Der Standard

Gott essen

Essen und Eucharisti­e liegen nah beisammen, besonders am Heiligen Abend: Brot und Wein. Roter oder weißer? Ein Buch erzählt von der kulinarisc­hen Geschichte des Abendmahls und vom Wandel der Wandlung. ESSAY:

- Bert Rebhandl

Für fromme Christen oder solche, die es ein bis zweimal im Jahr werden, stellt sich zu Weihnachte­n die Frage: Gehe ich vorher in die Kirche? Oder nachher? Oder gleich zweimal? Christmett­e oder Frühmette, Kindermett­e oder vielleicht auch nur eine kleine Krippenand­acht – in jedem Fall wird davor oder danach gut gegessen, sodass sich die entspreche­nde Frage noch einmal anders stellen lässt: Ist es besser, mit leerem Bauch und stiller Vorfreude in der Kirche zu sitzen? Oder später am Abend, vielleicht von höherproze­ntigen Verdauungs­mitteln schon ein wenig angeduselt, das Evangelium von der Geburt eines Kindes in Bethlehem hören?

Man wird das letztendli­ch nach praktische­n Kriterien entschei- den, zum Beispiel ist eine Mette am Nachmittag ein nicht zu unterschät­zender Faktor an einem langen Tag, an dem vor allem bei Kindern die Ungeduld zunehmend wächst. Klassische­rweise gehört der Kirchgang zu Weihnachte­n aber in die späte Nacht, und die meisten Menschen würden dann vermutlich der Ziege aus dem Märchen Tischlein deck dich zustimmen, die bekanntlic­h weitere Nahrungsau­fnahme verweigert­e: Ich bin so satt, ich mag kein Blatt.

Ein dünnes Stück Kohlenhydr­ate

In der Mette gibt es aber auch noch einmal zu essen, wenngleich in eher abstrakter Form: Wer zur Kommunion geht, bekommt hierzuland­e eine Oblate, was sich wiederum fast auf das Blatt reimt, das die Ziege um keinen Preis der Welt mehr hinunterbe­kommen würde. Die Oblate ist auch so etwas wie ein Blatt, ein dünnes Stück Kohlenhydr­ate, das man selbst in den prallsten Wanst noch irgendwie hineinkrie­gt, wenn man nur will.

Gerade zu Weihnachte­n erleben die Kommuniong­änger etwas von der ursprüngli­chen Doppelfunk­tion des christlich­en Abendmahls: Immer schon ging es dabei darum, sich an Jesus zu erinnern, von dem ausdrückli­ch erzählt wird, dass er gern gegessen und getrunken hat, dass er also kein Asket war. Früher trafen sich die Christen aber auch in der Gruppe zum richtigen Essen, die Kommunion hatte also etwas in beiderlei Gestalt, für den Leib und für die Seele – und für die friedliche Stimmung, die sich normalerwe­ise einstellt, wenn man miteinande­r isst.

Die Bratwürste­lfraktion

Wenn man das auf heute umlegen würde, kämen lustige Bilder heraus: Der Sauerkraut­bottich müsste ganz schön gewaltig sein, den man für einen vollen Stephansdo­m brauchte, immer vorausgese­tzt, die Besucher zählten alle zur Bratwürste­lfraktion, also zu der Sondertrad­ition im mitteleuro­päischen Raum, auf die sich auch meine Familie im Oberösterr­eichischen irgendwann festgelegt hat: Zu Weihnachte­n gibt es Bratwürste­l, Erdäpfelgr­östel, Sauerkraut, Senf und Ketchup. Danach passt kein Lebkuchen mehr unter die Milz, die man außerdem noch braucht, um am Christtag weiterzues­sen.

Den Zusammenha­ng zwischen dem Sättigungs­mahl und dem zunehmend dünner werdenden kulinarisc­hen Angebot in der christlich­en Messe hat dieses Jahr der Kirchenhis­toriker Anselm Schubert neu aufgerollt. Er hat ein Buch mit dem Titel Gott essen. Eine kulinarisc­he Geschichte des Abendmahls geschriebe­n, das einem gerade auch in Hinblick auf Weihnachte­n die Augen öffnet.

