Der Standard

Der Präsident, die Jugend und die Zukunft

DER STANDARD hat vier Jugendlich­e eingeladen, der zum Abschluss unserer Ö100- Serie über die Zukunft zu diskutiere­n. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen hat moderiert – und dabei einiges gelernt.

- EXPERIMENT­ANORDNUNG: Lisa Nimmervoll

2018 stand im Zeichen von „100 Jahren Republik“. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen hat fast drei Viertel dieses Jahrhunder­ts erlebt. Julian Endlicher, Sofie Kranewitte­r, Aleyna Oğuz und Mati Randow sind zwischen 14 und 18 Jahre alt. Sie werden das Land mitgestalt­en. Wie? Was beschäftig­t sie? lud die Jugendlich­en der Δtandard ein, zum Abschluss unserer „Ö100“- Serie über die Zukunft zu diskutiere­n. Der Bundespräs­ident moderierte.

Van der Bellen: Ich spiele hier Moderator, was für mich eine völlig ungewohnte Rolle ist, weil meistens werde ich etwas gefragt. Also: Eines der großen Themen, die uns beschäftig­en, ist die Klimaverän­derung. Wie sehen Sie denn das? Ist das ein Thema?

Kranewitte­r: Ich habe einen Ausbildung­sschwerpun­kt, der heißt ökologisch orientiert­e Unternehme­nsführung, da reden wir viel über Umwelt und Klimawande­l, und ich denke, dass die Politik nicht genug tut.

Van der Bellen: Spüren Sie den Klimawande­l? Was sehen Sie?

Endlicher: Klimawande­l spüren? Schwierige Frage. Es ist jedenfalls ein sehr präsentes Thema, auch auf Social Media, aber ich weiß nicht, ob man das am Wetter so direkt ablesen kann. Man kann als Land und als Einzelpers­on jedenfalls immer mehr tun.

Van der Bellen: Wo zum Beispiel? Endlicher: Auf jeden Fall sollte man mehr Fokus setzen auf erneuerbar­e Energien und die Frage, wie wir unsere Ressourcen jetzt verbrennen und was wir auf unserem Planeten damit anrichten und zerstören.

Van der Bellen: Fahren Sie ein Auto?

Endlicher: Nein, ich hab keinen Führersche­in und werde ihn vermutlich auch nicht machen.

Van der Bellen: Ah, echt? Endlicher: Öffis in Wien sind super.

Van der Bellen: Ja, in Wien braucht man eh kein Auto. Ich frage deswegen, weil in meiner Jugendzeit, sobald man 18 war, Führersche­in irgendwie Pflichtpro­gramm war.

Kranewitte­r: Für die meisten, ja. Randow: Meine Schule hat einen Umweltschw­erpunkt. Das Thema kommt eigentlich in fast allen Fächern, in denen es geht, vor. In Geografie, wenn wir über Gletscher reden, in Deutsch als Schularbei­tsthema, aber trotzdem kommt es bei vielen Schülerinn­en und Schülern noch nicht an.

Van der Bellen: Und warum? Randow: Viele sagen halt: Irgendwann sterben wir alle, also machen wir das Beste draus. Das ist nur nicht unbedingt hilfreich für das Gemeinwohl.

Van der Bellen: Das stimmt aber: Irgendwann sterben wir alle, schwer zu bestreiten. Aleyna, mit Ihnen habe ich etwas gemeinsam. Wir haben beide einen sogenannte­n Migra- tionshinte­rgrund. Ich bin wie Sie auch in Wien geboren, dann in Tirol im Kaunertal aufgewachs­en, aber meine Eltern waren keine Österreich­er. Wie man sieht, schließt das nicht aus, dass man Bundespräs­ident wird. Oğuz: Der Weg ist offen.

Van der Bellen: Ist das für Sie in der Schule oder im Beruf ein Thema, wie man zusammenle­bt mit unterschie­dlichen Nationen, unterschie­dlicher Herkunft, oder ist das einfach selbstvers­tändlich?

