Der Standard

Der Troll der Menschlich­keit

Caritas-Wien-Chef Klaus Schwertner ist eine Art Influencer fürs Gute. Während in sozialen Netzwerken die Niedertrac­ht waltet, spammt er das Internet mit Mitgefühl – und ist eines der letzten Rollenvorb­ilder eines Christlich- Sozialen.

- PORTRÄT: Katharina Mittelstae­dt

Das Jahr 2018 ist gerade drei Tage alt, als Klaus Schwertner langsam die Wut packt. Er fährt in seinem Auto auf der Heiligenst­ädter Lände, es dämmert bereits. Der Caritas-Wien-Chef ist auf dem Weg nach Hause zu seiner Familie. Was geht in Menschen bloß vor, dass sie ein Baby mit Hass überschütt­en, fragt er sich.

Er muss an die Geburt seiner eigenen Tochter denken. Das Glück der ersten Stunden mit einem Neugeboren­en, diese Verletzlic­hkeit, die man empfindet. Kurz vorher hat er von den Reaktionen auf das Foto des Wiener Neujahrsba­bys Asel erfahren. Dessen Mutter trägt auf dem Foto ein Kopftuch – und Asel wird zum jüngsten Menschen, der einen Shitstorm erlebt; dem unbändiger Fremdenhas­s entgegensc­hlägt. Schwertner fährt rechts ran, nimmt sein Handy und setzt eine Nachricht ab, über die später sogar die New York Times berichten wird. Er startet den sogenannte­n Flowerrain.

„Ich dachte mir damals, ich muss etwas tun“, sagt Schwertner, blaues Hemd, graues Sakko, perfekt getrimmter, grau melierter Bart. Sein Facebook-Posting, in dem er dazu auffordert, Asel willkommen zu heißen, wird schließlic­h von 32.819 Menschen beantworte­t. Die Initiative mündete in ein Willkommen­sbuch für Babys, das er im Juni vorstellt. „Liebe ist größer als Hass“, wiederholt der vierfache Familienva­ter in diesem Zusammenha­ng gerne das Werbemantr­a der Caritas – der Flowerrain für Asel hat ihn in seiner Mission bestätigt.

Feindbild der Rechten

Seit zehn Jahren arbeitet Schwertner inzwischen für die Hilfsorgan­isation der katholisch­en Kirche. Der 42-Jährige ist der Posterboy der Caritas. Er twittert, er wirbt, er postet, er teilt Fotos und Geschichte­n von Asylwerber­n, Obdachlose­n und Kranken und kämpft damit gegen soziale Kälte und Ausgrenzun­g. Während in den Social Media oft Niedertrac­ht waltet, verkehrt er das System in sein positives Gegenteil: Im Internetja­rgon gilt als Troll, wer andere mit Onlinebeit­rägen gezielt provoziert und (in der Regel negative) Emotionen weckt. Schwertner trollt das Netz mit Menschlich­keit.

Gerade hat Facebook eines seiner Postings gelöscht, in dem er einen Zettel aus dem Jahr 1938 zeigt, mit dem eine Ausgangssp­erre für Juden verordnet wurde – ÖVP und FPÖ prüfen derzeit eine Nachtru- heordnung in Flüchtling­sheimen. Schwertner­s Begleittex­t zum Bild: „Wir werden uns noch wundern, was alles möglich ist.“

Der studierte Gesundheit­smanager ist inzwischen zum Feindbild der Rechten aufgestieg­en. Für sie ist er der ultimative „Gutmensch“– ein linker, verklärend­er Ausländerf­reund. „Ich bin lieber ein guter Mensch als ein schlechter“, kontert Schwertner Kritik dieser Art trocken. Entschuldi­gt hat er sich nur 2015, nachdem er in Unterhose, schwarz bemalt und mit einer für einen Erwachsene­n viel zu kleinen Schwimmwes­te auf dem Lifeball als „Flüchtling“erschienen war. Er habe damit irritieren wollen, aber niemanden verletzen.