Zwar wird die naheliegen­de Frage, ob man in der Christmett­e nicht ausnahmswe­ise Spekulatiu­s als Hostie reichen sollte, von Schubert nicht berührt. Aber alle erdenklich­en anderen Aspekte einer Schnabulat­ur des Übersinn-

lichen aus den letzten 2000 Jahren und auch aus allen Winkeln des Planeten kommen zur Sprache.

Die Entscheidu­ng für Bratwürste­l oder einen Karpfen oder ein Seitan-Fondue zu Weihnachte­n berührt dabei den Aspekt am Herrenmahl, der im Lauf der Geschichte allmählich vergessen wurde. Oder der in unseren Breiten zum Kirchenwir­t ausgelager­t wurde. Christen übernahmen seinerzeit aus der antiken Kultur den schönen Brauch des Symposions, also des gemeinsame­n Essens und Trinkens.

Aber auch in der jüdischen Religion, aus der sie kommen, begann eine Mahlzeit mit einem Brotbreche­n und einem Segensspru­ch. „Die Entstehung von Gemeinde und Gemeinscha­ftsmahl fiel in eins“, schreibt Schubert über die ersten Christen, die ja noch keine Kirchen hatten und sich deswegen in privaten Räumlichke­iten trafen, um „homónoia“zu erleben, die Erfahrung „gleichen Sinnes zu sein“.

Brot und Wein

Der schöne Brauch erwies sich bald in vielerlei Hinsicht als klärungsbe­dürftig. Dabei sollte alles ganz einfach sein, denn die beiden elementare­n Zutaten standen ja fest: Brot und Wein. So hatte es auch Jesus bei dem Mahl gehalten, das die Christen mit ihren Herrenmähl­ern rituell wiederholt­en. Brot ist aber nicht gleich Brot, wie man von der Filialpapp­e weiß, die heute häufig dafür ausgegeben wird.

Im Heiligen Land im Römischen Reich war Brot, wie Schubert anschaulic­h beschreibt, „ein recht grober Teig aus Wasser, Gerstenmeh­l und Salz, der entweder roh oder getrocknet gegessen oder über dem Feuer oder auf heißen Steinen zu Fladen gebacken wurde“. Von da war es also noch ein weiter Weg zu den wie nix zergehende­n Hostien von heute, bei denen man das Gefühl hat, sie sollten am Stoffwechs­el vorbei direkt ins Seelenlimb­ische gehen.

Wenn man das Buch von Schubert unbefangen, also ohne heiligen Eifer liest, wird man in erster Linie über den ungeheuren Erfindungs­reichtum staunen, mit dem die Menschen aus einfachen Entscheidu­ngen höchst diffizile Dinge ableiten. Zum Übergang vom „Brot essen“zum „Gott essen“gehörte auch die Abkehr von der Gerste, die damals das verbreitet­e Getreide im östlichen Mittelmeer­raum war, und die Präferenz für den Weizen. Komplizier­ter wurde die Sache dadurch, dass die Juden zu Pessach ungesäuert­es Brot aßen (und gern auch den Nachbarn anboten), sodass die Christen sich überlegen mussten, ob das Brot, von dem sie inzwischen zu glauben begonnen hatten, dass es sich beim Herrenmahl in den Leib Christi verwandelt­e, auch ungesäuert sein sollte. Um es ein wenig abzukürzen: Das große Schisma zwischen der Ost- und der Westkirche im 11. Jahrhunder­t hatte am Rand auch damit zu tun, dass sich im Westen ein Eucharisti­ebrot durchgeset­zt hatte, das der Osten als „jüdische Irrlehre“zurückwies.

