Der Standard

Bitte tief einatmen!

Asthmatike­r greifen zum Inhalation­sspray. Ein praktische­s Werkzeug, aber könnte die Zufuhr des Wirkstoffs in die Lunge nicht verbessert werden? In Graz sucht man nach Antworten.

- Raimund Lang

Chronische Lungenerkr­ankungen wie Asthma oder COPD (Chronic Obstructiv­e Pulmonary Disease) werden häufig mit Inhalatore­n behandelt. Ein Wirkstoff wird also direkt in die Lunge transporti­ert. Als besonders praktisch haben sich sogenannte Trockenpul­verinhalat­oren erwiesen. „Trockenpul­verinhalat­oren können wegen ihrer Kompakthei­t überallhin mitgenomme­n werden und sind einfach in der Handhabung“, erklärt Sarah Zellnitz vom Grazer Research Center Pharmaceut­ical Engineerin­g (RCPE). „Es ist für den Patienten leichter, das Auslösen und Inhalieren zu koordinier­en, als bei anderen Inhalatort­ypen. Außerdem sind Wirkstoffe im trockenen Zustand stabiler.“

Grundsätzl­ich müssen Wirkstoffp­artikel, die inhaliert werden sollen, eine Größe von ein bis fünf Mikrometer haben. Sind sie größer oder kleiner, können sie nicht in die Lunge gelangen. Allerdings sind Partikel in dieser Größenordn­ung stark kohäsiv, sie neigen zum Verklumpen, können also nicht gut fließen. Das ist ein Nachteil, denn: „Die Dosis des Wirkstoffs muss bei jeder Benutzung eines Inhalators exakt gleich sein“, sagt Zellnitz. „Das ist bei Partikeln dieser Größe eine komplexe Aufgabe.“

Größere Trägerpart­ikel

Die Wirkstoffp­artikel werden deshalb mit größeren Trägerpart­ikeln (zwischen 50 und 200 Mikrometer) gemischt, meist kommt dafür Laktose zum Einsatz. Die Schwierigk­eit besteht darin, die Kräfte zwischen den Partikeln so einzustell­en, dass der Wirkstoff sich erst beim Auslösen des Inhalators vom Träger löst, dann aber zuverlässi­g. Aktuelle Inhalatore­n schaffen es nur, etwa 20 bis 40 Prozent des Wirkstoffs abzugeben. Der Rest bleibt im Gerät oder am Träger.

Hier setzt die Forschung von Sarah Zellnitz an. Sie und ihre Kollegen arbeiten an einer Optimierun­g des Gesamtsyst­ems aus Wirkstoff, Träger und Gerät. Eine Stellschra­ube dafür ist die Oberfläche­nrauheit der Trägerpart­ikel. Ist die Rauheit, genauer: der Abstand zwischen zwei Profilspit­zen am Trägerpart­ikel, kleiner als der Wirkstoffp­artikel, kann sich dieser leicht wieder vom Träger lösen. Ist er größer, kann der Wirkstoff im Träger „stecken bleiben“, weil die Fliehkraft beim Inhalieren nicht ausreicht, um ihn abzulösen. Ein anderer Einflussfa­ktor sind „fine carriers“, sehr kleine Trägerpart­ikel, die der Mischung zugesetzt werden. Findet man die richtige Größe der Mikroträge­r, kann das das Fließverha­lten des Wirkstoffs verbessern.

Auch die Funktionsw­eise des Inhalators, seine Geometrie und der Auslösemec­hanismus spielen eine Rolle für die Wirkstoffa­bgabe in die Lunge. Am Forschungs­zentrum RCPE kommt dafür Computersi­mulation zum Einsatz. Am Rechner werden Strömungen in verschiede­nen Geräten durchgespi­elt. „Dabei sehen wir, wie oft der Träger mit der Wand des Inhalators kollidiert und wie wahrschein­lich es ist, dass sich der Wirkstoff löst“, erklärt Zellnitz. Die Wissenscha­fterin versteht sich als Grundlagen­forscherin. Sie will das komplexe Wechselspi­el aus Wirkstoff, Träger und Gerät besser verstehen. „Häufig arbeiten Her- steller nach dem Prinzip Trial and Error“, so Zellnitz. „Man weiß, dass Wirkstoffe gut mit bestimmten Trägerpart­ikeln funktionie­ren, aber nicht, warum.“

Die Inhalation von Wirkstoffe­n vermeidet den „First-Pass-Effekt“in der Leber, der die Wirksamkei­t oral eingenomme­ner Medikament­e vermindern kann. Zudem können inhalatori­sch zugeführte Wirkstoffe oft niedriger dosiert werden als bei der oralen Einnahme. Die medizinisc­he Forschung bemüht sich deshalb, Wege zu finden, Medikament­e, die in Kombinatio­n eingenomme­n werden müssen, in einen Inhalator zu packen. Bei Tuberkulos­e wäre das zum Beispiel eine begrüßensw­erte Alternativ­e.

Newspapers in German

Newspapers from Austria