Der Standard

Swarovskis Schwierigk­eiten mit der NS-Vergangenh­eit

Das Unternehme­n Swarovski muss sich seit Jahren Vorwürfe wegen seiner Rolle in der NS-Zeit gefallen lassen. Eine umfangreic­he wissenscha­ftliche Aufarbeitu­ng liegt vor – erscheinen darf jetzt nur eine Kurzversio­n. Wie ist es dazu gekommen?

- András Szigetvari

Am 21. Februar 1938, kurz vor dem „Anschluss“Österreich­s an das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d, marschiere­n 500 Menschen in einem Fackelzug durch Wattens. Die Mehrheit der Teilnehmer, so berichtet die Gendarmeri­e etwas später, sind Mitarbeite­r des Swarovski-Werks in dem Tiroler Ort. Mit dabei sind zwei Erben aus der Swarovski-Familie, Wilhelm und Friedrich. Der Marsch endet mit „Sieg Heil“- und „Heil Hitler“-Rufen“und den ersten Strophen des Deutschlan­dliedes, dem bekannten „Deutschlan­d, Deutschlan­d über alles“.

Diese Episode findet sich in einem Aufsatz, den der Historiker Dieter Stiefel soeben in einem historisch­en Fachjourna­l namens Contempora­ry Austrian Studies publiziert hat. Der erwähnte Beitrag ist die kurze Zusammenfa­ssung zweier Bücher, die Stiefel in den vergangene­n Jahren über Swarovski geschriebe­n hat. Beide Bücher beleuchten die Rolle der Firma und ihrer Eigentümer während der NS-Zeit. Beide Bücher dürfen bis heute nicht veröffentl­icht werden, der Konzern hat sie verräumt – obwohl das Unternehme­n die historisch­e Aufarbeitu­ng bei Stiefel selbst in Auftrag gegeben hat.

„Wir wollen proaktiv mit unserer Geschichte umgehen“, sagt Markus LangesSwar­ovski, einer der einflussre­ichsten Vertreter der Familie heute (siehe Interview

rechts). Aber was ist dazwischen­gekommen? Die folgende Geschichte beleuchtet die Vergangenh­eit eines der renommiert­esten österreich­ischen Familienun­ternehmen, dessen führende Köpfe enge Verflechtu­ngen mit dem NS-Regime hatten.

Sie handelt zugleich davon, wie schwer es selbst heute, mehr als 70 Jahre nach dem Ende der NS-Zeit, fallen kann, sich seiner Vergangenh­eit zu stellen. Swarovski ist ein Unternehme­n, dessen Führung zwischen dem Wunsch, die eigene Geschichte aufzuarbei­ten, und der Furcht vor möglichen negativen Konsequenz­en einer solchen Transparen­z hin- und hergerisse­n ist.

Der Grundstein für das heutige Unternehme­n wird im böhmischen Gablonz Ende des 19. Jahrhunder­ts gelegt. Der Ort ist damals weltbekann­t für seine Glasperlen­produktion. 1891 entwickelt Daniel Swarovski, er ist Handwerker, eine maschinell­e Schleifmas­chine für Glas. Das Gerät ermöglicht es, den Glasschmuc­k industriel­l herzustell­en, statt ihn wie bisher in mühevoller Handarbeit zu erzeugen. Ein jüdischer Händler aus Paris namens Armand Kosmann, der das Unterfange­n finanziert, Daniel Swarovski und ein dritter Teilhaber schließen sich zusammen und gründen ein Unternehme­n. Bald übersiedel­n sie nach Wattens in Tirol, weil dort der für die Produktion so wichtige elektrisch­e Strom dank der Wasserkraf­t ausreichen­d vorhanden ist. Swarovski kann durch seine Fertigungs­technik derart kostengüns­tig produziere­n, dass der Modeschmuc­k für breite Schichten erschwingl­ich wird. Und so beginnt der Aufstieg zum Großuntern­ehmen.

