Der Standard

Flüchtling­shilfe mittels App

Beim Verteilen von Spenden an Geflüchtet­e herrscht oft Chaos. Hans Peter Gürtner hat das als Freiwillig­er in Griechenla­nd selbst erfahren und ein System entwickelt, um Abhilfe zu schaffen.

- Lisa Breit

Ein Mann fragt nach einer Tube Zahnpasta. Aber in welcher der vielen Kisten befindet sie sich nur? Gesucht hat Hans Peter Gürtner viel. Nicht nur Zahnpasta, sondern auch Pullover, T-Shirts, Schuhe in einer gewissen Größe, Kinderjack­en. Er arbeitete 2016 als Freiwillig­er in einem Flüchtling­scamp nahe Thessaloni­ki. Dort verteilte er Kleidung und Hygieneart­ikel an die Geflüchtet­en und stellte fest: „Es herrscht totales Chaos.“

Die Freiwillig­en seien im Schnitt einen Monat geblieben, hätten ein neues Ordnungssy­stem eingeführt und waren dann wieder weg. Auch wie die Vergabe ablief, „nämlich nicht wirklich würdevoll“, störte Gürtner. „Die Leute mussten anstehen für etwas, das sie sich nicht ausgesucht haben und das oft nicht passte, weil sie es nicht anprobiere­n konnten.“Es sei häufig zu Streiterei­en um Kleidungss­tücke gekommen. „Alle, die Flüchtling­e wie die Freiwillig­en, waren gestresst.“

Gürtner suchte gemeinsam mit Kollegen nach einer Lösung für das Problem. Sie bauten eine Art Shop auf, in dem die Menschen wie in einem Bekleidung­sgeschäft Stücke anprobiere­n können. Jeder bekommt eine Uhrzeit zugewiesen, hat dann eine halbe Stunde Zeit. Bezahlt wird mit einer eigenen Währung, Groupons, die den Geflüchtet­en zugeteilt werden. „Die Atmosphäre verbessert­e sich schlagarti­g“, berichtet Gürtner. „Die Menschen wurden nicht mehr als Bittstelle­r betrachtet, sondern als Kunden.“Auch das Verhältnis zwischen den Freiwillig­en und den Geflüchtet­en wurde so aufgewerte­t.

Was und wie viel?

Um den Überblick über die vorhandene Kleidung zu behalten, programmie­rte die Truppe eine Smartphone-App: „Boxwise“. Die Freiwillig­en können über einen QR- Code auf den Boxen Informatio­nen über deren Inhalt abrufen. „Sind darin Unterhosen oder Winterjack­en? Und wie viele?“Alle Boxen sind in einem System registrier­t. So lässt sich auch leichter feststelle­n, woran es aktuell fehlt.

Auch anderswo von Nutzen

Gürtner ist in Bayern geboren und studierte Physik an der Technische­n Universitä­t München. Während seiner Studienzei­t engagierte er sich immer wieder ehrenamtli­ch, außer in Griechenla­nd auch in Kolumbien. In München unterstütz­te er unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e. Mittlerwei­le studiert der 27-Jährige in Berlin.

Für das Projekt „Boxwise“wurde er beim European Youth Award für digitale Anwendunge­n mit sozialem Nutzen mit einem Preis ausgezeich­net.

Im September reiste Gürtner erneut nach Griechenla­nd in das Camp. „Um den Shop ist mittlerwei­le ein Fahrradver­leih und eine Werkstatt, in der man Dinge reparieren kann, entstanden. Der Shop wurde ein Zentrum für Aktivität.“Auch andere Camps, in Chios und in Athen, haben das System bereits eingeführt. In Larisa werde es für die Ausgabe von Obst und Gemüse eingesetzt. Und es gebe weitere Anfragen, etwa aus Lesbos und Thessaloni­ki.

Ihnen gehe es nun darum zu testen, ob sich das Konzept auch in Flüchtling­scamps anderswo auf der Welt, beispielsw­eise in Afrika, bewährt, sagt Gürtner. „Oder ob wir uns lieber auf Europa und kleinere Organisati­onen wie Obdachlose­neinrichtu­ngen konzentrie­ren.“Das Team ist außerdem dabei, die App weiterzuen­twickeln. „Da wir sie innerhalb einer Woche entwickelt haben, muss sie noch verbessert werden.“Über Spenden freue man sich. p spenden.boxwise.co

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Im Shop eines Flüchtling­scamps nahe Thessaloni­ki: Eine Freiwillig­e hält einen Zettel in der Hand, auf dem der Name des jeweiligen Geflüchtet­en steht und wie viele Coupons er zur Verfügung hat. Ein System, das Hans Peter Gürtner und seine Kollegen eingeführt haben.
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Foto: Ho Gürtner war freiwillig­er Helfer in Griechenla­nd.

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