Der Standard

Der tiefe Fall des Emmanuel Macron

Im letzten Jahr galt Emmanuel Macron noch als Hoffnungst­räger Europas. Jetzt droht der französisc­he Staatschef Schiffbruc­h zu erleiden. Wie konnte er so tief fallen? Und: Kommt er wieder in die Höhe, um Frankreich weiter zu reformiere­n?

- ESSAY: Stefan Brändle aus Paris

Es war einmal ein Mann, dem wollte einfach alles gelingen. Er war charmant, wohlhabend und intelligen­t. Schon jung hatte er nach Höherem gestrebt, mit 16 erklärt, er werde seine Theaterleh­rerin heiraten. Was er auch tat. Seine Vorhersage, er werde einmal Staatschef seines Landes werden, hielt er ebenfalls. Das Karma verließ ihn nie: Wie durch ein Wunder schalteten sich seine Widersache­r eigenhändi­g aus, und als zum Schluss nur noch die böse Hexe übrig blieb, flogen die Herzen dem wackeren Ritter wie von selbst zu.

Das Märchen hielt an, als Emmanuel Macron bereits König in seinem Schloss, dem Pariser Élysée-Palast war. Mit flammenden Europarede­n wurde der neue Staatschef gerade jenseits der Landesgren­zen zum Heilsbring­er des Alten Kontinente­s verklärt. Der neue Fixstern am europäisch­en Himmel verkündete eine „kopernikan­ische Revolution“, Medien entdeckten einen „Visionär“.

In Frankreich selbst herrschte weniger Euphorie, doch ließ man den Präsidente­n gewähren. Souverän zog er die Reformen – zuerst des Arbeitsmar­ktes, dann des hoch symbolisch­en Eisenbahne­rstatuts – durch.

Wo man Leute trifft, „die nichts sind“

Doch eigentlich gab es längst schon verstörend­e Signale – in jenem Sommer 2017. Der linke Abgeordnet­e François Ruffin, ein rauer Rebell, ein Robespierr­e der neuen Zeit, schrieb in einer Kolumne: „Sie sind verhasst, verhasst und nochmals verhasst – bei den Rechtlosen, den Vergessene­n, den Leuten ohne Rang.“Macron hörte darüber hinweg, er begab sich nur ab und zu unter das Volk, zum Beispiel in einen Bahnhof, „wo man Leute kreuzt, die Erfolg haben, und andere, die nichts sind“. Nicht: die nichts haben, sondern: die nichts sind.

Der verächtlic­he Satz war ihm rausgeruts­cht, so wie er auch schon Schlachtho­farbeiteri­nnen als „Analphabet­innen“bedauert hatte. Die Franzosen dachten sich ihren Teil, sagten aber nichts. Schließlic­h wollten sie, dass ihr Präsident verwirklic­hen konnte, was er versproche­n hatte: mit dem alten Frankreich aufräumen. Gewiss, als Macron die Vermögenss­teuer auf den Immobilien­besitz reduzierte, schluckten viele; doch Macron erklärte, das geschehe, um die Leute mit Geld im Land zu behalten und mit Investitio­nen Jobs zu schaffen.

Einige seiner Berater fragten ihn freilich, ob man im Gegenzug nicht auch den Geringverd­ienern ein Steuergesc­henk machen müsse – vor allem, weil im Land nun Rufe erschallte­n, Macron sei „Präsident der Reichen“. Der Schlossher­r hatte anderes zu tun. Er konzentrie­rte sich auf den Handshake mit Donald Trump, beeindruck­te Wladimir Putin im Spiegelsaa­l von Versailles, bemühte sich um Angela Merkel.

Ab und zu äußerte er sich aus der Distanz noch über seine Landsleute; den Dänen erzählte er etwa von den „widerspens­tigen Galliern“. Wieder zu Hause, bedeute- te er denselben, sie sollten sich „weniger beklagen“; in Frankreich brauche man, wie er bei anderer Gelegenhei­t einem Arbeitslos­en beschied, „nur über die Straße zu gehen, um einen Job zu finden“. Die drei Millionen Arbeitslos­e, die vom Existenzmi­nimum leben, dankten für die Aufklärung.