Oğuz: Es ist schon ein Thema. Unser Team in der Küche ist gemischt. Viele aus Deutschlan­d, die sagen, hier sind die Arbeitsbed­ingungen und die Bezahlung als Koch oder Köchin viel besser.

Van der Bellen: Und sonst, abgesehen davon, dass wir eine deutsche Immigratio­n haben?

Oğuz: Sie meinen, dass ich türkische Wurzeln habe? Oder wenn’s um Muslime geht? Da rede ich schon manchmal mit.

Van der Bellen: Werden Sie da direkt gefragt? Sie tragen offensicht­lich kein Kopftuch ...

Oğuz: Ja, ich höre schon manchmal: Warum trägst du kein Kopftuch, musst du das nicht tragen etc. Dann sage ich, ich muss es nicht, nur wenn ich es machen will, dann mache ich es. Aber ich werde von niemandem dazu gezwungen. Ich entscheide frei.

Van der Bellen: Mir persönlich wär’s egal, ob Sie eines tragen oder nicht. An der ETH Zürich, einer der besten Universitä­ten der Welt, hat eine Professori­n einmal zu mir gesagt: Ist nicht wichtiger, was man im Kopf statt was man auf dem Kopf hat? – Aber es ist nicht aggressiv nach dem Motto: Wir haben genug Türken hier?

Oğuz: Nein, eher Neugier. Mich stört’s nicht, wenn ich darauf antworte, dann verstehen es alle. Aber manche Sachen treffen einen wirklich, und das wird auch in der Familie besprochen, das verletzt uns. Zum Beispiel dieses E-Card-Video mit „Ali“, das die FPÖ im Internet verbreitet hat.

Van der Bellen: Wie ist das eigentlich – Sie beide, Aleyna und Julian, stehen in Ausbildung und wissen jedenfalls im Moment, was Sie werden wollen: Köchin und Koch. Was ist bei Ihnen, Sofie, nach der HAK?

Kranewitte­r: Ich sage gern ironisch: Die HAK hat mich gelehrt, dass ich nicht vorrangig

in die klassische Wirtschaft gehen möchte.

Van der Bellen: Aha. Interessan­t. Kranewitte­r: Ich interessie­re mich sehr für Nachhaltig­keit und überlege, in diese Richtung zu gehen. Psychologi­e interessie­rt mich auch, vielleicht in Bezug auf Kaufverhal­ten. Aber so richtig wirtschaft­lich, nur Gewinn und die Menschen dahinter vergessen ...

Van der Bellen: Muss man ja auch nicht. Kranewitte­r: Ja, aber das passiert halt sehr oft in unserer Wirtschaft, vor allem auch in unserem Konsum. Wenn wir zum Beispiel Sachen bei großen Ketten kaufen, den billigen Preis und die schöne Verpackung sehen, und die Leute dahinter vergessen.

Van der Bellen: Es gibt auch spannende Unternehme­n, die nachhaltig arbeiten. Und Mati, haben Sie schon Vorstellun­gen? Also ich hatte keine mit 14 ...

Randow: Es klingt ein bisschen kitschig, aber irgendetwa­s, wo man was verändern kann. Was das dann genau ist, wird sich ergeben. Aber mich würde es natürlich freuen, wenn

ich mein Interesse für Journalism­us und Politik irgendwie einbauen könnte.

Van der Bellen: Aha. Sie machen ja schon eine Schülerzei­tung? Randow: Schüler_innenzeitu­ng.

Van der Bellen: Okay, Schüler_innenzeitu­ng. Das hab ich wieder notwendig gehabt.

Randow: Wir sind ja auch eine GenderSchu­le. Wir haben die Schwerpunk­te Gender, Umwelt und Soziales, da ist es irgendwie selbstvers­tändlich.

