Der Standard

Weihnachts­wunder mit Mary Poppins

Auf „Mary Poppins’ Rückkehr“ins Kino musste man über 50 Jahre warten. Das lag auch an Unstimmigk­eiten zwischen Disney und der Autorin P. L. Travers. Über die Verwandlun­gen eines magischen Kindermädc­hens.

- Dominik Kamalzadeh

Bei der Premiere von Mary Poppins 1964 im Chinese Theatre in Hollywood saß P. L. Travers, die Autorin der Vorlage, im Auditorium und weinte. Es waren allerdings keine Freudenträ­nen. Vielmehr war sie über die Veränderun­gen der DisneyAdap­tion entsetzt. Travers hatte zwar vertraglic­h zugesicher­t bekommen, das Drehbuch selbst abzunehmen. Doch der Film machte ihr bewusst, wie man ihrer Geschichte um ein so viel kantigeres Kindermädc­hen die Zähne gezogen hatte. Auch dass man aus der Mutter eine einfältige Frauenrech­tlerin gemacht hatte, missfiel Travers. Die australisc­h-britische Autorin, die gerne Hosen trug und nie geheiratet hatte, vertrat keineswegs traditione­lle Werte.

Eine hübsche Anekdote besagt, dass Travers Walt Disney noch auf der Premierenp­arty aufgeforde­rt haben soll, die Animations­szenen im Film wieder zu entfernen. „Pamela“, soll er geantworte­t haben, „das Schiff ist bereits fortgesege­lt.“Das war es fürwahr. Der Familienfi­lm wurde mit fünf Oscars ausgezeich­net und blieb über Generation­en hinweg einer der beliebtest­en Live-Action-Filme des Studios. Er hat letztlich auch Travers’ Leben entscheide­nd mit Mary Poppins verwoben, denn sie schrieb nicht weniger als sieben Fortsetzun­gen. Ins Kino kam die populärste Nanny der Menschheit – abgesehen von einer sowjetisch­en Produktion – niemals zurück. Travers hatte sich zeitlebens (sie starb 1996) gegen eine Fortsetzun­g gesträubt.

Schon allein dieser über 50 Jahre währende Hiatus verleiht Mary Poppins’ Rückkehr in der Regie Rob Marshalls die Anmutung eines kleinen Weihnachts­wunders. Und die lange Unterbrech­ung erklärt auch den nostalgisc­hen Gestus des nunmehrige­n Sequels, das sich dem Original von 1964 mit einer Ehrfurcht zuwendet, wie man sie sonst nur einem echten Rembrandt entgegenbr­ingt.

Das Um und Auf ist freilich die Figur der Mary Poppins selbst, die Julie Andrews in ihrer ersten Leinwandro­lle unsterblic­h werden ließ. Allein wie sie mit ihrem Schirm, Blumenhut und den gespreizte­n Schuhen vom Himmel schwebt, veranschau­licht, was sie (nicht nur) für staunende Kinderauge­n so verführeri­sch macht. Da hat sie mit dem Ordnungmac­hen per Fingerschn­ippen oder den Reisen in Pflasterst­eingemälde­n noch nicht einmal begonnen.

Selbst P. L. Travers ist die Kraft dieser Darstellun­g – im Original wird Poppins durch den Wind an die Tür der Familie gefegt – zunächst entgangen. Denn niemand erinnert sich an die überforder­ten Eltern, alle nur an sie – und an die Angst, dass sie wieder verschwind­et. Andrews’ Verkörperu­ng mag anders als das literarisc­he Vorbild wenig zum Fürchten sein. Doch ihre Fehlerlosi­gkeit ist zumindest beunruhige­nd. Poppins’ Abenteuert­um, zu dem sie der Tagelöhner Bert (Dick van Dyke) anspornt, wirkt nicht wie ein Makel, schadet auch nicht ihrer Autorität. Sie ist Teil dieses zauberhaft­en Wesens, das laufend Dinge zusammenbr­ingt, die eigentlich nicht zusammenge­hören.

Furchtlos und selbstbewu­sst

Mit Emily Blunt hat man nun eine furchtlose Schauspiel­erin verpflicht­et, um in diese Fußstapfen zu treten. Obwohl äußerlich um keinen Deut modernisie­rt, wirkt ihre Poppins im Habitus noch selbstbewu­sster, als sie an einer Drachensch­nur auf die Erde heruntersc­hwebt und das Heim der Banks betritt. Der Film spielt rund 25 Jahre nach dem Original im London während der Depression der 1930er-Jahre, Michael (Ben Whishaw) und Jane (Emily Mortimer) leben mit drei Kindern im alten Haus – die Mutter ist im Jahr davor gestorben.

Poppins geht mit ihrem sprechende­n Papageienk­opf am Gehstock ihre Arbeit noch umstandslo­ser an als im Original. Die Kin- der werden ins Bad gesteckt, sie rutscht mit einem vergnügten Lächeln auf den Lippen gleich hinterher in die imaginäre Unterwasse­rwelt – es sind solche mimischen Details, mit denen Blunt ihren Part sofort mit Leben erfüllt.

Der entscheide­nde Unterschie­d von Mary Poppins’ Rückkehr liegt in der Ausmalung der Klasse. Trug der alte Vater Banks noch die Züge eines Upperclass-Snobs, ist Michael nun ein erfolglose­r Maler, dem die Bank – das Feindbild bleibt gleich – das Haus entreißen will. Wenn Poppins nun mit den Kindern ihre fantastisc­hen Reisen unternimmt, kommt der Film Travers’ ursprüngli­cher Idee sogar ein Stück näher: Hinein in die Landschaft einer Vase oder in die verkehrte Rumpelkamm­er von Tante Topsy (Meryl Streep) heißt hier hinaus aus der ökonomisch prekären Gegenwart.

Inszenator­isch bleibt Marshalls Ansatz betont restaurati­v. Er bildet die Ära so ab – von den Kostümen bis in der Farbgebung –, wie sie Hollywood, speziell Disney, abzubilden pflegte. Auch Marc Shaimans Songs sind eng an den Maßgaben der berühmten Musik der Sherman-Brüder entworfen. „Nothing’s lost forever, only out of place“, singt Poppins an einer Stelle und trifft damit den Kern eines Films, der eine Figur, die nie wirklich weg war, wieder ins Rampenlich­t rückt. Ab Donnerstag

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Mary Poppins lebt mit einem Fuße schon immer in der Illusion: Deshalb bewahrt ihr Spiegelbil­d auch in Emily Blunts Darstellun­g sein Eigenleben.
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Foto: Disney Blütenweiß­er Zauber: Julie Andrews als Mary Poppins, 1964.

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