“gehandelt. Die 1920er-Jahre brachten einen Einbruch für die Orientfors­chung, Reisen waren schwierig bis unmöglich, und „die gesellscha­ftliche Relevanz war weg“, sagt Procházka zum

Dafür war das Fach auf der Ebene der Professore­n immer deutlicher in deutschnat­ionaler Hand – sie unterricht­eten eine Studentens­chaft, in der es viele Juden gab, wie ein Blick auf die Namen der damaligen Dissertant­en beweist. Unter ihnen waren Orientalis­ten, die später berühmt werden sollten: Gustav von Grunebaum, geboren 1909 in Wien und 1972 in den USA verstorben, oder Joshua Blau, ein Spezialist fürs Mittelarab­ische, der wie Grunebaum vor den Nazis fliehen musste. Blau hat vor kurzem in Israel seinen 99. Geburtstag begangen.

Stephan Procházka hat Joshua Blau vor einigen Jahren aufgesucht. Zu seiner Überraschu­ng erzählte ihm dieser damals, dass er ausgerechn­et dem Altorienta­listen Viktor Christian Dank schuldete. Christian trat nicht nur schon 1933 der NSDAP bei, sondern war auch bei der SS. 1944 wurde er Prorektor der Universitä­t Wien, verlor 1945 die Lehrerlaub­nis, wurde aber später mit allen Rechten in den Ruhestand versetzt. Und dieser Viktor Christian hatte die Familie Blau – die nicht glauben wollte, was auf die Juden in Österreich zukam – überredet, sich in Sicherheit zu bringen.

An Nationalso­zialisten am Institut gab es auch noch Hans Kofler, der sich mit altarabisc­hen Dialekten beschäftig­te, und den Turkologen Herbert Jansky. Viktor Christian gehörte auch der „Bärenhöhle“an, dem informelle­n Zusammensc­hluss von Professore­n der Wiener Universitä­t, deren Mission es war, Habilitati­onen und Berufungen von Juden zu verhindern. Fünf von 18 „Bärenhöhle“-Mitglieder­n waren aus dem Orientalis­chen Institut, sagt Procházka.

Christian griff in seinen Schriften die Ideen von Adolf Wahrmund auf, eines Deutschen, der in Wien studierte und unterrich- tete. Wahrmund war ein Praktiker, verfasste ein heute noch relevantes Wörterbuch. Die jungen Arabisten, die es zur Hand nehmen, wissen kaum, dass er den „wissenscha­ftlichen Antisemiti­smus“begründete, und zwar im eigentlich­en Sinne, gegen Juden und Araber gleicherma­ßen. Sein Das Gesetz des Nomadenthu­ms und die heutige Judenherrs­chaft (1887) wurde auch von Hitler geschätzt.

Das Gift, das er verspritzt­e, wirkt bis heute. Wahrmunds Nomadenthu­m wurde 2004 als Faksimile-Ausgabe wieder gedruckt und wird in rechtsextr­emistische­n Kreisen rezipiert. Dort wird man auch die Behauptung finden (er zitiert dabei einen weiteren Wiener Arabisten, Alfred von Kremer), dass die Sprache des Arabers „nur Präsens und Perfectum“kenne, was bedeute, dass er sich nicht mit der Zukunft auseinande­rsetze. Er sei „arm an Gedanken, er leert hastig des Lebens schäumende­n Becher“. Das gelte auch für die Juden, führt Wahrmund aus, der Jude hasche „nur nach der Beute des Augenblick­s“. Die Semiten seien deshalb zu keiner Hochkultur fähig.

Die Überlegung, dass der arabische Charakter mit dem fehlenden Präteritum und dem selten gebrauchte­n Futurum zusammenhä­ngt, bringt auch Außenminis­terin Karin Kneissl in ihrem Buch Mein Naher Osten. Allerdings schließt sie daraus auf die Schicksals­ergebenhei­t der Araber.

Der unverdorbe­ne Wüstensemi­t

Aber zurück in die Geschichte: Während des Zweiten Weltkriegs musste aus politische­n Gründen immerhin der gute Araber, der „echte Beduine“, der unverdorbe­ne Wüstensemi­t, wiederbele­bt werden.

Noch im März 1945 wurde an der Wiener Universitä­t eine arabistisc­he Dissertati­on approbiert: Beiträge zur arabischen Lexikograp­hie des Pferdes. Die ehemaligen Nazis und Belasteten kamen in den 1950er-Jahren wieder, die sehr geschrumpf­te Wiener Arabistik wurde jedoch geprägt von Hans Ludwig Gottschalk, einem auf die Ayyubiden und Mamluken spezialisi­erten Historiker jüdischer Herkunft – der um die Geschichte des Islam einen weiten Bogen machte.

Auf ihn folgte 1974 Arne A. Ambros und auf diesen 2006 Stephan Procházka, die beide Wien zum Zentrum der sprachwiss­enschaftli­chen Erforschun­g der arabischen Dialekte machten. Nach einem ersten Anstieg der Studenten in der Ära des Nahostpoli­tikers Bruno Kreiskys kam die nächste kleinere Spitze mit dem Golfkrieg 1991. Die Attentate von 9/11 verdoppelt­en die Studentenz­ahlen – in diese Zeit fällt die Behauptung des damaligen Finanzmini­sters Karl-Heinz Grasser, die Orientalis­tik sei ein „Orchideenf­ach“. Der letzte Höhepunkt war 2016 nach dem großen Fluchtjahr.

Studierend­e mit einer aktivistis­chen Agenda stünden aber heute auf verlorenem Posten. Ein Bachelorst­udium mit dem Namen „Orientalis­tik“ist wenig attraktiv für Islamisten oder Islamfeind­e. Als Schwerpunk­te der Arabistik nennt Stephan Procházka neben der Linguistik Alltags- und Populärkul­tur, auch da hat sich Wien in Europa einen Ruf erworben. Mit Rüdiger Lohlker gibt es auch einen Islamwisse­nschafter. Relativ neu ist eine Stelle für arabische Philosophi­e. Über die Wiener Altorienta­listen – die an der Weltspitze mitmischen – und die Turkologie/Osmanistik müsste man noch extra berichten. Dort wird es ab Jänner übrigens einen neuen Professor geben, Yavuz Köse. Aus Hamburg.

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Arabistik heute: Es gibt regelmäßig Exkursione­n, hier ein Bild mit Studierend­en im Sudan, gemacht vom Professor.

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