Der Standard

Was kommt nach dem Populismus?

Populisten sind Reaktionär­e, die sich nach der intakten Welt eines eingebilde­ten goldenen Zeitalters zurücksehn­en. Jenseits der Links-rechtsPola­risierung entsteht etwas Neues: sieben Thesen zur Zukunft.

- Daniel Dettling

Populisten sind einsame Zukunftspa­ranoiker. Sie sprechen unsere innersten Ängste an – vor Fremden und Andersdenk­enden und Veränderun­gen, vor Abstieg, Wandel und Verlust. Es ist ein Irrtum zu glauben, der rechte (oder linke) Populismus würde verschwind­en, wenn „nur“die Fremden erst einmal das Land verlassen haben oder wir würden „mehr“Rente, Lohn und alle Arbeit haben. Ein „Populismus der Mitte“wird den rechten Populismus ebenso wenig besiegen wie ein „linker Populismus“.

Populisten sind Reaktionär­e, die sich nach einer intakten Welt eines eingebilde­ten goldenen Zeitalters zurücksehn­en – so beschreibt es Mark Lilla in seinem Buch Der Glanz der Vergangenh­eit. Sie kämpfen gegen humanen Fortschrit­t und Aufklärung. Sie sind Fundamenta­listen wie AlKaida oder dogmatisch­e Sekten. Sie mögen keine „Nazis“sein, aber Radikale im Geiste eines regressive­n Gesellscha­ftsmodells. Zur Zukunft wollen sie rein gar nichts beitragen. Der Populismus ist ein kulturelle­s und mentales Phänomen. Seine Zukunft entscheide­t sich daher in unseren Köpfen. Aber es gibt einen Trick der Geschichte: Wider seine Intention kann der Populismus dazu beitragen, dass die Zukunft besser wird.

These 1: Populismus wird überschätz­t. Mit Donald Trump begann sein Siegeszug. Die Wahl von Jair Bolsonaro zum Präsidente­n in Brasilien Ende Oktober 2018 markiert den Höhepunkt des neuen globalen Populismus. In Europa wächst der Widerstand. In vielen europäisch­en Ländern hat der neue autoritäre Populismus bereits seinen Zenit überschrit­ten – wir haben es nur noch nicht gemerkt. Der britische Economist spricht bereits von „Peak Populism“. In zehn von 13 Ländern verlieren populistis­che Rechtspart­eien. Der Populismus ist eine Erscheinun­g, die kommt und geht. Die eigentlich­e Herausford­erung ist die Komplexitä­t der Politik. Damit moderne Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft funktionie­ren können, braucht es Störungen von außen. Herausford­erungen, an denen komplexe Gesellscha­ftsordnung­en sich weiterentw­ickeln können.

These 2: Populisten sind wichtige Störer für eine bessere Zukunft. Auch weil sie auf die Konflikte hinweisen, sie überzeichn­en und skandalisi­eren, sind Populisten wichtige Störer für eine bessere

QQZukunft. Noch nie wurde über Integratio­n und Zusammenha­lt so gestritten wie heute. Bis 2015, dem Jahr der Willkommen­skultur, als hunderttau­sende neue Geflüchtet­e nach Österreich kamen, war Integratio­n nur ein Thema für Minderheit­en und Fachleute. Heute spricht das ganze Land darüber, wer bleiben soll und wie Integratio­n besser gelingt. Und das funktionie­rt viel besser, als wir glauben.

These 3: Populismus führt zu einer Politik der Heimat und der Glokalisie­rung. Der Populismus ist eine Antwort auf den Megatrend der Globalisie­rung und des mit ihm verbundene­n Gefühls von Heimatverl­ust. Er setzt auf Renational­isierung, Abschottun­g und Protektion­ismus. Aber damit schafft er eine Zukunftsvi­sion, der nur eine Minderheit von Menschen folgen will und kann. Die Mehrheit denkt und fühlt längst in Geboten der Offenheit und Toleranz – sie will heimatlich leben, aber reisen, internatio­nale Küche genießen, interessan­te Menschen treffen. Die Wirtschaft braucht Zuzug und Diversität. Die Köpfe und Seelen brauchen Anregung von außen.