Das Schicksal der Firma prägen in der folgenden Phase vier Menschen: Neben dem Patron Daniel (1862–1956) sind es seine drei Söhne Wilhelm (1888–1962), Friedrich (1890–1961) und Alfred (1891–1960), von denen die ersteren beiden beim Fackelmars­ch dabei waren. Sie führen die Alltagsges­chäfte. Alfred leitet die Finanzen, Friedrich die Produktion, Wilhelm ist für Chemie zuständig. Bis in die Gegenwart spielen sie eine wichtige Rolle: Alle Nachfahren, die gesamte Familie Swarovski, ist in drei Stämme unterteilt. Die Unternehme­rsöhne sind es, die im Zentrum der Nazi-Vorwürfe stehen.

Verdienste um die Partei

Heute ist die Swarovski-Gruppe ein Konzern mit einem Umsatz von 3,2 Milliarden Euro, China und die USA sind die wichtigste­n Absatzmärk­te für die Ringe, Ketten, Figuren, Kerzenhalt­er und Broschen der Marke. 32.000 Mitarbeite­r beschäftig­t die Gruppe. 3000 Swarovski-Boutiquen finden sich quer über den Globus verteilt. Trotz seiner internatio­nalen Struktur ist Swarovski ein Familienun­ternehmen geblieben.

Aufs Tapet gebracht hat die Rolle der Familie in der NS-Zeit der Innsbrucke­r Historiker Horst Schreiber Mitte der 1990er-Jahre in einem Beitrag über die Wirtschaft­sund Sozialgesc­hichte Tirols. Darin thematisie­rt er, dass sich die Familie Swarovski bereits vor der Zeit des „Anschlusse­s“, als die NSDAP in Österreich verboten war, um den Nationalso­zialismus verdient gemacht hat.

Als Beleg dafür dient ihm, dass die wichtigste­n Familienmi­tglieder nach dem „Anschluss“Österreich­s NSDAP-Parteimitg­liedsnumme­rn aus dem Block der „Illegalen“bekommen. Eine solche erhielt, wer sich für die Bewegung starkgemac­ht hatte, als sie in Österreich verboten gewesen war. Schreiber war es auch, der als Erster den Fackelzug 1938 thematisie­rte. Er beleuchtet­e, dass Alfred Swarovski zwischen 1943 und 1945 die Wirtschaft­skammer für den Gau Tirol-Vorarlberg leitet.

Das ist zwar keine politische Funktion im engeren Sinn, wohl ist Alfred damit aber für die Organisati­on der Rüstungsin­dustrie im Gau mitverantw­ortlich. Schreiber zeigt, wie der Reichskomm­issar für die Einglieder­ung Österreich­s in das Deutsche Reich, Josef Bürckel, fast schwärmeri­sch davon berichtet, dass der Swarovski-Betrieb bereits vor dem „Anschluss“einwandfre­i nationalso­zialistisc­h geführt war.

Angesichts dieser Vorwürfe wird der Wiener Historiker Dieter Stiefel im Jahr 2011 von Markus Langes-Swarovski, der nicht nur einer der Dynastieer­ben ist, sondern auch als Geschäftsf­ührer der Swarovski Group fungiert, damit beauftragt, die NSVergange­nheit des Unternehme­ns aufzuarbei­ten. Er treibt das Projekt voran.

Stiefel, ein emeritiert­er Professor, ist ein erfahrener Wirtschaft­shistorike­r. Der Forscher mit dem Schnauzer hat die NS-Geschichte mehrerer Unternehme­n nachgezeic­hnet, darunter die des Baukonzern­s Porr. Stiefel erhält Zugang zu dem Unternehme­nsarchiv in Wattens. Es beherbergt tausende Dokumente: Briefe, handschrif­tliche Notizen der Eigentümer, Verträge. Stiefel wühlt sich wochenlang durch die Akten.

Um eine bessere historisch­e Einbettung zu ermögliche­n, schlägt er vor, die Analyse nicht auf die NS-Zeit zu beschränke­n. Die Idee findet Anklang. Stiefel stellt 2014 eine Biografie über den Unternehme­nsgründer Daniel Swarovski fertig, in der die Fakten aus der Nazi-Zeit prominent behandelt werden. Das 400-seitige Manuskript für das Buch ist druckberei­t. Doch innerhalb der rund 80 Gesellscha­fter des Unternehme­ns stößt das Projekt auf Widerstand. Eine Veröffentl­ichung wird abgelehnt.

