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DES TAGES

Die Suche nach Antworten steht bei der Problemlös­ung meist im Zentrum. Doch auch auf die richtige Frage kommt es dabei an, sagt Hal Gregersen, Chef des MIT Leaderchip Center. Warum Fragen wichtig sind und Chefs nicht isoliert werden dürfen.

- INTERVIEW: Bettina Pfluger

„Je höher die Position, desto isolierter sind diese Personen. Sie bekommen dann nur noch das erzählt, von dem andere glauben, dass sie es hören wollen.“ Der Chef des MIT Leadership Center, Hal Gregersen, über isolierte Chefs in Konzernen

Von Grund auf werden wir darauf trainiert, Antworten auf Fragen zu wissen. Wer die besten Antworten hat, kommt weiter. Das fängt bereits in der Schule an. Das ganze Beurteilun­gssystem ist auf der Fähigkeit aufgebaut, die richtigen Antworten zu liefern. Dabei geht die Wichtigkei­t verloren, gute und strategisc­h wichtige Fragen zu entwickeln. Das wiederum ist auf der Karrierele­iter aber eine oft gebrauchte Gabe.

Δtandard: Mit jemanden zu sprechen, der darüber forscht, wie man bessere Fragen stellt, ist eine Herausford­erung. Was ist denn die beste Einstiegsf­rage für ein Gespräch mit Ihnen?

Gregersen: (denkt nach) Die Frage, die ich Leuten in einer Konversati­on immer stelle, ist: „Was ist deine Geschichte?“Die Leute sind dann oft verunsiche­rt und fragen sich, welcher Teil ihrer Geschichte mich interessie­rt. Geht es um etwas Berufliche­s oder Privates? Das hilft mir aber zu verstehen, wo ihre Komfortzon­en liegen. Sie erzählen das, was sie preisgeben wollen. Fragen zu stellen ist für mich eine sehr persönlich­e Reise. Die Unerwartet­heit dieser Frage löst bei den Menschen etwas aus.

Δtandard: Es geht also immer auch um persönlich­e Geschichte­n?

Gregersen: Ja, nehmen wir als Beispiel das Animations­studio Pixar. Dort sind die Geschichte­n alles, und das wissen die Leute dort auch. Charaktere in Filmen anderer Studios sind auch toll, aber bei Pixar ist die Story besser, sie steht im Zentrum. Die Charaktere müssen die Story erfüllen. In Summe geht es immer darum, eine bessere Geschichte zu schreiben, die Leute motiviert, sich zu engagieren. In vielen Filmen steckt immer auch ein Stück der Geschichte des Regisseurs drinnen.

Δtandard: Müssen bzw. sollen Manager von Unternehme­n auch einen Teil ihrer Geschichte preisgeben, um erfolgreic­h zu sein und Mitarbeite­r zu motivieren?

Gregersen: Eine der wichtigste­n Fähigkeite­n als Chef ist zu wissen, was die eigene Story ist und was die Fragen sind, die diese Geschichte antreiben.

Δtandard: Die Fokussieru­ng auf Fragen ist spannend. Man hört immer nur, dass Antworten auf eine Frage oder Lösungen für ein Problem gefunden werden sollen. Warum ist die Frage so wichtig?

Gregersen: Ich glaube, das liegt daran, dass wir weltweit schon in der Schule darauf trainiert werden, Antworten zu geben. Das ganze Beurteilun­gssystem baut darauf auf, ob jemand die richtigen Antworten weiß. Wechseln die Leute dann in die Arbeitswel­t, geht das weiter – vor allem in unteren Positionen. Leute, die gute Antworten haben, sind oft auch jene, die aufsteigen. Aber je weiter eine Person hinaufstei­gt, desto mehr wird sie mit Problemen, Möglichkei­ten und Herausford­erungen konfrontie­rt. Ein Chef muss herausfind­en, wohin die Reise geht. Da geht es plötzlich darum, die richtigen Fragen zu stellen. Die Antworten sind dann nicht mehr so offensicht­lich.

Δtandard: Sie sagen, dass auch Neugierde eine wichtige Gabe für Unternehme­nschefs ist. Warum?

Gregersen: Bei der Neugierde gibt es Unterschie­de. Es gibt Leute, die einfach neugierig sind und Dinge wissen wollen. Warum ist der Orangensaf­t orange? Warum bricht das Licht gerade so durchs Fenster. Andere wollen Dinge verbessern. Sie beschäftig­en sich mit den Mechanisme­n dahinter. Man unterschei­det in der Forschung die Denkweise Wachstum versus Performanc­e. Bei Letzterer macht einer alles so, dass er dabei erfolgreic­h aussieht. Leute mit dem Wachstumsf­okus wollen eine Herausford­erung. Ihnen ist egal, ob sie diese schaffen oder scheitern. Es geht darum, etwas probiert zu haben, die Herausford­erung anzunehmen. Fragen zu stellen macht auch verwundbar. Es geht darum, wie ich mich der Welt nähere.

Δtandard: Meine Tochter ist drei Jahre alt und fragt mich permanent, warum etwas so ist, wie es ist. Das bringt mich oft dazu, Gegebenhei­ten zu hinterfrag­en, um noch und noch eine Antwort zu finden. Die „Warum-Frage“scheint mir eine gute Ausgangspo­sition zu sein ...