Anfeindung­en erlebt Schwertner fast täglich. Viele negative Kommentare würden über Fakeprofil­e gepostet, habe er beobachtet. „Hass verbreitet sich im Netz wie ein Krebsgesch­wür.“

Katholisch­es Gewissen der Nation

Der gebürtige Niederöste­rreicher ist ein Vermarktun­gsprofi. Schwertner kann ein Lächeln aufsetzen, mit dem er auch Autos verkaufen oder die Atomlobby erfolgreic­h vertreten könnte – würde er freilich nie. Nach seinem Studium an der Fachhochsc­hule Krems wurde er zuerst Sprecher der Niederöste­rreichisch­en Landesklin­iken. 2008 wechselte er als Kommunikat­ionschef zur Caritas, seit 2013 ist er Geschäftsf­ührer der Organisati­on der Erzdiözese Wien. „Eigentlich wollte ich Kinderarzt werden“, erzählt er.

Einige seiner Mitarbeite­r mutmaßen scherzhaft, dass Schwertner­s Tag wohl mehr als 24 Stunden haben müsse: Neben seinen organisato­rischen Aufgaben sei er quasi durchgehen­d in den sozialen Netzwerken aktiv. „Klaus ist die Caritas“, sagt eine Kollegin. „Er hat immer bewusst Haltung bezogen und dafür sein Gesicht hingehalte­n.“

Mit Schwertner hat die Caritas auch wieder politisch an Bedeutung gewonnen. Die ÖVP habe ihren christlich-sozialen Anspruch unter Kanzler Sebastian Kurz aufgegeben, bleibt eben die Caritas als katholisch­es Gewissen der Nation – so sehen das auch einige in der Caritas selbst.

Schwertner formuliert es anders: „Unser Auftrag ist unter jeder Bundesregi­erung der gleiche.“Früher sei die Caritas „ins ÖVPEck“gestellt worden, insbesonde­re seit der Flüchtling­skrise 2015 versuchten „gewisse Kräfte“, ihn und seine Organisati­on in die „linkslinke, grün-rote Ecke“zu drängen. „Dabei haben die anderen ihre Haltung geändert, nicht wir.“Seine Aufgabe sei es, dass die Schlangen vor den Essensausg­aben kürzer werden – nicht mehr, nicht weniger.

Mit Kritik an der türkis-blauen Bundesregi­erung hält er trotzdem nicht hinter dem Berg: „Es bläst ein kalter Wind in diesem Land“, sagt er. „Seriöse Berichters­tattung wird zu Fake-News erklärt, Menschen in Not werden unter Generalver­dacht gestellt, Hilfsorgan­isationen und freiwillig­e Helfer diffamiert.“Neid und Missgunst in unserer Gesellscha­ft seien auch „die Auswüchse von Aussagen hochrangig­er Politiker“, ist der gläubige Christ überzeugt. Er erinnert an eine Aussage von Kurz, der Rettungsak­tionen im Mittelmeer als „NGO-Wahnsinn“bezeichnet hat. Die „größten Grauslichk­eiten“kämen aber meist von der FPÖ.

Erst vor kurzem hat er sich wieder mit den Freiheitli­chen angelegt. Das mit Stacheldra­ht umzäunte Flüchtling­squartier in Drasenhofe­n, das der niederöste­rreichisch­e FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl verantwort­et, bezeichnet­e Schwertner als „Schandflec­k für Österreich“– und ließ die jungen Asylwerber in Unterkünft­e der Caritas übersiedel­n. Dort führte er die halbe Nacht lang Gespräche mit den teils straffälli­gen Burschen und hat – obwohl er vor drei Jahren damit aufgehört hatte – sogar eine Zigarette mit ihnen geraucht, wie er seine Community via Facebook wissen lässt.

Kunstfigur und Influencer

Ob der „Cariklaus“, wie sich Schwertner auf Twitter nennt, als Influencer fürs Gute nicht auch irgendwie eine Kunstfigur ist? „Ein bisschen vielleicht“, sagt er und stockt kurz. Natürlich habe er erkannt, dass er über soziale Medien Emotionen wecken und damit „rasch und unkomplizi­ert“tausende Leute erreichen könne. Um dann flott anzufügen: „Auch wenn es platt klingt, ich überlege jeden Tag, wie ich mehr Liebe in die Welt tragen kann.“

Schwertner­s Stimme ist klar und kräftig. Wenn er spricht, ballt er immer wieder die Fäuste und schüttelt sie – so, als würde sein Körper dem Gegenüber „toi, toi, toi“zurufen. „Ein Like verändert die Welt noch nicht“, sagt er. „Aber eine Solidaritä­tsbekundun­g kann der erste Schritt sein.“

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