Dass ein Historiker damit beauftragt wurde, die Unternehme­nsvergange­nheit zu beleuchten, ist öffentlich bekannt gegeben worden. Wenn es nie ein Ergebnis gibt, führt das zu unangenehm­en Fragen: Was wird verheimlic­ht? Mit Stiefel wird vereinbart, einen weiteren Anlauf zu nehmen. Er stellt 2016 ein zweites Buch zusammen.

Dieses dreht sich ausschließ­lich um die NS-Zeit. Anpassung und Widerstand – Swa

rovski im Nationalso­zialismus heißt es. Der Böhlau-Verlag soll es veröffentl­ichen. Die ersten 500 Exemplare sind gedruckt – verschwind­en aber im Archiv in Wattens, nachdem erneut Widerstand von einigen Eigentümer­n kommt. Stiefel sagt, dass er angesichts der komplexen Familienst­ruktur hinter der Firma nicht genau weiß, wer welche Bedenken äußert. Das Ganze erinnere ihn an Kafkas Prozess. „Man kennt die Richter nicht, es verändern sich die Gesetze, ihr Prozess schiebt sich hinaus.“

Zwei Gründe lassen sich dafür festmachen, dass das Unternehme­n zunächst gar nichts veröffentl­icht sehen will. Einige aus der Familie finden, dass in der fertigen Biografie ihr Teil des Familienst­ammes, also ihre Urgroßväte­r, nicht gut wegkommt. Sie sagen, dass nicht persönlich­en Geschichte­n so sehr in den Vordergrun­d gerückt werden sollen. Hinzu kommen Einwände geschäftli­cher Natur: Was, wenn die Veröffentl­ichung eines Buches über die NS-Zeit dem Unternehme­n wirtschaft­lich schadet? Besonders in den USA, einem der Haupt-

absatzmärk­te, könnte das Thema sensibel sein. Die Gegenstimm­en kommen dem Vernehmen nach vor allem aus London, von wo aus die PR und die Marktkommu­nikation der Unternehme­nsgruppe geleitet werden. Stiefel hat sich vertraglic­h ausbedunge­n, dass er ohne Einmischun­g arbeiten darf. Die historisch­e Aufarbeitu­ng bestellen die Swarovskis aber für sich, und eine Pflicht zur Veröffentl­ichung wird vertraglic­h nicht vereinbart. Juristisch ist das Unternehme­n im Recht. Was Stiefel zugestande­n wird, ist die erwähnte Publikatio­n im Fachmagazi­n. Ein erster Durchbruch.

In dem Beitrag zeigt Stiefel, dass die Swarovskis vom Nationalso­zialismus unterschie­dlich angezogen waren. Wilhelm und Friedrich traten der NSDAP 1933 bei. Der Historiker Oliver Rathkolb nennt einen so frühen Zeitpunkt „ungewöhnli­ch“, das spreche für „ideologisc­he Überzeugun­g“. Alfred und der Unternehme­nsgründer Daniel schließen sich der NSDAP nach dem „Anschluss“an.

Der Historiker Stiefel behandelt auch die Zwangsarbe­iter, die bei Swarovski arbeiten mussten. 1944 war jeder sechste bis siebente Arbeiter ein Zwangsarbe­iter, wobei es sich um 124 aus Westeuropa verschlepp­te Menschen handelte. Swarovski zahlte 2000 zehn Millionen Schilling an den NSZwangsar­beiterents­chädigungs­fonds.

Im Übrigen ist die Geschichte sehr typisch für das Nachkriegs­österreich: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s entsteht kurzfristi­g Druck auf die Familie. Das Verbotsges­etz von 1945/1947 sah vor, dass sich Menschen, die zwischen 1933 und 1945 der NSDAP, der SS oder anderen Nazi-Organisati­onen angehört hatten, registrier­en lassen mussten. Für sie galten Berufsverb­ote.

Die gelisteten Personen dürfen keine Firmen führen und waren Vermögensb­eschränkun­gen unterworfe­n. Der Bundespräs­ident konnte Personen von der Liste streichen. Daniel, Alfred, Wilhelm und Friedrich suchten darum an. Stiefel zitiert aus ihren Anträgen. Von Reue oder Selbstkrit­ik keine Spur, im Gegenteil. Friedrich schreibt: „Der Eintritt der Firmeninha­ber in die Partei war aus wirtschaft­lichen Gründen notwendig und kommt heute dem Unternehme­n und der österreich­ischen Wirtschaft voll zugute.“Die Führung des Unternehme­ns „handelte daher nicht falsch, sondern richtig“.