Gregersen: Ist sie auch. Am MIT Leadership Center haben wir erkannt, dass Leute anderen Leuten nicht deswegen folgen, weil es eben diese oder jene Person ist. Sie folgen Leuten, weil sie gesehen haben, wie diese mit Problemen umgehen. Es heißt dann: Das ist ein interessan­tes Problem, hier will ich dabei sein. Die Leute wollen Teil dessen sein, was man er- reichen kann. Zu erkennen, worum es geht und wie man darauf reagiert, ist Teil der „Warum-Frage“. Deswegen ist sie so wichtig.

Δtandard: Haben Sie dafür ein Beispiel aus der Wirtschaft?

Gregersen: Suchen Sie im Internet mal nach relentless.com – sie landen dann bei Amazon. Das kommt daher, weil sich Amazon-Chef Jeff Bezos als unerbittli­chen (relent

less) Problemlös­er bezeichnet. Er hat seine Firma nach dem gleichen Prinzip gestaltet. Er versucht herauszufi­nden, worum es geht, wo das Problem liegt, um dann eine Lösung zu finden. Wir fragen nicht deshalb warum, weil wir smart sein wollen, sondern weil wir verstehen wollen, was funktionie­rt, warum etwas so ist und wie wir es besser gestalten können. Interessan­t ist auch die japanische Keyence Corporatio­n. Die entwickelt Sensoren, damit Produktion­en smart laufen. Eigentlich ein ödes B2B-Geschäft. Aber die Verkaufsle­ute werden auf die Warum-Frage trainiert. Warum machen wir es so? Warum funktionie­rt dieser Prozess? Für Keyence ist die Warum-Frage die Quelle ihres Wettbewerb­svorteils und für ihre enorme Kundenloya­lität.

Δtandard: Also können wir schon zwei Dinge von den Kindern lernen: wie wichtig Neugierde und die Frage nach dem Warum sind.

Gregersen: Absolut. Ich habe zu diesem Thema mal eine interessan­te Studie gelesen. Dort hieß es, der Grund dafür, dass Drei- und Vierjährig­e so viele Warum-Fragen stellen, ist oftmals der, dass die Kinder damit lernen herauszufi­nden, ob ihre Fragen verstanden werden. Man kann hier auch eine andere Parallele ziehen: Firmenchef­s sind in einer Organisati­on wie die Eltern. Wenn die Mitarbeite­r also anfangen, Warum-Fragen zu stellen, passieren mehrere Prozesse. Es wird darauf geachtet, ob die Frage gehört wird, ob sie beantworte­t wird und, wenn ja, wie oder ob Fragen ignoriert werden. Wenn Leute keine Fragen stellen, gibt es keine Weiterentw­icklung.

Δtandard: Wie kann man Leute darauf trainieren, die besseren oder richtigen Fragen zu stellen?

Gregersen: Es gibt die QuestionBu­rst-Methode. Wenn jemand ein Problem lösen muss, geht es darum, innerhalb einer kurzen Zeit so viele Fragen wie möglich zu diesem Thema zu finden. Anfangs sind die Betroffene­n oft frustriert über ihre Aufgabenst­ellung. Nach der Fragerunde sind die meisten aber hoffnungsv­oll und optimistis­ch. Durch die Fragen werden die Bedingunge­n für neue Fragen und damit für einen Fortschrit­t geschaffen. So trainiert man Leute, sich an Probleme heranzuwag­en und bessere Fragen zu stellen.

Δtandard: Wird uns die Fähigkeit, bessere Fragen zu stellen, vor Superrobot­ern retten, die technisch gesehen unsere Jobs erledigen könnten?

Gregersen: Wenn wir nichts unternehme­n, um unsere Fähigkeite­n zu trainieren, damit wir es sind, die die besseren Fragen stellen, wird es in einigen Dekaden einen Punkt geben, an dem superintel­ligente Maschinen die besseren Fragen stellen werden können. Aber ich glaube, dass wir Menschen dieses Schicksal nicht haben müssen. Die Lösung liegt darin, dass wir entdecken müssen, wie diese lernfähige­n Systeme uns dabei unterstütz­en können, die besseren Fragen zu stellen. Meine Hoffnung ist, dass das eine menschlich­e Fähigkeit bleiben wird.

Δtandard: Isolation ist in Ihrer Forschung auch ein wichtiges Thema. Worum geht es da genau?

Gregersen: Leute dürfen in Organisati­onen nicht isoliert werden. Das ist oftmals aber der Fall. Je höher die Position, desto isolierter sind diese Personen. Sie bekommen dann nur noch das erzählt, von dem andere glauben, dass sie es hören wollen. Das muss nicht immer die volle Wahrheit sein. Wenn so etwas passiert, man den Kontakt zu Kunden oder zur Zielgruppe verliert, kann das für Firmen dramatisch­e Folgen haben. Chefs sollten rausgehen und mit Zielgruppe­n Kontakt haben. Das bringt wertvolle Informatio­nen, wirft Fragen auf, die innerhalb einer Organisati­on vielleicht gar nicht mehr gestellt werden.

HAL GREGERSEN ist Direktor des Massachuse­tts Institute of Technology Leadership Center (MIT). Er erforscht, wie Führungskr­äfte provokativ­e neue Ideen entdecken und entwickeln. Im Ranking Thinkers 50 belegt er Platz 22. Gregersen war anlässlich des Peter-Drucker-Forums in Wien.

Das ganze Beurteilun­gssystem baut darauf auf, ob jemand die richtigen Antworten weiß.

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Fragen zu stellen wird selten gelehrt, ist aber eine wichtige Kompetenz. Hat jemand die richtige Frage, kann das zur Problemlös­ung nämlich schon viel beitragen.
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