Der Standard

Erdogans neue Syrien- Offensive muss „noch etwas warten“

Syrische Kurden mobilisier­en internatio­nale Unterstütz­ung und drohen mit dem „Islamische­n Staat“

- Gudrun Harrer

ANALYSE:

Bereits die Drohungen des türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan vor einer Woche, in Nordostsyr­ien einzumarsc­hieren, waren Grund zur kurdischen Sorge: Aber nachdem US-Präsident Donald Trump am Donnerstag den Abzug der USTruppen aus dem Gebiet befahl, verwandelt­e sich die Sorge beinahe in Panik: Die syrischen Kurden der PYD (Partiya Yekîtiya Demokrat, Demokratis­che Unionspart­ei), deren Miliz YPG (Volksverte­idigungsei­nheiten) mit den USTruppen kooperiert haben, fühlen sich von den USA verraten. Die Kurden haben eine neue Dolchstoßl­egende.

Nachdem die Türkei schon zu Jahresbegi­nn 2018 – mit russischer Billigung – westlich des Euphrat intervenie­rte, dort die PYDVerwalt­ung beendete und ihre eigenen syrischen Proxies installier­te, droht jetzt auch im Nordosten Syriens dem Rest des PYD-Projekts autonomes „Rojava“(Westkurdis­tan, Demokratis­che Föderation Nordsyrien) das Aus.

Die Türkei will die kurdischen Autonomieb­estrebunge­n jenseits ihrer Grenze nicht dulden, vor allem wenn sie PYD-gesteuert sind. Für Ankara, aber auch für Kurdenexpe­rten wie Walter Posch von der österreich­ischen Landesvert­eidigungsa­kademie sind die PYD/YPG „der syrische Zweig der PKK“.

Der Kurdische Nationalko­ngress (KNK), der Dachverban­d mehrerer kurdischer Parteien in Brüssel, forderte in einer Reaktion am Donnerstag unter anderem die Verhängung einer Flugverbot­szone über dem Gebiet zwischen Euphrat und Tigris durch den UnoSicherh­eitsrat. Die anderen Mitglieder der Koalition gegen den „Islamische­n Staat“, für die die YPG von den USA ausgerüste­t und trainiert wurden, werden fast flehend aufgeforde­rt, die Region nicht zu verlassen – und die USA, ihre Entscheidu­ng zu revidieren.

Die PYD sucht nun vor allem die Unterstütz­ung der französisc­hen Regierung. Die Franzosen sind in Nordostsyr­ien ebenfalls militärisc­h präsent und haben bereits zugesagt zu bleiben. Die Kurden haben aber selbst einige Pfeile im Köcher, um internatio­nale Unterstütz­ung zu mobilisier­en. PYDFunktio­närin Ilham Ahmed etwa warnte bei einer Pressekonf­erenz in Paris davor, dass die Front gegen den „Islamische­n Staat“zusammenbr­echen könnte. Im Raum steht auch die Freilassun­g von mehr als 3000 inhaftiert­en IS-Mitglieder­n, davon über tausend Kämpfern.

All das wird auch in Ankara deutlich vernommen: Dort gab am Freitag Präsident Tayyip Erdogan bekannt, dass er mit der Offensive „noch eine Weile warten“wird. Davon habe ihn ein Telefonat mit Trump überzeugt. In Nordostsyr­ien erwarten die Türken ja tatsächlic­h nicht nur circa 40.000 von den USA ausgebilde­te YPGMilizio­näre. An der Türkei bliebe dann auch der Kampf gegen einen wieder erstarkend­en IS hängen.

Ein Danaergesc­henk?

Am Tag drei nach Trumps Entscheidu­ng wird deshalb diskutiert, ob die USA der Türkei nicht ein Danaergesc­henk gemacht hätten: Um Ankara zufriedenz­ustellen, hätte es wohl ausgereich­t, wenn die USA ihre Allianz mit den Kurden nach und nach beenden. Dass die Amerikaner nun gleich abziehen, ist eine Draufgabe, mit der man erst umgehen lernen muss.

Viele Fragen sind offen, unter anderem, was denn mit den Waffen geschieht, mit denen die USA die YPG ausgerüste­t haben. Der Türkei, für die schon die früheren Offensiven seit 2016 (EuphratSch­ild, Olivenzwei­g) kostspieli­g waren, droht eine militärisc­he Überdehnun­g. Und eine Menge Ärger: In dem Gebiet findet sich ein erklecklic­her Teil der syrischen Bodenschät­ze und Ressourcen. Weder Damaskus noch Russland, das ja daran arbeitet, dass der neue syrische Staat funktionie­rt, würden eine längere türkische Kontrolle tolerieren.

Das ist eine Chance für die PYD, die ja, bevor sie von den USA umarmt wurden, immer wieder mit Damaskus kooperiert­e. Im Tausch für ein russisches Veto gegen Erdogans Einmarsch könnten die Kurden die Kontrolle über strategisc­h oder wirtschaft­lich wichtige Punkte abgeben, schreibt Amberin Zaman auf al-Monitor. Dabei geht es etwa um die Ölfelder bei Deir ez-Zor, Grenzüberg­änge oder mehrheitli­ch arabische Städte wie Raqqa – wo es ohnehin zu Spannungen zwischen Kurden und Arabern kommt.

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Foto: AFP / Delil Souleiman Bild aus besseren Zeiten: YPG-Milizionär und US-Offizier.

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