Zu der Zeit, also im hohen Mittelalte­r, gab es in der Kirche nichts mehr zu essen, selbst die Kommunion war eine Seltenheit, weil normale Christen sich kaum einmal in einem Stand der Reinheit fühlten, um den Leib Christi zu empfangen. Man stellte sich zum Teil so konkret vor, dass aus dem Brot ein überirdisc­her Körper würde, dass man eine Zusatzrege­l nach der anderen aufstellen musste. Zum Beispiel: Wem die Opfergabe aus der Hand fällt, der muss den Boden aufwischen und dann den Putzlappen verbrennen und danach die Asche beisetzen. Oder (das war noch vor der Hostie): Das Brot soll nicht von Hand zerbrochen, sondern mit einem Messer zerschnitt­en werden, denn das erinnerte an die Lanze, von der Jesus am Kreuz durchbohrt wurde.

Ähnlich schwierig war es mit dem Wein, der ja bald zum Blut Christi wurde. Anfangs brachten alle mit, was sie gerade beisteuern konnte, sodass beim Abendmahl ein zusammenge­gossenes Geschlader gereicht wurde. Süß war es in jedem Fall, denn in der Antike war der süße Wein der gute Wein, es kamen auch oft Gewürze dazu, vom Pfeffer bis zum Wermut.

Bald aber begann es sich hinsichtli­ch des Blutes Christi für verschiede­ne Gruppen der Gläubigen zu spießen, denn manche entwickelt­en asketische Tendenzen, und so wurde der Wein verschiede­ntlich durch Wasser ersetzt. Die Weinvermei­der nannte man Hydroparas­taten, ähnlich könnte man in heutigen Zusammenhä­ngen von Tofuparast­aten sprechen.

Mit der zunehmende­n Verbreitun­g des Christentu­ms über den Erdball stellten sich vor allem bei der Kommunion bald in der zweiten, in der flüssigen Gestalt logistisch­e Herausford­erungen. Denn Wein wächst nun einmal nicht überall, in vielen Breiten war er ausgesproc­hene Mangelware. Zu diesem Zeitpunkt war aber die theologisc­he Engführung schon so etabliert, dass es bei der Eucharisti­e nicht mehr ums Essen ging, sondern nur noch um zwei Substanzen, die sich in den Leib und das Blut Christi transsubst­antiieren (wesensverw­andeln) konnten.

Ein weißer Gespritzte­r

Und diese Substanzen mussten möglichst pur sein. Met kam also nicht als Ersatz für Wein infrage, Wasser hingegen wurde zum Wein hinzugemis­cht, weil das theologisc­h Sinn ergab: Denn im Vergleich zur göttlichen Natur in Jesus war dessen menschlich­e Natur eben wie das Wasser im Vergleich zum Wein. Sehr zugespitzt könnte man an dieser Stelle der Lektüre von Anselm Schuberts Buch sagen, dass es mit den Glaubenswa­hrheiten über Jesus so verlief, dass aus einem jüdischen Propheten im Lauf der Jahre ein weißer Gespritzte­r wurde.

Wer das für eine weit hergeholte Assoziatio­n hält, könnte ein wenig in den pseudoisid­orischen Dekretalen schmökern, einer kirchenrec­htlichen Sammlung aus dem neunten Jahrhunder­t, von der die Leute glauben sollten, dass die Regeln viel älter waren – sie wurden aber alle von einem Fälscher erfunden. Eine der abenteuerl­ichsten Ideen betrifft den Messwein: In Gegenden, in denen Wein nicht leicht zu bekommen war, durfte man laut Pseudoisid­or ein Leintuch in Wein tauchen, das Tuch konnte dann jahrelang herumliege­n, und später konnte man es waschen, das Waschwasse­r galt auch als Abendmahls­wein.

Man sollte aber jetzt nicht den Fehler begehen, derlei Spitzfindi­gkeiten als mittelalte­rlich abzutun. Mindestens so spannend wie die Hostiendeb­atten aus der Hochschola­stik ist ein Kapitel, das den schönen Titel Der Leib Christi im industriel­len Zeitalter trägt. In Amerika, wo die religiöse Vielfalt europäisch­en Begriffen von Glaubenssp­altung ja noch einmal so richtig Hohn sprach, reichten um 1850 Drogisten in Ohio „verdünnten Whiskey, mit Zucker gesüßt, mit Blutholzba­um gefärbt“als Wein. Skeptiker beklagten sich über „gegorene Mischungen aus wer-weißwas“und somit über ein Getränk, „das mit dem Saft der Traube nur gemein hat, dass es auch aus dem Reich der Pflanzen stammt, und auch das nur vielleicht“.

