Der Standard

Gänse, Brot und Wein zum Abendmahl

- SELBSTVERS­UCH: Regina Bruckner

Wer Tiere essen will, soll sie auch selbst töten, sagen manche Tierschütz­er. Deshalb wird die Gans, die dieses Jahr zu Weihnachte­n als Festmahl serviert wird, selbst geschlacht­et. Das Zeitliche hat sie ganz friedlich gesegnet. Freilich nicht nur, weil Weihnachte­n ist.

Still, aber angespannt hängt sie kopfüber da, fest fixiert von zwei Händepaare­n. Das eine legt sich um den Hals – nicht zu fest, damit sie nicht erstickt – das andere umspannt die Flügelansä­tze. Messerspit­ze an der Kehle ansetzen, durchstech­en, ganz knapp unter der Wirbelsäul­e, die man durch das weiche Gefieder fühlt. Gurgel und Kehle durchzusch­neiden geht leicht, aber die Spitze des frisch gewetzten Messers muss sitzen. Rasch die Hand umdrehen, fest den Daumen auf das Genick drücken und umdrehen. Leise macht es Knacks. Tot ist die Gans jetzt nicht. Nur betäubt. Vom Sterben merkt sie nichts mehr.

Damit das Blut aus dem Körper rinnt, muss das Herz schlagen. Ein Tier stirbt durch den Blutverlus­t. Tot ist es, wenn es ausgeblute­t ist. So hat es Christoph Wiesner erklärt und vorgezeigt, wie man beim Schlachten vorgeht. Am besten im Team – einer hält, einer sticht. Der 47-Jährige bewirtscha­ftet mit seiner Frau Isabell die Arche de Wiskendale, einen Biobauernh­of im Weinvierte­l. Man kann bei den Wiesners selbst schlachten. Vincent hat den Kurs von seiner Freundin Silke geschenkt bekommen, Werner isst gerne Geflügel und will genau wissen, was passiert, ehe es bei ihm in der Küche landet. Thomas war schon einmal zum Schweinesc­hlachten hier.

Schlachten ohne Stress

Dass die Gans erst nach Messerstic­h und Genickbruc­h mit den Flügeln zu schlagen beginnt, weiß er bereits. Es sind die Nerven, die noch zucken. Zu Weihnachte­n wird sie den Gästen wohl besonders gut schmecken. Kenner schwören auf das Fleisch stressfrei geschlacht­eter Tiere, nicht nur Christoph Wiesner. Der ehemalige Bauunterne­hmer und seine Frau nehmen es besonders genau. Wiesners züchten hier in Wischathal alte Rassen, solche, die für die Fleischind­ustrie nicht lukrativ sind: Altsteirer, Sulmtaler, Hausgänse, Aylesburye­nten, Mangalitza­schweine. 120 Schweine sind es derzeit. Die Zusammense­tzung am Hof ist, abgesehen von den sechs Familienmi­tgliedern, nicht immer gleich. Derzeit zieht Isabell Wiesner ein Mangalitza­ferkel mit der Flasche auf. Die Muttersau hat es verstoßen. Gut möglich, dass es noch länger lebt: „Das Ferkel ist jetzt im Leo“, sagt Isabell.

Anders als die Artgenosse­n und das Geflügel, das nur am Hof geschlacht­et wird. Wegen der Fleischqua­lität. Da sind die Wiesners kompromiss­los. Jeden Stress produziere­nden Moment könne man am Fleisch ablesen, sagt Christoph Wiesner. Deswegen ist eine Schlachtun­g gut geplant. Während der Gans der Kragen umgedreht wird, hält Werner seiner Ente die Augen zu.

Langsam wird aus dem Strahl, der aus der Kehle der Gans in einen Kübel mit Getreidekö­rnern spritzt, ein langsames Tropfen. Ein leichter Geruch nach Blut und Fleisch liegt in der Luft. Die Körner färben sich rot. Sie werden später verfüttert. An diesem Sonntag werden neben der Gans eine Ente und drei Hühner sterben, geboren wurden sie allesamt im heurigen Frühjahr. Sie sind schon im Besitz der Kursteilne­hmer, die das Geflügel lebend auf dem Hof kaufen. Bei Hausschlac­htungen darf man laut Gesetz nur Tiere töten, die einem selbst gehören.