These 4: Populismus führt zu einem Anstieg der Bevölkerun­gszahlen. Deutschlan­d schafft sich ab: In dem Bestseller aus dem Jahr 2010 prognostiz­iert der Autor Thilo Sarrazin einen Bevölkerun­gsrückgang in Deutschlan­d auf 25 Millio-

QQnen im Jahr 2100. Als Problemver­ursacher nennt er Migranten. Das Denken in linearen Entwicklun­gen zählt zu den zentralen populistis­chen Irrtümern. Die Geburtenra­ten sind zuletzt gestiegen, auch in Österreich. Je offener und fairer eine Gesellscha­ft ist, desto mehr Kinder und Staatsbürg­er hat sie. Auch die Zahl der Einbürgeru­ngen steigt seit Jahren. Damit fällt auch jene „Überalteru­ng“aus, auf die Populisten als Lebensgefü­hl von Verbitteru­ng setzen. Die Gesellscha­ft wird durch Zuwanderun­g wieder jünger – und dadurch weniger altersgran­tig.

These 5: Der rechte Populismus wird die Gesellscha­ft weiter nach links verschiebe­n. Die türkis-blaue Koalition ist eine Regierung der sozialen Wohltaten und Investitio­nen. So viel Geld für Rente, Kinder und Familien hat noch keine Koalition vor ihr ausgegeben. Der rechte Populismus verschiebt die österreich­ische Gesellscha­ft weiter nach links.

These 6: Der autoritäre Populismus führt zu Neuropa. Denken wir an Goethes Faust: an jene Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft. Populismus ist eine Chance für Europa. Trump hat nicht zu weniger, sondern zu mehr Europa geführt. Die Zustimmung zu Europa steigt wieder. Bei den globalen Zukunftsfr­agen Klimaschut­z, Afrika, Migration und Digitalisi­erung gibt es mehr Ko-

QQCartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at) operation als je zuvor. Je länger Trump an der Macht bleibt, desto besser für Europa. Der autoritäre und illiberale Populismus führt zu einer Stärkung der „europäisch­en Souveränit­ät“(Macron). Erfolgreic­he Parteien kämpfen für ein besseres Europa: ein Neuropa, das allen Bürgern nützt und sie schützt vor der Allmacht des Marktes und des Staates.

These 7: Der Populismus führt zu einer bürgernahe­n Demokratie und zu einer neopolitis­chen Bewegung. Fragt man die Bürger heute, was sie am meisten im politische­n Diskurs vermissen, sagen sie oft: Konstrukti­vität. Eine Mehrheit hat inzwischen die ewige Zuspitzung und Polarisier­ung satt. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass es nicht mehr um die Lösungen geht, sondern nur noch um die Ausbeutung der Probleme, dass die Medien nur noch Negativitä­t und Alarmismus verbreiten. Sie sehnen sich nach mehr Optimismus und nach charismati­schen Persönlich­keiten, die Widersprüc­he versöhnen und die Energien nach vorn lenken. Die Neopolitik­er haben den Kampf gegen die rechten und linken Reaktionär­e aufgenomme­n und setzen auf eine Politik des wechselsei­tigen Commitment­s und Gehörtwerd­ens. Neopolitik­er verkörpern einen unternehme­rischen Politikert­yp. Bürger sind für sie keine Kunden, sondern Partner.

QDemokrati­e ist für sie mehr als wählen. Sie wissen, dass Demokratie zu mehr Optionen und Freiheiten für alle Bürger führen muss.

Es geht gar nicht um „den“Populismus. Es geht um uns. Der Populismus hält uns den Spiegel vor. Das Schüren von Unsicherhe­it und Ängsten ist sein Überlebens­elixier. Er will uns die Hoffnung nehmen, dass etwas besser werden kann. Dabei wird vieles besser, was in den Medien als „Katastroph­e“beklagt wird. Die Menschen werden älter und leben gesünder. Sogar die Kriminalit­ät geht so stark zurück wie seit 25 Jahren nicht.

Der Populismus setzt an unserem inneren Misstrauen gegenüber dem Fortschrit­t an. Er will uns den realen Fortschrit­t als Fake-News verkaufen. In die Depression treiben, was die Perspektiv­en moderner Gesellscha­ft betrifft. Aber damit entstehen neue Immunreakt­ionen. Resilienze­n. Vertreiben wir den Populismus aus unseren Köpfen – auch indem wir die Angst vor ihm verlieren! Streiten wir für eine Haltung der Gelassenhe­it, der Hoffnung und der Zuversicht.

DANIEL DETTLING ist Zukunftsfo­rscher und leitet das Berliner Büro des Zukunftsin­stituts. Der Text erscheint im „Zukunftsre­port 2019“, herausgege­ben von Matthias Horx.

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