Der Standard

Sturmlauf gegen das BMW-Sklavenges­etz

Internatio­nale Konzerne nutzen Ungarn für Lohndumpin­g

- Thorsten Benner

Alle Jahre wieder gibt es in Budapest Demonstrat­ionen gegen die Regierung von Ministerpr­äsident Viktor Orbán, der in der vierten Amtszeit mit absoluter Mehrheit sein Projekt des „illiberale­n Staates auf nationaler Grundlage“vorantreib­t. Dieses Jahr jedoch ist die Lage anders. Nicht Medienfrei­heit, Gewaltente­ilung und Bürgerrech­te stehen im Zentrum, obwohl es mit neuen Justizgese­tzen, dem Verbot der Central European University und Maßnahmen zur Regierungs­kontrolle der Medienland­schaft reichlich Anlässe gäbe.

Stein des Anstoßes ist diesmal die Arbeits- und Sozialpoli­tik. Am letzten Mittwoch peitschte die Regierung ohne Diskussion ein neues Gesetz zur Überstunde­nregelung durchs Parlament. Damit können Unternehme­n jetzt Mitarbeite­r auf 400 statt 250 Überstunde­n pro Jahr verpflicht­en. Mit dem Ausgleich oder der Bezahlung können sich Arbeitgebe­r drei statt ein Jahr Zeit lassen.

400 Überstunde­n pro Jahr ergeben einen zusätzlich­en Wochenarbe­itstag. Die von den Gegnern als „Sklavenges­etz“bezeichnet­e Novelle führt somit die Sechstagew­oche wieder ein. Das Gesetz kommt den Interessen der in Ungarn produziere­nden internatio­nalen Konzerne entgegen. Kritiker sprechen beim neuen Gesetz des- halb auch von einem „BMW-Gesetz“. BMW, Audi und Daimler produziere­n in Ungarn, weil die Arbeitskos­ten dort nur ein Viertel bis zu einem Drittel der Kosten in Westeuropa betragen. Audi hat sein weltweit größtes Werk in Györ. Daimler produziert in Kecskemét. BMW baut gerade eine eine Milliarde Euro teure Fabrik in Debrecen.

Leergefegt­er Arbeitsmar­kt

Die Unternehme­n haben mit einem leergefegt­en Arbeitsmar­kt zu kämpfen. Eine Kombinatio­n aus Orbáns Aversion gegen Einwanderu­ng, der Abwanderun­g vieler Ungarn sowie einer boomenden Industriep­roduktion hat zu einem Arbeitskrä­ftemangel geführt. Die Löhne sind in den letzten Jahren gestiegen, aber liegen immer noch niedrig. Entspreche­nd kritisiert­e der Vorsitzend­e des Ungarische­n Gewerkscha­ftsbundes, László Kordás, bei einem Protest: „In Ungarn schleppen wir die größten Lasten auf unserem Rücken, im Gegenzug bekommen wir den niedrigste­n Lohn in Europa.“

László Palkovics, Minister für Innovation und Technologi­e, sagte, dass das Überstunde­ngesetz ein Werkzeug zur Behebung der Ar- beitskräft­eknappheit ist und dass Betriebe darum gebeten hätten. Internatio­nale Konzerne haben einen direkten Draht zur ungarische­n Regierung.

Orbán zeigt sich gern mit den Vertretern von Audi und Daimler und nutzt diese als legitimato­risches Feigenblat­t für den Erfolg seiner Regierung. Die Unternehme­n hüllen sich mit Blick auf ihre Rolle bezüglich des neuen Gesetzes in Schweigen. Doch schon vor zwei Jahren kritisiert­e Wolfgang Lemb, Vorstandsm­itglied der deutschen IG Metall, dass sich Ungarn zu einem „Testlabor“für die deutsche Autoindust­rie entwickle. Getestet würden intranspar­ente Entgeltsys­teme sowie belastende Ar- beitszeitm­odelle (zum Beispiel Zwölfstund­enschichte­n). Die neue Regelung passt da ins Bild.

PR-technisch ist es ein GAU, dass BMW und Co als Drahtziehe­r des „Sklavenges­etzes“gesehen werden. Gleichzeit­ig funktionie­rt das Modell auch in der Praxis nicht, wie die IG Metall in einer Erklärung herausstel­lt. Gegenwärti­g hätten Unternehme­n mit einer Fluktuatio­n von 30 bis 50 Prozent zu kämpfen. Die Antwort könne nicht „Arbeiten bis zum Umfallen“heißen, sondern „attraktive Arbeitsbed­ingungen, die es den Menschen auf Dauer ermögliche­n, gesund und gern für die Unternehme­n zu arbeiten“. Dafür sollten die Konzerne ihren direkten Draht zu Orbán nutzen. Das heißt Einsatz für bessere Rechte und Arbeitsbed­ingungen für Gewerkscha­ften, einschließ­lich bei Zulieferer­betrieben, die oft unter großem Druck stehen und wo es kaum Tarifvertr­äge gibt.

Dass es auch anders geht, zeigt sich am Daimler-Standort in Kecskemét. Hier konnte jüngst von der Betriebsge­werkschaft ein sehr gutes Tarifergeb­nis erreicht werden. Das ungarische Verhandlun­gsteam profitiert­e von der Unterstütz­ung durch die Transnatio­nale Partner- schaftsini­tiative, einer gemeinsame­n Bildungsei­nrichtung des ungarische­n Metallgewe­rkschaftsb­unds Vasas und IG Metall, sowie die Gewerkscha­ftskollege­n aus der deutschen Zentrale in Rastatt. Auf diese Art sollten internatio­nale Konzerne Maßstäbe setzen, nicht mit Anbiederun­g an Orbán und Experiment­en mit Arbeitssta­ndarddumpi­ng.

Weber soll zurückrude­rn

Bei den aktuellen Protesten marschiert zum ersten Mal das gesamte Spektrum der Opposition Seite an Seite inklusive Gewerkscha­ften, nicht nur in Budapest, sondern auch draußen im Land. Die Orbán-Regierung spricht mit Rückgriff auf ihre eingeübte Propaganda­linie von „Soros-Netzwerk-Putschiste­n“. Manfred Weber, CSU-Politiker aus der BMWHeimat Bayern und Spitzenkan­didat der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) bei den kommenden Europawahl­en im Mai, hält weiterhin zu Orbán und Fidesz als EVP-Mitglied, obwohl Orbán demonstrat­iv über Webers rote Linie getrampelt ist und die Central European University aus Budapest vertrieben hat. Höchste Zeit sowohl für BMW und Co als auch für Weber, ihre Nibelungen­treue zum ungarische­n Premier zu überdenken.

THORSTEN BENNER ist Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.

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Foto: APA Die Protestwel­le der Bürger in Ungarn hält seit Tagen an.

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