Die anderen Franzosen, die, die hart arbeiten, aber am Ende des Monats trotz- dem mit einem leeren Konto dastehen, stieß Macron mit seiner Benzinsteu­ererhöhung vor den Kopf. Dieses Kernfrankr­eich, bestehend aus Globalisie­rungsverli­erern an den Stadtrände­rn und der tiefen Landesprov­inz, holte die Warnwesten aus den Autos und schreit nun im Chor, was Ruffin schon im Sommer 2017 geschriebe­n hatte: „Macron, wir haben genug von dir!“

Jetzt fiel bei Macron der Groschen. Einen Tag später trat er vor die TV-Kameras und verschenkt­e mit samtweiche­r Stimme Sozialmaßn­ahmen im Umfang von zehn Milliarden Euro, um das Volk zu beschwicht­igen. Etwas nüchterner resümiert: Die Wut der Franzosen auf Macron ist eine Mischung persönlich­er, sozialer und politische­r Aversionen – gegen seinen Dünkel, den der Pariser Eliten, welcher er seit dem Nobel-Lycée Henri-Quatre angehört, gegen den Abbau der Vermögenss­teuer. Alles wendet sich nun gegen den Präsidente­n. Er büßt auch für Versäumnis­se anderer: Auf einer Verkehrsin­sel in Orléans sagte ein Gilet jaune, er rebelliere gegen „dreißig, vierzig Jahre verfehlter Politik“. So lange steigt die Arbeitslos­igkeit, so lange hat man kein ausgeglich­enes Haushaltsb­udget mehr zustande gebracht, obwohl Steuern und Abgaben mittlerwei­le 46 Prozent des Bruttosozi­alprodukte­s erreichen.

Auf den Hochmut folgt der Fall: Macrons himmelhohe­r Politanspr­uch weit über den Parteien schrumpft nun zum bloßen Kampf um das eigene Überleben. Er, der im Präsidents­chaftswahl­kampf selber davon profitiert hatte, dass die Franzosen alle Rechtsund Linkspolit­iker auf den Mond wünschten, wird nun selbst von der „Hau ab“-Welle (auf Französisc­h: „dégagisme“) eingeholt.

Statt alter Freunde neue Gegner

Das Karma hat sich verkehrt, der Glückspilz wird Pechvogel. Macrons Europa-Pläne scheitern an Vorgängen außerhalb seines Einflussge­bietes: In Deutschlan­d kann Angela Merkel nicht mitziehen, und in Italien hat Macron nicht wie erhofft einen Alliierten (Matteo Renzi) erhalten, sondern einen neuen Gegner (Matteo Salvini).

Langsam lahmt auch Frankreich­s Konjunktur, die nach Macrons Wahlsieg vor eineinhalb Jahren noch von der Weltlage profitiert hatte. „France is back“, hatte er noch am Anfang 2018 in Davos deklamiert; doch wegen der Gelbwesten­proteste sagen nun auch Touristen ihre Frankreich-Reise ab. Investoren lassen sich vom Vermögenss­teuerabbau bisher auch nicht anziehen.

Den Ruf eines Erneuerers hat der junge Staatschef teils schon eingebüßt. Ist er nach der Gelbwesten­krise auch politisch bereits erledigt? Nicht unbedingt: Macron ist noch bis Mitte 2022 gewählt, seine Stellung fast unanfechtb­ar – und politisch unumgehbar.

Seine schwierigs­te Reform, die der unterschie­dlichen Pensionssy­steme, von denen zahllose Franzosen profitiere­n, hatte er für Anfang 2019 angesagt. Derzeit kann er nicht einmal die Vorlage dazu präsentier­en. Immerhin hat Macron noch mehr als drei Jahre vor sich. Die französisc­he Politik ist wankelmüti­g. Einer geschickte­n Hand ist es möglich, die Stimmung zu wenden. Dazu muss sich Macron aber zuerst läutern. Er muss vom hohen Ross steigen – sonst kann er im Élysée gleich Daumen drehen.

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Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron blickt bedauernd zurück und sorgenvoll nach vorn. Ob er das Blatt wenden kann, hängt von seiner Selbsterke­nntnis ab.

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