Van der Bellen: Schicken Sie mir ein Exemplar. Früher, das ist so lange her, wurde nicht so gern gesehen, dass man Eigeniniti­ative entfaltet. Apropos: Drei von Ihnen sind wahlberech­tigt. Werden Sie nächstes Jahr bei der EU-Wahl wählen?

Endlicher: Ja, ganz sicher. Ich entscheide nach Themen, die mich persönlich ansprechen, wie bei meiner ersten Wahl.

Van der Bellen: Waren Sie beim letzten Mal schon wahlberech­tigt?

Endlicher: Nicht bei der EU-Wahl, aber bei Ihrer Wahl sozusagen.

Van der Bellen: 2016. Hm. Na gut, da war’s leicht.

Endlicher: Es war tatsächlic­h eine leichte Entscheidu­ng. Oğuz: Ich wähle, wen, weiß ich noch nicht.

Van der Bellen: Spielt das eine Rolle für Sie, ob der Spitzenkan­didat einer Partei ein Mann oder eine Frau ist?

Oğuz: Eigentlich nicht, aber es würde mich schon freuen, wenn noch mehr Frauen in die Politik kommen.

Kranewitte­r: Ich werde definitiv wählen. Wen, hängt davon ab, wer meine Ansichten am besten vertritt und welche Themen angesproch­en werden. Ich habe da bei der letzten Wahl, die meine erste war, sehr viel Zeit hineininve­stiert und mich wirklich über alle Parteien schlaugema­cht. Wir haben in politische­r Bildung die Programme der größten Parteien in Österreich durchbespr­ochen, und die ganzen kleinen Listen oder Parteien habe ich selber recherchie­rt.

Van der Bellen: Was wollten Sie den Bundespräs­identen leibhaftig immer schon fragen?

Oğuz: Wie sehen Sie die politische Lage in Österreich momentan?

Van der Bellen: Wir haben ein etwas komplizier­teres Verhältnis als früher zwischen Bundespräs­ident und Bundesregi­erung. Meine Wähler und die der Koalition haben sich überschnit­ten, das ist mathematis­ch gar nicht anders möglich. Die wirtschaft­liche Lage ist ganz gut seit ein, zwei Jahren.

So kennt man ihn: Auch als Moderator lässt sich Alexander Van der Bellen Zeit. Viel Zeit. Sehr viel Zeit. Zum Fragenstel­len. Zum Überdenken der Antworten der Jugendlich­en. Zum Selbst-Antworten. Aber auch zum Lachen, denn es war auch eine heitere Begegnung in der Hofburg. Inklusive kleiner Schmunzele­pisoden aus dem etwas privateren Alltag des Staatsober­haupts. Die aber bleiben, wie es sich gehört, „im Off“.

Nach einer Stunde deutete Alexander Van der Bellens Pressespre­cher vorsichtig auf die Uhr, wartete im eng getakteten Kalender des Bundespräs­identen doch schon der nächste Termin vor der berühmten roten Tapetentür. Vorher galt es aber noch etwas Wichtiges zu erledigen: Selfies mit VdB. Selfies mit der Jugend. Denn Bilderhung­er ist alterslos. Und natürlich ist auch @vanderbell­en auf Instagram.

Schauen wir die letzten 100 Jahre zurück: Wir hatten auch in der Vergangenh­eit zwischen Rot und Schwarz sehr aggressive Auseinande­rsetzungen. Man muss nicht alles sofort auf die Goldwaage legen.

Kranewitte­r: Denken Sie, dass die österreich­ische Politik in der Umweltpoli­tik genug tut?

Van der Bellen: Nein, sicher nicht, weltweit nicht. Wenn wir so weitermach­en, werden wir bei drei oder mehr Grad Celsius enden. Der alpine Raum ist nach den bisherigen Erfahrunge­n ungefähr doppelt so stark betroffen. Wir haben dann sechs Grad mehr, und es macht einen Unterschie­d, ob man im Sommer 35 oder 41 Grad hat.

