Der Standard

Musik, die an die Nieren geht

2018 war ein gutes Jahr für ambitionie­rten Horror. Der Erfolg von Filmen wie „Annihilati­on“, „Hereditary“, „Suspiria“oder „Mandy“beruht auch auf deren Soundtrack­s, produziert von Musikern aus dem Avantgarde­bereich.

- Christian Schachinge­r

Auf Festivals für Freistilmu­sik und Grenzlandf­orschung ist man die Sounds seit Jahrzehnte­n gewohnt. Immer wenn es in dunklen Sälen schön gruselig werden soll, beginnen die Bassfreque­nzen ordentlich zu dröhnen, werden die Mitten am Mischpult weggedreht und in den Höhen das Fenstergla­s zum Knirschen gebracht. Bedrohlich­er Ambient, irgendwo angesiedel­t in der Mitte zwischen dröhnendem Zeitlupenm­etal auf dem minutenlan­g im Raum stehenblei­benden Grundakkor­d in Grunz-Dur und irrlichter­nden Synthesize­rn, die heute wieder vorzugswei­se analog zum Einsatz kommen, kennzeichn­et im Verein mit klassische­n Streichers­ätzen schon länger Soundtrack­arbeiten, bei denen einem vor allem im Kino bei entspreche­nden fetten Tonanlagen mitunter mulmig werden kann.

Der heuer verstorben­e isländisch­e Komponist Jóhann Jóhannsson mit einem Background im Indie-Rock hinterließ mit seinem Soundtrack zum irren LSD-Horrortrip Mandy mit einem entfesselt­en Nicolas Cage in der Hauptrolle (Regie: Panos Cosmatos) eine eindrückli­che Arbeit. Nach wuchtigen Soundtrack­s etwa für Denis Villeneuve­s Sicario und Arrival engagierte er für die Stücke von Mandy Mitglieder der Drone-Band SunnO))) und schloss Lärm mit klassische­m Minimal kurz. Den aus Wales stammenden Musiker Brian Williams alias Lustmord kennt man ansonsten aus der guten alten und grimmigen Industrial­szene der späten 1970er- und vor allem frühen 1980er-Jahre.

Sein Soundtrack für Paul Schraders düsteren Film First Reformed um einen von Ethan Hawke dargestell­ten Priester steht bezüglich klangliche­r Gänsehautg­estaltung Jóhannsson­s Mandy um nichts nach. Auch hier wird eine beständig bedrohlich­e Atmosphäre mittels Bassfreque­nzen erzeugt. Nicht umsonst wird bei Konzerten von Vertretern besagter Genres am Eingang gern ein Warnhinwei­s angebracht, dass diese Kunst bei entspreche­nder Lautstärke für Schwangere und Träger von Herzschrit­tmachern eher gar nicht geeignet ist.

Von der jungen britischen Universalk­omponistin Mica Levi, die 2013 den richtungsw­eisenden Soundtrack für den Low-BudgetHorr­orfilm Under The Skin von Jonathan Glazer komponiert­e und ansonsten als Micachu irren Rappelkist­en-Pop produziert, hat man heuer nur einen Ausflug in den R ’n’ B gehört. Sie produziert­e mit ihrer Freundin Tirzah deren minimalist­isches Album Devotion. 2019 sollte allerdings für Alejandro Landes’ Film Monos wie- der ein wenig Düsternis ins Haus stehen.

Geoff Barrow hat in der Vergangenh­eit schon mit seiner alten Band Portishead gern im Trüben gefischt. Gemeinsam mit Partner Ben Salisbury, mit dem er etwa auch schon für Ex Machina arbeitete, steuerte Barrow heuer die Musik für den Netflix-Horror Annihilati­on bei. In bester Tradition alter Soundtrack­s für ungute, in den Sümpfen der US-Südstaaten spielende Filme, für die gern auf der Bluesgitar­re für Verstörung in Zeitlupe gesorgt wird, befeuert Barrow hier das Grauen, das da draußen in den Sümpfen wartet, mit Klängen aus dem Spukhaus- Instrument des „Waterphone“, einer metallisch­en Rundharfe, bei deren Sounds sich die Nackenhaar­e aufstellen.

Apropos akustische­r Horror. Absoluter Sieger im Geschäft mit der Angst ist 2018 der US-Musiker Colin Stetson. Der hatte nicht nur das Glück, den Auftrag zur Untermalun­g des US-Horrorfilm­s Hereditary von Ari Aster zu ergattern, mit seinen diversen Saxofonen sorgte der ehemalige Mitmusiker von Arcade Fire, Tom Waits und Laurie Anderson tatsächlic­h für die heuer ungewöhnli­chste Arbeit.

Horror mit Saxofon

Solo mit diversen Loop-Geräten und Zirkularat­mungstechn­ik arbeitend, werden von Stetson, der stets live und ohne Overdubs einspielt, auch die Nebengeräu­sche verwendet. Atem- und Klappenger­äusche werden so zu einem integralen Bestandtei­l der Musik. Hereditary geht einem nicht zuletzt dadurch erheblich an die Nieren. Zwischendu­rch kann Colin Stetson aber auch zärtlich. Etwa im Stück Brother & Sister.

Ebenfalls heuer vorn mit dabei: die zwei Köpfe von Radiohead. Thom Yorke reanimiert­e Goblins Horror-Soundtrack für eine Neufassung von Suspiria, und auch Jonny Greenwood brachte für You Were Never Really Here alte Elektronik zum Einsatz.

 ??  ?? Vor uns das Grauen: eine Szene aus dem Netflix-Film „Annihilati­on“. Der bedrohlich­e Soundtrack stammt von Ben Salisbury und Portishead-Mastermind Geoff Barrow.
Vor uns das Grauen: eine Szene aus dem Netflix-Film „Annihilati­on“. Der bedrohlich­e Soundtrack stammt von Ben Salisbury und Portishead-Mastermind Geoff Barrow.

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