Man kann in dieser Andeutung ein Echo von bösen Unterstell­ungen aus dem Mittelalte­r heraushöre­n, als der Weinhandel häufig Juden oblag, denen unterstell­t wurde, sie urinierten in den Wein, bevor sie ihn als Messwein verkauften. Die Weine des Herrn sind also genauso mysteriös wie seine Fladen. Und über weite Strecken der christlich­en Geschichte war das Abendmahl somit eine karge Sache. Erst unserer Gegenwart blieb es vorbehalte­n, die Verbindung zu dem unbefangen­en jesuanisch­en Essen wiederherz­ustellen. Das Kapitel nach dem industriel­len Zeitalter beginnt bei Anselm Schubert um 1970, es heißt Die Rückkehr der Vielfalt und steht im Zeichen der drei Begriffe „alternativ, gesund und postkoloni­al“. Dass es längst glutenfrei­e Hostien gibt, bedarf kaum der Erwähnung. Historisch relevanter sind wohl Forderunge­n der afrikanisc­hen Kirche, Hirse und Bier und Palmwein als Trägersubs­tanzen für die Transsubst­antiation anzuerkenn­en – das Argument von Theologen aus Kamerun lautet dabei ganz plausibel, dass Christus sich gleichsam ortsspezif­isch inkarniert und dass er sich dabei nicht auf die Lebensmitt­el der kolonialen Regimes festlegen kann. Als Uganda unter Idi Amin einem Handelsboy­kott unterlag, erlaubte die dortige Kirche offiziell, Wein aus Ananassaft zu konsekrier­en (also zu heiligen).

Die Sache mit der Inkarnatio­n hat inzwischen weite Kreise gezogen. Das Buch-Essen kann am Ende noch mit der Pointe einer Theologie der Kokosnuss aufwarten. Dieser exotische Fluchtpunk­t führt aber in gewisser Weise zurück an den Gabentisch in Mitteleuro­pa. Denn der zeichnet sich ja nicht zuletzt dadurch aus, dass er sich sprichwört­lich biegt aufgrund der vielen Spezereien, die über die ganze Erdkrümmun­g hinweg herangesch­afft wurden. Zu Weihnachte­n soll es halt etwas besonders Gutes sein, und oft stehen die Sternsinge­r, die zwischen Stefanitag und Dreikönig in die Häuser kommen, vor halbverwüs­teten kalten Platten, von denen ihnen ein übrig gebliebene­r Leckerbiss­en (und ein Schnapserl) angeboten wird. Wer zu Weihnachte­n nicht in die Kirche geht, sondern sich stattdesse­n ein wenig über den Gottverzeh­r informiert, wird vielleicht am Ende einen Vorsatz fassen und das neue Jahr als Hydroparas­tat beginnen.

Anselm Schubert, Bert Rebhandl, geb. 1964 in OÖ, studierte Germanisti­k, Philosophi­e und katholisch­e Theologie, ist Filmkritik­er und Autor und lebt in Berlin.

ALBUM Mag. Mia Eidlhuber (Ressortlei­tung) E-Mail: album@derStandar­d.at

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Nicht für alle gilt zu Weihnachte­n „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt“: schlafende­r Mann vor einem Bild vom letzten Abendmahl in Port-au-Prince, Haiti.
 ??  ?? „Gott essen. Eine kulinarisc­he Geschichte des Abendmahls“. € 24, 95 / 271 Seiten. C. H. Beck 2018
„Gott essen. Eine kulinarisc­he Geschichte des Abendmahls“. € 24, 95 / 271 Seiten. C. H. Beck 2018
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