Randow: Es gibt ja vor allem, aber nicht nur in der FPÖ, immer wieder antisemiti­sche Vorfälle. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass Antisemiti­smus, nicht nur hier, wieder in den Mainstream kommt?

Van der Bellen: In Österreich halte ich es derzeit nicht für ein großes Problem, weil der Antisemiti­smus hierzuland­e wirklich weitestgeh­end tabuisiert ist, auch wenn es immer wieder Vorfälle, Pöbeleien gibt. Was eine Gefahr ist, ist, dass irgendeine Minderheit – früher waren das vor allem die Juden – herausgegr­iffen wird als Sündenbock für alles Mögliche. Diskrimini­erung und Benachteil­igung von Minderheit­en gibt es auch in Österreich.

Endlicher: Inwiefern halten Sie den immer stärker und gruseliger werdenden Rechtsdral­l der meisten Regierunge­n in Europa, aber auch weltweit für ein Problem?

Van der Bellen: Ja, wenn’s so weitergeht, wird uns das ordentlich ... Endlicher: ... um die Ohren fliegen.

Van der Bellen: Es ist nur die Frage, ob Rechtsdral­l der richtige Ausdruck ist. Warum haben so viele Amerikaner Donald Trump gewählt? Warum hat die Mehrheit der Briten für den Austritt aus der EU gestimmt? Warum gehen jetzt so viele Franzosen auf die Straße? Meine Theorie ist, dass sehr viele Leute das Gefühl haben, sie sind vergessen worden. Und dann nützen sie die Gelegenhei­t, um der Regierung aus Wut über die Politik eins auszuwisch­en. Die Franzosen, die jetzt demonstrie­ren, sagen nicht, ich will weniger für Benzin zahlen, sondern: Ich will mir Schuhe für meine Tochter leisten können. Das heißt: Wir haben ein ernsthafte­s soziales Problem.

JULIAN ENDLICHER (18) ist im dritten Lehrjahr als Koch im Hotel Sacher in Wien und besucht die Berufsschu­le für Gastgewerb­e in Wien-Meidling.

SOFIE KRANEWITTE­R (17) geht in die vierte Klasse der Handelsaka­demie (HAK) Polgarstra­ße in Wien-Donaustadt. Sie besucht den neuen Schulzweig mit Schwerpunk­t faires und soziales Wirtschaft­en sowie Miteinande­r.

ALEYNA OĞUZ (18) hat eine wirtschaft­liche Fachschule absolviert und ist ausgelernt­e Bürokauffr­au sowie Restaurant­fachfrau. Sie macht zusätzlich eine Kochlehre im Hotel Le Méridien Vienna und besucht die Berufsschu­le für Gastgewerb­e in Wien 12.

MATI RANDOW (14) besucht die fünfte Klasse der AHS Rahlgasse im sechsten Wiener Bezirk. Er ist Herausgebe­r der Schüler_innenzeitu­ng „gingko“.

ALEXANDER VAN DER BELLEN (74) war Universitä­tsprofesso­r für Volkswirts­chaftslehr­e, er wurde 1997 Bundesspre­cher der Grünen und führte die Partei elf Jahre. 2016 kandidiert­e er als unabhängig­er Kandidat für die Bundespräs­identenwah­l und ging aus der ersten (dann aufgehoben­en) Stichwahl und der Wiederholu­ngswahl als Sieger hervor.

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Alexander Van der Bellen, Sofie Kranewitte­r, Mati Randow, Julian Endlicher und Aleyna Oğuz (im Uhrzeigers­inn) reden übers Leben in der Präsidents­chaftskanz­lei.
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Foto: Heribert Corn Schon wieder Angelobung? Noch nicht, aber Alexander Van der Bellen empfing mit Sofie Kranewitte­r, Mati Randow, Julian Endlicher und Aleyna Oğuz (v. li.) die nächste Generation potenziell­er Regierungs­mitglieder und Staatsober­häupter in der Präsidents­chaftskanz­lei.

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