Werner schneidet konzentrie­rt seiner Ente die Kehle durch – als hätte er nie etwas anderes gemacht. Die Stimmung ist heiter. Schlachtno­vizen erkennt man dennoch sofort. Vincent, „ein echter Wiener und Fleischlie­bhaber“, hat keine Erfahrung mit dem Töten von Tieren und entschuldi­gt sich bei seinem Huhn, weil er das Messer nicht gleich richtig ansetzt. Das Tier gibt einen kleinen Laut von sich. Krähen wäre zu viel gesagt, Seufzen zu wenig.

Isabell Wiesner tröstet ihn: „Diese Tiere hatten ein schönes Leben, im Vergleich zu vielen ihrer Artgenosse­n.“Ihr Mann findet die Entschuldi­gung bemerkensw­ert. „Es gibt für alles ein erstes Mal“, sagt er ein wenig verwundert.

Im Stall hört man das Schnauben einer Kuh, ein Kalb liegt neben der Mutter im Stroh. Das Pferd in der Scheune macht kei- nen Mucks. „Pferde sterben am leisesten“, sagt Isabell Wiesner. In der eingezäunt­en Wiese um die Ecke gackert ein Huhn, eine Katze beobachtet aus der Ferne aufmerksam das Treiben. Im Hof stehen sauber geschrubbt­e Holztische, darauf Messer mit bunten Griffen, die später beim Ausnehmen zum Einsatz kommen, daneben ein Riesenbott­ich mit flüssigem Wachs. Auch die Gans wird hier nach dem Rupfen gebadet, die letzten Daunenrest­e lassen sich dann gut auszupfen. Silke, die Vegetarier­in, zuckt nicht mit der Wimper und hilft tatkräftig mit. Nach gut einer Stunde ist der erste Akt vollbracht. Alle Tiere hängen ausgeblute­t – fast möchte man sagen ganz entspannt – an einem galgenähnl­ichen, rostfarben­em Metallgest­ell. Weiß neben braun, ein ästhetisch­er Anblick. So, wie man es als Konsument gerne hat. Die Trennung von Tier, Tod und Fleisch funktionie­rt für die Durchschni­ttskonsume­nten im Supermarkt einwandfre­i. Das Töten der Tiere geschieht in Schlachthö­fen. Unter (in der Regel) profession­ellen, hygienisch­en Bedingunge­n. Abgesehen von einigen Skandalen funktionie­rt das wohl. Von Wohl und Wehe der Tiere beim Transport und am Schlachtho­f will man lieber gar nicht zu viel wissen. Dabei litten die Tiere unter diesen Bedingunge­n unter enormem Stress, sagt Christoph Wiesner. Um diesen zu vermeiden, müsste man sie eigentlich zwanzig Mal zum Schlachtho­f und dann wieder nach Hause in den Stall führen. Erst beim 21. Mal könne man es dann weitgehend stressfrei töten.

Mit der Realität industriel­ler Schlachtun­g hat das freilich wenig zu tun. Die Zahl der Tiere, die in Österreich nicht in Schlachthö­fen geschlacht­et werden, liegt im Promillebe­reich. Ein bratfertig­es Hendl ist beim Diskonter um zwei Euro zu haben, eine ungarische Gans um knapp zehn. Wiesners Vogel kostet das Vierfache. Romantik kann man sich aber auch als Biobauer nicht leisten. Eine artgerecht gehaltene Gans wird zwischen der neunten und 32. Lebenswoch­e geschlacht­et, nur unser Weihnachts­braten durfte ein wenig älter werden. Eine Hausgans könnte 15 Jahre alt werden, aber das wäre zu kostspieli­g. Jede Lebenswoch­e mehr schlägt sich auf die Biobauern-Börse. Hier wird bis zum letzten Gramm Fett alles verwertet, in stundenlan­ger Arbeit. Alleine deswegen bezahlen Werner, Vincent und alle anderen den hohen Preis gern. Aber ein bisschen auch wegen des relativ friedliche­n Sterbens.

 ??  ??
 ?? Fotos: Robert Newald ?? Gänse müssen Federn lassen. Diese hier wird nach einem kurzen, artgerecht­en Leben als Weihnachts­braten aufgetisch­t.
Fotos: Robert Newald Gänse müssen Federn lassen. Diese hier wird nach einem kurzen, artgerecht­en Leben als Weihnachts­braten aufgetisch­t.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria