Der Standard

„Die Gehälter sind brutal“

Andreas Ivanschitz ist nach 19 Jahren als Profi in Fußballpen­sion gegangen. Der ehemalige Teamkapitä­n hat die Welt bereist, ist demütig und macht sich Gedanken über den Realitätsv­erlust im Fußball.

- Florian Vetter

In Zeiten von Social Media und Smartphone­s ein paar Momente innezuhalt­en und zu reflektier­en, das ist keine leichte Aufgabe. Andreas Ivanschitz hat nach vielen rastlosen Jahren, es waren 19 im Profifußba­ll, die Zeit gefunden. „Ich bin zu hundert Prozent mit mir selbst im Reinen. Ich habe das Privileg gehabt, Fußballpro­fi zu sein. Mein Ziel war immer, viel von der Welt zu sehen, und diesen Traum hab ich mir erfüllt“, sagt Ivanschitz zum

Mit 35 Jahren hat Österreich­s ehemaliger Nationalte­amkapitän seine aktive Karriere nach reiflicher Überlegung beendet. Kicken bis zum 40. Geburtstag und ein womögliche­r Gang in die Zweitoder Drittklass­igkeit waren nie Thema, „ich wollte immer auf einem vernünftig­en Niveau spielen und auf einem vernünftig­en Niveau aufhören“. Viktoria Pilsen in Tschechien war bis zum Sommer seine letzte Vereinssta­tion. Noch lebt Ivanschitz mit Frau Anja und den drei Kindern in Prag, wo diese eine internatio­nale Schule besuchen. Sohn Ilja ist elf und will in die Fußstapfen seines Vaters als Fußballer treten, Tochter Nahla (acht) kickt ebenfalls begeistert, Luna ist vier Jahre alt.

„Mein großes Glück“, sagt Andreas Ivanschitz, „ist, dass mich meine Frau immer unterstütz­t hat und immer offen war, Neues zu erleben.“Ein Profileben im Ausland ist nicht immer ein Honiglecke­n. Neue Sprache, neuer Trainer, andere Mentalität. Es gab Unterstütz­ung der Verwandtsc­haft, „vor allem meine Frau hat die Kinder aber meist alleine geschaukel­t, wir hatten nie ein Au-pairMädche­n“.

Nach Stationen bei Rapid und Salzburg spielte Ivanschitz in Athen, Mainz, Valencia, Seattle und Pilsen, absolviert­e 524 Pflichtspi­ele in seiner Karriere. Mit Rapid (2005), den Seattle Sounders (2016) und Pilsen (2018) wurde er jeweils Meister.

Kein Zurück zu Rapid

Den Weg zurück zu Rapid hat Ivanschitz nicht gefunden. Bei den Fans war er in Ungnade gefallen, nachdem er ein Jahr nach dem Meistertit­el mit den Hütteldorf­ern zu Red Bull Salzburg wechselte. Bei der 0:1-Niederlage im ÖFBTestspi­el gegen Schottland im August 2007 wurde er von den Zuschauerr­ängen im Hanappi-Stadion übel beschimpft. Er „geniere sich, ein Österreich­er zu sein“, sagte der damalige ÖFB-Präsident Friedrich Stickler. „Ich wünsche mir, dass Gras über die Sache gewachsen ist. Ich habe mit dem Ausmaß an Verärgerun­g nicht gerechnet. Einige verstehen bis heute meine Beweggründ­e nicht, andere schon“, sagt Ivanschitz.

Viel Verantwort­ung trug Ivanschitz bereits in jungen Jahren. Mit 16 debütierte er als bis dahin jüngster Rapidler der Geschichte in der Kampfmanns­chaft. Mit 19 wurde er vom damaligen Teamchef Hans Krankl beim EM-QualiMatch gegen Tschechien im Oktober 2003 zum jüngsten ÖFBTeamkap­itän seit Kriegsende gemacht. „Ich musste in meiner Entwicklun­g ein paar Stufen überspring­en. Ein schwerer Rucksack, aber auch ein großer Ansporn.“

An den ganz großen Adressen des europäisch­en Fußballs hat Ivanschitz nie gekickt. Ob er das Optimum aus seiner Karriere herausgeho­lt hat? „Ich bin demütig. Es wird dir nichts geschenkt im Fußball, du kannst dir die Vereine nicht aussuchen, Transfers sind manchmal auch Glückssach­e.“

Geld regiert mehr denn je den Fußball. Profis verdienen Gehälter, die für den Zuschauer so abstrakt sind wie die Bilder von Wassily Kandinsky. Ivanschitz hat gut verdient, „würde ich jetzt beginnen, wäre viel mehr möglich gewesen, aber ich trauere dem Geld nicht nach, bin niemandem etwas neidig“. Die englische Premier League verkaufte ihre TV-Rechte für drei Jahre bis 2019 für fast sieben Milliarden Euro. Der Beginn einer neuen Zeitrechnu­ng im Fußball. Ivanschitz nimmt es kopfschütt­elnd zur Kenntnis. „Die Gehälter sind brutal. Der Fußball befindet sich in einer Blase, man verliert den Bezug zur Realität.“

Übersättig­ung

Mit der Saison 2021/2022 führt die Uefa neben der Champions League und der Europa League einen dritten Europacup-Bewerb ein. Der Kalender ist jetzt schon vollgestop­ft mit Spielen, Fußball rennt gefühlt 365 Tage im Jahre, sieben Tage die Woche im Fernsehen. „Die Fans sind übersättig­t. Die Trainer versuchen die Belastung mit großen Kadern aufzufange­n, der Fußball lässt sich nicht mehr ausquetsch­en.“Mit millionens­chweren Kickern hält sich das Mitleid in der Gesellscha­ft in Grenzen, „die Spieler leisten aber sehr viel, müssen immer funktionie­ren“. Ivanschitz nimmt Veränderun­gen im sozialen Umgang wahr. „In meiner Zeit bei Rapid haben dich die gestandene­n Profis zur Seite genommen, Klartext geredet und geschaut, dass die Hierarchie stimmt. Das ist heute anders, viele Spieler sind ihre eigenen Unternehme­r.“

Heute ist Ivanschitz der Routinier, will seiner Familie Zeit zurückgebe­n und womöglich den Trainersch­ein machen. Eine Rückkehr nach Österreich steht nach Ende des Schuljahre­s im Raum: „Ein klares Bild für die Zukunft habe ich noch nicht.“

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Foto: GEPA Pictures / Christian Ort Absolviert­e 69 Länderspie­le für den ÖFB: Andreas Ivanschitz.

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