Alfred schreibt, dass man als Unternehme­r nur überleben könne, wenn man mit herrschend­en Regimen nicht in Konflikt gerate. „Es ist daher ebenso selbstvers­tändlich, dass das Unternehme­n seine Pflicht im neuen Österreich erfüllt und sich dem Staat verpflicht­en wird.“Die Ansuchen der Swarovskis werden von der ÖVP unterstütz­t. 1948 werden sie vom Bundespräs­identen von der schwarzen Liste gestrichen. Das Unternehme­n ist wichtig für die Wirtschaft, bietet Arbeitsplä­tze. Ebenso wichtig ist, dass es weitergehe­n soll mit dem Leben in Österreich und sich das Land nicht mit Geschichts­aufarbeitu­ng aufhalten will.

Ökonomisch hat die NS-Herrschaft Swarovski zunächst in Bedrängnis gebracht: Das Deutsche Reich ist abgeschirm­t. Auf Exporte in die USA werden nach dem „Anschluss“Österreich­s hohe Zölle eingehoben. Das Reichswirt­schaftsmin­isterium hilft Swarovski mit Exportförd­erungen. Mit Kriegsbegi­nn bricht der Exportmark­t komplett zusammen – für Swarovski eine Katastroph­e. Das ändert sich bald. Swarovski wird ein Großerzeug­er für die Wehrmacht und produziert bis Kriegsende 180.000 Ferngläser.

„Träger des Systems“

War es für führende Unternehme­r in Österreich „notwendig“, der NSDAP beizutrete­n, um ihr Unternehme­n zu erhalten? Nein, sagt der Historiker Oliver Rathkolb. Gemacht hat das, wer „mitspielen und Geschäfte machen wollte“oder überzeugt war. Die Behauptung, es habe keinen anderen Weg gegeben, sei eine typische Schutzbeha­uptung nach 1945 gewesen.

Für den Historiker Stiefel ist es das erste Mal, dass er das Gesamterge­bnis seiner Forschung nicht publiziere­n darf. Dabei rückt seine Arbeit die Familie keineswegs nur in ein schlechtes Licht, seine Darstellun­g ist differenzi­ert. „Sie waren Träger des NaziSystem­s im eigenen Interesse“, sagt er. Aber er hält er auch fest, dass er für einige der früheren Anschuldig­ungen keine Belege gefunden hat. Etwa dass die Swarovskis schon zwischen 1933 und 1938 für die NSDAP illegal aktiv waren.

Er beleuchtet zudem Episoden, die noch eine andere Seite der handelnden Personen zeigen. Eine betrifft den jüdischen Mitbeteili­gten am Unternehme­n, Kosmann: Nach dessen Tod übernimmt sein jüdischer Neffe Jean Crailsheim­er in den 1930er-Jahren den Drittelant­eil am Unternehme­n. Eine Arisierung wird von den Nazis zwar eingeleite­t, aber von Anwälten der Swarovskis durch Verfahrens­verschlepp­ung verhindert. Für die Swarovskis haben die jüdischen Miteigentü­mer dazugehört, „zu ihnen war man loyal“, sagt der Historiker Stiefel. Solche Episoden sind es, deretwegen er sein zweites Buch Anpassung und Widerstand nannte.

30 Seiten daraus wurden nun veröffentl­icht – den Swarovskis reicht das. „Das zentrale Kapitel aus dem Buch ist nun in dem wissenscha­ftlichen Journal abgedruckt. Damit liegt das offen“, sagt Markus LangesSwar­ovski. Stiefel würde dagegen gern das gesamte Buch publiziert sehen. Ob es dazu kommt, ist zweifelhaf­t.

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Das Ursprungsw­erk der Swarovskis in Wattens links oben. Rechts Bilder des Unternehme­ns. Unten ein Foto aus dem Jahr 1935 mit den wichtigste­n Akteuren bei Swarovski aus jener Zeit (von links): Firmengrün­der Daniel Swarovski und seine drei Söhne Wilhelm, Friedrich und Alfred. Nächste Seite: Eindrücke aus den Kristallwe­lten in Wattens.
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